Im mexikanischen Bundesstaat Chiapas nehmen bewaffnete Konflikte wieder zu

Militarisierung in Chiapas

Im südmexikanischen Bundesstaat steigt die Zahl bewaffneter Konflikte wieder. Die mexikanische Regierung hat die neu geschaffene National­garde in den Süden geschickt – offiziell zur Wahrung der Sicherheit und Migrationsabwehr.

Schwerbewaffnete und teils mit Sturmhauben vermummte Einsatzkräfte ­bestimmen das Straßenbild in der Gemeinde San Cristóbal de las Casas. Auf den Bundesstraßen, die die gleichnamige Stadt mit den umliegenden Dörfern im mexikanischen Bundesstaat Chiapas verbinden, errichtet die mexikanische Armee regelmäßig Straßensperren.
Seit Anfang Juli regiert die Nationalgarde in San Cristóbal de las Casas. Sie wurde erst vor einigen Monaten vom seit Dezember 2018 amtierenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador gegründet und umfasst Einheiten und Offiziere der Bundespolizei, der Militärpolizei und der Marinepolizei. Die Befehlsgewalt über die Nationalgarde hat der ehemalige Armeegeneral Luis Rodríguez Bucio. Er gilt als loyaler Anhänger von López Obrador und dessen Regierungspartei Morena. Formal wird der Einsatz in Chiapas mit der Wahrung der öffentlichen Sicherheit und der Abwehr der Migranten aus dem Süden begründet. Am 19. Juli kamen die ersten 120 Nationalgardisten in die chiapanekische Hauptstadt Tuxtla Gutiérrez. Im ganzen Bundesstaat gibt es 13 Zentren der Nationalgarde, insgesamt sollen mehr als 2 500 Nationalgardisten abgestellt werden.

In Chiapas richten sich die Einsätze der Nationalgarde Beobachtern zufolge auch gegen die indigene Bevölkerung und vor allem gegen Dörfer, die in der Vergangenheit durch Widerstand gegen Projekte der jeweiligen Regierungen aufgefallen waren oder in denen die Zapatistas große Unterstützung genießen. An Checkpoints vorbeizukommen, ist insbesondere für Zapatistas problematisch, die prinzipiell keine Papiere mit sich führen.
Bei seinem Besuch in Guadalupe Tepeyac in Chiapas am 6. Juli sagte López Obrador, man wolle »trotz der Differenzen den Respekt für die Zapatistische Armee bekräftigen«. Die Zapatistas bleiben skeptisch, was seine Regierung betrifft. Maßnahmen wie die Beschlagnahmung von Fahrzeugen der Zapatistas oder ihnen nahestehender Gruppen, wie am 8. und 12. Juli in Chiapas geschehen, sehen sie als Angriffen auf die »Autonomie der zapatistischen Völker«, die die Regierung zu unterlassen habe.

Der Einsatz der Nationalgarde wird ebenfalls kritisch gesehen. »Auch wenn es anders benannt wird, handelt es sich bei dem Einsatz der Nationalgarde um eine klassischen Fall von Militarisierung. Die Streitkräfte sind nicht für Konfliktlösung ausgebildet, sondern für Kampfhandlungen. Aufstandsbekämpfung et cetera. Dabei wären in dieser Region Dialog und Entwaffnung der paramilitärischen Gruppen angebracht«, so Anne Haas, die Sprecherin des Menschenrechtszentrums Fray Bartolomé de las Casas (Frayba). Dem Zentrum zufolge seien Nationalgardisten bereits seit einigen Woche vor dem offiziellen Einsatz in Chiapas bei Einsätzen dabei gewesen.

Die Gewalt in dem Bundesstaat eskalierte zuletzt im Konflikt um die Landverteilung zwischen den indigenen Gemeinden Chenalhó und Aldama. Am 24. Juli überfiel eine bewaffnete Gruppe Siedlungen in Aldama, kurz bevor ein Friedens- und Versöhnungsabkommen zwischen beiden Gemeinden geschlossen werden sollte. Bereits Ende 2017 waren 5 000 Menschen im Bezirk Chalchihuitán vor einer bewaffneten Gruppe aus dem Nachbarbezirk Chenalhó in die Berge geflohen (Jungle World 22/2018). Mindestens 1 000 von ihnen leben dort immer noch in Verstecken unter ärmlichsten Verhältnissen. Frayba zufolge gibt es trotz sporadischer Hilfslieferungen der Caritas nur wenig zu essen, auch die medizinische Versorgung sei prekär. Manche Hilfslieferungen seien aus Angst vor Übergriffen komplett eingestellt worden. Inzwischen wagen sich einige Vertriebene tagsüber unter Lebensgefahr zurück in ihre Dörfer und auf ihre Felder, um ihr Überleben zu sichern.

»Beim Einsatz der Nationalgarde handelt es sich um einen klassischen Fall von Militarisierung. Die Streit­kräfte sind nicht für Konflikt­lösung ausgebildet.« (Anne Haas, Menschenrechtlerin)

Paramilitärische Gruppen sind in der Gegend jedoch weiterhin präsent und ihre Aktivitäten sind zahlreicher geworden. In Chiapas waren diese Gruppen seit Ende der neunziger Jahre nicht mehr aktiv. Umso alarmierender ist es, dass der derzeitige Konflikt sich in jener Gegend abspielt, die 1997 Schauplatz des Massakers von Acteal war, bei dem 45 Angehörige einer mit den Zapatistas solidarischen indigenen Gemeinde von einer paramilitärischen Gruppe ermordet wurden – in unmittelbarer Nähe eines Camps der mexikanischen Armee. Zahlreiche verurteilte Verantwortliche wurden bereits vor Jahren aus dem Gefängnis entlassen, leben in den Gemeinden Aldama und Chenalhó und sind wieder Mitglieder paramilitärischer Gruppen. Lokale Menschenrechtsgruppen beobachten die derzeitige Situation mit wachsender Sorge. Gemeindemitglieder haben große Angst, dass es erneut zu einem Massaker kommen könnte. Viele erinnert die politische Situation an die Auseinandersetzungen in den neunzigern Jahren nach Beginn des zapatistischen Aufstandes in Chiapas.

Der Einsatz der Nationalgarde in Chiapas gilt bislang vor allem den Migranten, die aus Mittelamerika über Mexiko in die USA gelangen wollen. Unter dem Druck der US-amerikanischen Regierung versucht Mexiko, diese hauptsächlich mit militärischen Mitteln aufzuhalten. In den vergangenen Jahren haben die Ordnungskräfte eher selten gegen Migranten interveniert, in den vergangenen Monaten haben sie allerdings immer wieder größere Gruppen von Geflüchteten festgesetzt und über die südliche Grenze abgeschoben.