In Kamerun eskaliert der Konflikt zwischen Regierung und anglophonen Separatisten.

Zwei Sprachen, zahlreiche Konflikte

In Kamerun spitzt sich der Konflikt zwischen anglophonen Separatisten und der Regierung zu, der Großteil der Schulen im Westen des Landes ist deshalb geschlossen. Zudem gibt es anhaltende Proteste gegen die Regierung, während Angriffe der Terrorgruppe Boko Haram den Norden des Landes in Angst versetzten.

Am 10. Juli verkündete die deutsche Bundesregierung das planmäßige Ende des Bundeswehreinsatzes in Kamerun in diesem Jahr. Dass die Bundeswehr überhaupt in Kamerun aktiv war und Streitkräfte ausbildete, dürfte ­zuvor nur wenigen bekannt gewesen sein. Derartige Missionen benötigen kein Bundestagsmandat, wenn sich das betreffende Land offiziell nicht im Kriegszustand befindet und sich die Bundeswehr darauf beschränkt, Militärpersonal auszubilden, ohne selbst an Kampfhandlungen teilzunehmen. Über solche Missionen gibt es oftmals nur dürftige Informationen. Zum Einsatz in Kamerun erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Peter Tauber (CDU), in seiner Antwort auf die Anfrage des Bundestagsabgeordneten Stefan Liebich (Die Linke), die Bundesregierung gebe zu den »Aktivitäten der Spezialkräfte der Bundeswehr regelmäßig in grundsätzlich vertraulichen Unterrichtungen der Obleute des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses« Auskunft.

Die Entscheidung für die Beendigung der Mission, die die kamerunische ­Armee im Kampf gegen die islamistische Terrororganisation Boko Haram unterstützen sollte, ist wohl auf die Eskalation des Konflikts zwischen der ­kamerunischen Zentralregierung und anglophonen Separatisten zurückzuführen, die ein unabhängiges »Ambazonien« fordern. Die Separatisten fühlen sich in der zentralistisch ausgerichteten Republik wirtschaftlich und politisch benachteiligt. Seit der symbolischen Unabhängigkeitserklärung des anglophonen Westens im ansonsten frankophon dominierten Kamerun im Oktober 2017 wurden nach offiziellen Zahlen 1 850 Menschen getötet. Schätzungsweise 560 000 Kamerunerinnen und Kameruner sind seither aus ihren Herkunftsorten geflohen. Menschenrechtsorganisationen berichteten in den vergangenen Monaten von Kriegsverbrechen auf beiden ­Seiten.

Kamerunische Soldaten setzen Dörfer in Brand, foltern Gefangene und töten Zivilisten. Auch bewaffnete Separatistengruppen misshandeln und foltern Menschen, denen sie vorwerfen, mit der Zentralregierung zu kooperieren. Zudem greifen sie Schulen an, da diese mit dem frankophonen Zentralstaat identifiziert werden.
Viele Schülerinnen und Schüler ­haben seit Beginn des Konflikts keinen Unterricht mehr, derzeit sind in den anglophonen Regionen über 80 Prozent der Schulen geschlossen. Wer es trotzdem wagt, zur Schule zu gehen, begibt sich in Gefahr. Mehr als 300 Schü­lerinnen, Schüler und Lehrkräfte wurden in den vergangenen Monaten gekidnappt, inzwischen aber wieder freigelassen.

Die Berichterstattung über die Zustände in den vom Konflikt besonders betroffenen ländlichen Regionen wird durch staatliche Repression systematisch behindert. Im April durfte eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch, die zuvor über Menschenrechtsverletzungen sowohl der Armee als auch der Separatisten berichtet hatte, nicht ins Land einreisen. Auch für Hilfsorganisationen sind viele Regionen nur schwer zugänglich, worunter vor allem die nach Schätzungen von Unicef 1,3 Millionen Menschen leiden, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

Der Konflikt im Westen des Landes ist jedoch nicht der einzige. Im Norden überfällt Boko Haram weiterhin Dörfer und verübt Anschläge auf Militärbasen. Bei der Bekämpfung der islamistischen Terrorgruppe geht die kamerunische Armee auch brutal gegen Zivilisten vor. Die Täter werden nur in den seltensten Fällen zur Rechenschaft ­gezogen. Jüngst kursierte im Internet ein Video von der Hinrichtung zweier Frauen und ihrer zwei Kinder durch kamerunische Soldaten, das weltweit für Entsetzen sorgte. Die Regierung bezeichnete das Video zunächst als ­Fälschung und behauptete, es sei im ebenfalls von islamistischen Terror heimgesuchten Mali entstanden. Nachdem die Beweislast erdrückend geworden war, verkündete die Regierung aber die Festnahme sieben kamerunischer Soldaten. Ihnen soll nun der Prozess gemacht werden.

Der Druck auf den mittlerweile 86jährigen, seit 1982 regierenden Präsidenten Paul Biya wächst außerdem wegen anhaltender Proteste der Opposition. Sie hält das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2018, die Biya angeblich mit 71 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, für manipuliert. Bei Demonstrationen im Januar und Juni dieses Jahres wurden Hunderte Oppo­sitionelle festgenommen, allen voran Anhänger des Mouvement pour la ­renaissance du Cameroun (MRC). 39 von ihnen kamen vorvergangene Woche wieder auf freien Fuß, Hunderte weitere bleiben jedoch in Haft.

Einige von ihnen beteiligten sich Anfang vergangener Woche an einem Aufstand im Gefängnis der Hauptstadt Yaoundé. Zusammen mit ambazonischen Separatisten, die im selben ­Gefängnis inhaftiert sind, hatten sie ihre Zellen verlassen und sich auf dem ­Gefängnishof versammelt. Die Proteste waren teilweise per Livestream in sozialen Medien zu verfolgen. In den Videos singen Separatisten die ambazonische Nationalhymne und fordern ihre Freilassung. Zu sehen ist auch Mamadou Mota, der stellvertretende Vorsitzende der Bewegung für die Wiedergeburt Kameruns (MRC), der unter dem Beifall seiner Mitgefangenen die unmenschlichen Haftbedingungen anprangert.

In Kamerun sitzen viele Häftlinge monate- bis jahrelang ohne Anklage in völlig überfüllten Gefängnissen. In dem für 1 500 Menschen vorgesehenen Gefängnis in Yaoundé befinden sich nach unterschiedlichen Angaben derzeit 4 000 bis 8 000 Gefangene. Viele wurden im Zuge des Ambazonien-Konflikts im Westen des Landes festgenommen und in die Hunderte Kilometer entfernt liegende Hauptstadt gebracht. Wegen der mangelnden Ver­sorgung durch den Staat sind die Gefangenen auf die Unterstützung von Familie und Freunden angewiesen, die jedoch oft weit entfernt leben. Polizei- und Militäreinheiten beendeten den Protest im Gefängnis von Yaoundé gewaltsam, ein Feuer zerstörte Teile des Gefängnisses. Tags darauf kam es zu einem Aufstand im Gefängnis von Buea, einer Stadt im anglophonen Westen, bei dem nach Angaben der kamerunischen Regierung 43 Gefangene verletzt wurden.

Unterdessen hat die Schweiz erste Vermittlungsversuche zwischen der Zentralregierung und den Separatisten unternommen. Doch es erscheint schwierig, die äußerst heterogene Protest- und Unabhängigkeitsbewegung des anglophonen Westens am Verhandlungstisch zu vereinen. Was Ende 2016 mit Demonstrationen und Streiks von Anwälten und Lehrern gegen die ­Bevorzugung des französisch geprägten Rechts- und Bildungssystems ­begann, ist ein Jahr später zu einem bewaffneten Konflikt eskaliert. Entsprechend verschieden sind die Forderungen der anglophonen Bevölkerung: Sie reichen von der Stärkung des britischen common law im Rechtswesen und der englischen Sprache in Bildungsinstitutionen über die Etablierung ­föderaler Strukturen, wie sie bis 1972 bestanden, bis zur vollständigen staat­lichen Unabhängigkeit.

Dass sich verschiedene proanglophone Akteure dabei auch feindlich gegenüberstehen, zeigt der Fall John Fru Ndi. Der Vorsitzende der oppositionellen Social Democratic Front (SDF) kämpft seit Jahrzehnten für die Belange der anglophonen Bevölkerung, spricht sich aber gegen die Sezession Ambazoniens aus. Ende Juni wurde er bereits zum zweiten Mal von militanten Separatisten entführt. Sie fordern den Rückzug der Abgeordneten der SDF aus dem kamerunischen Parlament.

Ob die kamerunische Regierung überhaupt zu substantiellen Zugeständnissen bereit ist, scheint fraglich. Viele Kamerunerinnen und Kameruner aus dem anglophonen Westen sind nach der jahrzehntelangen Diktatur Biyas desillusioniert und sehen Verhandlungen mit der Regierung skeptisch. Mit bloßen Absichtserklärungen werden sich weder die bewaffneten Gruppen noch die zivilen Aktivisten zufriedengeben.