Die Bevölkerung in Ecuador stimmt gegen Bergbauprojekte

Schützen statt schürfen

Reportage Von Knut Henkel

Bevor Bergbauprojekte in Ecuador realisiert werden dürfen, muss die betroffene Bevölkerung in einem Referendum darüber entscheiden. In manchen Gemeinden votiert die Mehrheit gegen den Bergbau, der oft die Wasserversorgung beeinträchtigt – so auch im Gebiet der Hochlandsteppe von Quimsacocha.

Dicke Nebelschwaden hängen in den Bergen rund um Cauquil. Es ist früher Morgen und Bolívar Quesada steigt in den Pick up, der ihn gemeinsam mit seinem Nachbarn Luis Patiño hoch in den Páramo von Quimsacocha, eine Hochlandsteppe, bringen soll. »Wir wollen einen Kontrollgang machen. Der Páramo ist für die Wasserversorgung meines Dorfes Cauquil extrem wichtig«, sagt der 33jährige. Quesada ist Wasserbeauftragter der Gemeinde Cauquil, die nur ein paar Autominuten von der Kleinstadt Girón entfernt im Süden Ecuadors nahe der Provinzhauptstadt Cuenca liegt.

Girón ist seit dem Referendum vom 24. März, in dem sich knapp 87 Prozent der Bevölkerung des Verwaltungsdistrikts gegen den Bergbau im Páramo von Quimsacocha ausgesprochen haben, landesweit bekannt. »Wir sind uns ­einig, dass der Goldbergbau unsere Lebensgrundlage bedroht. Ohne das Wasser, das oben im Páramo entspringt, ist die Landwirtschaft, aber auch die Wasserversorgung der Menschen bis nach Cuenca bedroht«, meint Quesada. Er gehört der »Vereinigung der indigenen Organisationen und Kleinbauern von Azuay« (FOA) an, die seit der 2002 erfolgten Konzessionierung ­eines Bergbauprojekts im Páramo von Quimsacocha dagegen kämpft. Dazu gehört auch die regelmäßige Kontrolle der Aktivitäten des kanadischen Unternehmens INV Metals Inc., das die Konzession besitzt und im Páramo von Quimsacocha ein Bergbaucamp errichtet hat.

Dieses ist das Ziel von Quesada und Patiño. Ein gut ausgebauter Feldweg führt in die eine halbe Stunde von Cauquil entfernte Region. Langsam klettert der geländegängige Pick up an dem Dorf San Gerardo vorbei immer höher in das Schutzgebiet des Parque Nacional Cajas. Die Kiefern werden seltener, Farne und dicke, moosige Gräser lösen sie ab und die hügelige, von vereinzelten Bergkuppen und Tälern unterbrochene Landschaft wird karger und kälter. Auf 3 800 bis 4 000 Metern über dem Meeresspiegel liegt die von einem ­dicken Pflanzenteppich bedeckte Hochlandsteppe. Kleine Quellen, Bäche und Flüsse entspringen hier und mindestens drei dunkelblaue Lagunen gibt es. Denen hat der Páramo seinen Namen zu verdanken. Quimsacocha heißt in der Sprache der Cañari, einer indigenen Gruppe, der Quesada und Patiño angehören, »drei Lagunen«.

Fördern am Naturschutzgebiet

Patiño weist dem Fahrer des Pick ups den Weg bis vor das Tor des Bergbaucamps, das mit einem dicken Schloss versperrt ist. »Vor dem Referendum wurden alle Arbeiten eingestellt. Das Areal ist verlassen«, sagt er, steigt aus, klettert über den Betonpfeiler des ­Tores und lässt sich auf der anderen Seite herabgleiten. »Kommt, hier ist doch niemand«, ruft er Quesada und dem Fahrer aufmunternd zu und deutet mit einem Grinsen auf ein Transparent hinter dem Eingangstor: »Gracias por visitar la nueva minería« – »Danke für den Besuch der neuen Mine« bedeutet das sinngemäß. Unter dem Slogan ist das Logo des Bergbaukonzerns INV Metals Inc. zu sehen.
»Loma Larga« (langer Hügel) heißt das Förderprojekt mittlerweile. Es wurde umgetauft. »Nichts soll daran erinnern, dass Konzern und Regierung am Rande eines Naturschutzgebiets fördern wollen«, ärgert sich Quesada. Es geht um 2,2 Millionen Unzen Gold, 13,3 Millionen Unzen Silber und 44 000 Tonnen Kupfer, die INV Metals Inc. hier aus dem Boden holen will. Für das 2006 in Toronto gegrün­dete Unternehmen ist die geplante Mine im Süden Ecuadors das größte bisher geplante Bergbauprojekt. Die Konzession dafür wurde dem kanadischen Konkurrenten IAM Gold Corporation 2013 abgekauft und danach wurden die Studien zur Vorbereitung der Förderung vorangetrieben.
Dabei ging das Unternehmen sogar auf die Proteste der Bevölkerung ein und verlegte die Förderung unter die Erde, statt offenen Tagebau zu betreiben. Nun sollen Tunnel in den Fels gebohrt werden. »Hier sind weiß angemalte Betonpfosten mit Nummern zu sehen, die als Markierungen dienen. Doch für uns ist das kein Kompromiss – uns geht es um das Wasser, und wer ­garantiert uns, dass es nicht kontaminiert wird oder deutlich weniger unten ankommt?«, fragt Quesada.

Er lebt von einem knappen Dutzend Milchkühen, ist Vater einer kleinen Tochter und denkt an deren Zukunft. »Ich war in Peru, habe gleich mehrere Minen, darunter die größte Goldmine Lateinamerikas, Yanacocha, besucht. Da habe ich begriffen, dass es keinen sauberen Bergbau gibt«, sagt er. Vertrauen in den modernen Bergbau, wie es die Minenbetreiber und das zu­ständige Ministerium propagieren, habe er nicht mehr. Das gilt auch für das Gros der Bevölkerung in der Region von Girón und der Provinz Azuay. Diese lebt von der Viehhaltung und der Landwirtschaft und das nicht schlecht. ­Offene Armut ist in der Region von Girón und den umliegenden Dörfern wie San Gerardo oder Cauquil nicht zu sehen. Den bescheidenen Wohlstand, den sich die Menschen erarbeitet ­haben, wollen sie genauso wenig verlieren wie die einzigartige, von Wasserfällen, Quellen und Nebelwäldern ­geprägte Landschaft rund um den Parámo von Quimsacocha

Einig, kreativ und erfolgreich

Páramos werden in Lateinamerika die baumlosen Hochlandsteppen genannt, die für die nördlichen Anden Südamerikas typisch sind. Sie zählen zu den humiden Feuchtgebieten, mit Niederschlägen von bis zu 2 000 Milliliter im Jahr, und gelten als Wasserspeicher der Region. Dort entspringen viele Flüsse, die für die Versorgung der Bevölkerung extrem wichtig sind, in Kolumbien ebenso wie in Peru und Ecuador. Doch in allen drei Ländern gibt es Konzessionen für Förderprojekte in den sensiblen Ökosystemen – trotz des ­Widerstands der ansässigen Bevölkerung. Im Norden Perus wehrt sich die Bevölkerung in der Provinz Huancabamba, in Kolumbien hat es Groß­demonstrationen gegen die Förderung von Gold im Páramo Santurbán gegeben und in Girón geht die Bevölkerung seit 2002 für den Erhalt des Páramos von Quimsacocha auf die Straße.

Mit Demonstrationen, Straßenblockaden und juristischen Eingaben hat die Indigenen- und Bauernvereinigung FOA in Ecuador unermüdlich auf ihr in der Verfassung verbrieftes Recht auf ein Referendum hingewiesen und schließlich vor Gericht recht bekommen. Eine Schlüsselfigur dabei war der heu­tige Präfekt der Provinz Azuay, Yaku Pérez. Der Jurist mit dem Spezialgebiet indigenes Recht hat mehrere juristische Eingaben ausgearbeitet und plädiert für ein anderes, nachhaltiges Entwicklungsmodell. Diese klare Haltung habe ihm bei den Kommunalwahlen am 24. März das Amt des Präfekten ein­gebracht, meint Quesada. Parallel zur Kommunalwahl wurden in Girón die Wahlberechtigten gefragt, ob sie mit dem Bergbau im Páramo Quimsacocha einverstanden seien oder nicht. 86,87 Prozent stimmten mit Nein.
»Für uns ist das ein doppelter Erfolg, denn mit einem Präfekten, der für ein nachhaltiges Entwicklungskonzept in der Provinz Azuay eintritt, haben wir eine reelle Chance, den Bergbau in der Region zu ächten«, sagt Patiño. Wie sein Freund Quesada lebt er vom Verkauf der Milch seiner Kühe. Seit drei Jahren engagiert er sich in der FOA, sieben sind es bei Quesada, der das Transparent mit dem Aufdruck »Kimsacocha – Somos Agua« in die Kamera hält. »Wir sind Wasser« heißt das und demonstrativ kniet Quesada nieder, um einen Schluck aus einer Quelle zu nehmen, die nur ein paar Meter von ­einem der weißen Markierungspfähle entspringt. Danach benetzt er seine schwarzen kurzen Haare mit ein paar Tropfen.

Patiño und Quesada gehen zur nächsten Anhöhe, um sich einen Überblick über das kleine verlassene Camp zu verschaffen, in dem nur ein paar Baracken stehen und weit und breit kein schweres Gerät zu sehen ist. Zufrieden machen sich die beiden auf den Rückweg. Gegen Mittag müssen ihre Kühe gemolken werden, am Nachmittag wollen sie bei der Visite von Yaku Pérez in El Chorro dabei sein. Der im Mai vereidigte neue Präfekt von Azuay ist derzeit viel in der Provinz unterwegs, um über nachhaltige Entwicklungsprojekte in der Landwirtschaft und im Tourismus zu sprechen. El Chorro heißt der spek­takuläre Wasserfall, der nur ein paar Kilometer von Girón entfernt ins Tal donnert und für einen feinen Wassernebel über der Oberfläche des kleinen Sees sorgt – Regenbogen inklusive. Das Naturspektakel zählt zu den Ausflugszielen der Region und Fremdenführer führen Touristen und Einheimische zum Wasserfall und hinauf in die Berge der Umgebung. Dort gibt es ein Restaurant, auf dessen Speisekarte frische Forellen aus dem See stehen und in dem auch Workshops für Jugendliche aus der Region angeboten werden. Der Präfekt will das Nachbarschaftsprojekt, in dem 15 Menschen arbeiten, ­besuchen und mit ihnen über alternative Wirtschaftskonzepte und Öko­tourismus diskutieren.

Auf Konfrontationskurs

Gegen 16 Uhr rollt der Geländewagen mit Pérez und seinem Team auf den Parkplatz des Restaurants. Wenig später sitzt der drahtige Mann mit Pferdeschwanz mit rund zwei Dutzend Besuchern am Tisch und spricht über seine ersten politischen Initiativen: darüber, gegen Plastikmüll aktiv zu werden, den Anbau von Bioprodukten zu fördern, Kläranlagen zu planen und ­intensivere gegen Unternehmen vorzugehen, die Flüsse und Seen ver­drecken. »Wir müssen mit unserer Umwelt anders umgehen, sie schützen. Deshalb planen wir auch ein Referendum, in dem die Bevölkerung darüber abstimmen soll, ob sie Bergbau in der Provinz will oder nicht«, erklärt der 50jährige. Das Referendum vom März in Girón galt nur für den gleichnamigen Kanton, der in der Provinz Azuay liegt. Bei den Zuhörern erhält er dafür Beifall. In der Provinz Azuay könnte das Referendum die Mehrheit der Stimmen erhalten, den schwelenden Konflikt mit der ecuadorianischen Regierung würde das weiter entfachen.

Dort ist die Bergbaulobby gut vernetzt und hat mit dem zuständigen ­Minister Carlos Pérez einen Fürsprecher. Mit dem Bergbau werde es so oder so weitergehen, sagte er Ende April in ­einem Interview mit der Tageszeitung El Comercio. »Carlos Pérez und die Lobby der Bergbauunternehmen suchen einen Ansatzpunkt, um das Instrument des Referendums, das in der Verfassung festgeschrieben ist, auszuhebeln«, kritisiert Alberto Acosta. Der ehemalige Präsident der Verfassunggebenden Versammlung Ecuadors ist ein kompetenter Kritiker der Regierung von Präsident Lenín Moreno. Ihm wirft er vor, eine wirtschaftsliberale Reform­politik zu betreiben und sie mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abzustimmen, der Kredite genehmigt hat. Für Acosta sei das ein Rückschritt, der einhergehe mit der verstärkten Ausbeutung der natürlichen Ressourcen.

Politiker wie Yaku Pérez zeigen hier Alternativen auf. Mit fünf der insgesamt 24 Präfekten Ecuadors hat er sich abgestimmt und ist gewillt, neue poli­tische Initiativen anzugehen. Für Acosta sei dies ein Hoffnungsschimmer, denn derartige Initiativen stärkten nach Jahren des politischen Drucks unter dem ehemaligen Präsidenten Rafael Correa die Zivilgesellschaft sowie ­Parteien wie Pachakutik. Sie ist der politische Arm der indigenen Dachorga­nisation Conaie und für sie hat auch Yaku Pérez erfolgreich kandidiert. ­Dabei hat der redegewandte Jurist und Umweltschützer es geschafft, auch Wählerinnen und Wähler aus anderen Bevölkerungsgruppen für seine Ideen eines landwirtschaftlich orientierten, klimafreundlichen Entwicklungs­modells zu begeistern. Zum Müllsammeln am Río Paute nahe Cuenca kamen Anfang Juni 1 200 Menschen.

Bei den Zuhörern in El Chorro kommen seine Ideen ebenfalls gut an, auch wenn er deren Bitte, die Zufahrtsstraße auszubessern, nicht erfüllen kann. »Man hat uns die Präfektur mit 13 Millionen US-Dollar Schulden übergeben. Wir müssen uns auf das Nötigste beschränken«, sagt er mit einem entschuldigenden Lächeln und erntet Verständnis bei den Zuhörern, darunter Quesada und Patiño. Quesada war Anfang Juni dabei, als Pérez nach Quito reiste, um das Ergebnis des Referendums von Girón öffentlich vorzustellen. »Die Veranstaltung war gut besucht und es wurde viel diskutiert über das Instrument des Referendums und dessen Möglichkeiten für andere Gemeinden und Regionen«, sagt er.

Anders als erwartet war es jedoch nicht möglich, mit führenden Beamten der Ministerien einen direkten Dialog zu führen. »Immerhin haben wir unsere Petition überreicht, dem Referendum nun auch Folge zu leisten«, sagt Pérez. Er weiß genau, dass der Regierung der Widerstand aus Azuay ganz und gar nicht gefällt. Schließlich könnte das Beispiel Schule machen.

Die Recherche wurde vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e. V. ­gefördert.