Wohnungssuche per Matching-App

Tinder für Mieter

Von Lisa Bor

Ein Berliner Start-up will die Wohnungssuche mit einer Matching-App revolutionieren. Die Chancen auf ein Wohnung steigen, je mehr private Daten man preisgibt.

Nicht mehr nach einer Wohnung ­suchen, sondern von einem Matching-Algorithmus gefunden werden – so ­wollen die Gründer der Plattform Housy.de nach eigenen Angaben das Leben von Mieterinnen und Mietern erleichtern. »Wohnungssuche war gestern. ­Erhalte Wohnungen direkt von Vermietern – genau passend zu Deinem ­Profil.« So steht es auf der Startseite der Plattform. Schön wäre es ja, wenn es so einfach wäre. Statt unangenehme Konkurrenzsituationen bei der Massenbesichtigung zu erleben, soll es nur noch erfolgversprechende Treffen mit dem ermittelten Vermieter-Match, also dem passenden Vermieter, geben. Die Analogie zu der Dating-App Tinder ist offensichtlich.

Unklar ist, was der beworbene Algorithmus eigentlich macht. Wie kommt ein Match zustande? »Algorithmen werden trainiert, indem man sie mit großen Datenmengen füttert, in denen sie nach Mustern suchen«, erläutert Chris Köver, Redakteurin des Portals Netz­politik.org, im Gespräch mit der Jungle World. Obwohl es viele Beispiele gibt, die aufzeigen, wie sich diskriminierende Strukturen oder Annahmen in Algorithmen widerspiegeln, wird immer noch mit am Bild einer rationalen, objektiven Technologie festgehalten, die Dis­kriminierung ausschließt. »Der Fehlschluss ist: Wenn der Computer das sagt, muss es stimmen. Das macht es schwerer, sich dagegen zu wehren«, so Köver.

Die Website von Housy.de vermittelt derzeit den Eindruck, dass die verwendete Technik eher ein übliches Filtersystem ist als ein ausgeklügelter, ­eigenständiger Algorithmus. Mieter und Vermieter erstellen sich jeweils Accounts, die anhand der Angaben zum Haushaltseinkommen, der Höhe der Miete, Schufa-Bescheinigung und anderen Bonitätsauskünften gematcht werden. Wer die Kriterien nicht erfüllt, wird aussortiert.

Diskriminierung nur schwer nachzuweisen

Das Machtgefälle zwischen Immobilienverwaltungen und Wohnungs­suchenden, das den umkämpften Wohnungsmarkt in großen Städten prägt, zeigt sich auch auf der Plattform. Während zunächst nur wenige Daten zur Wohnung und zum Vermieter abgefragt werden, sind es viele zu der Person, die sie mieten möchte – vor allem zu ihrer Zahlungsfähigkeit. Zwar muss sich auch der Vermieter mit einem Gewerbeschein verifizieren und erhält erst bei einem sogenannten Match vollen Einblick in das Profil der Suchenden, die auf der Plattform »Kandidaten« genannt werden.

Wohnungssuche im vordigitalen Zeitalter. So sah sie 1954 aus.

Bild:
picture alliance

Aus rechtlichen Gründen wird erst im Fall einer Interessensbekundung des Mietkandidaten dessen Klarname für den Vermieter sichtbar. Aber je nachdem, ob er Angaben zur Staatsangehörigkeit gemacht hat, welches Ausweisdokument er hinterlegt und welchen beruflichen und f­amiliären Status er angegeben hat, erscheinen diese Angaben sofort ein­sehbar im Profil. Avatare bebildern diese Profile. Zwei Erwachsene werden standardisiert als weißes, herausgeputztes heterosexuelles Pärchen in Anzug ­beziehungsweise kurzem Kleid abgebildet. Geschlecht wird durch stereotype Kleidung und Frisur dargestellt.

Aus der Vorauswahl sucht der Vermieter aus, wem er überhaupt ein Angebot sendet. Auch das macht es schwierig, Diskriminierung festzustellen, denn ein direkter Vergleich der ­eigenen mit anderen Bewerbungen ist den Wohnungssuchenden nicht möglich. Unter den Angaben zum Kandidaten finden sich diverse Bonitätsab­fragen, ganz so, als seien unzuverlässige Mietzahlungen die größte Gefahr für Vermieter und als hätten diese nicht auch rechtliche Mittel wie Kautions­einbehalt und Räumungsklage auf ihrer Seite. Dem statistischen Bundesamt zufolge machen Mietschulden nur drei Prozent aller Privatschulden in Deutschland aus. Und das, obwohl der Grund für die chronische Unterfinanzierung der Haushalte den Erhebungen zur Überschuldung zufolge ihre hohen Ausgaben für Miete sind.

Keine fairen Kriterien

Dennoch sind sogenannte Bonitätsauskünfte wichtige Matching-Kriterien. Gemeint sind Bonitätsberechnungen von Privatunternehmen, wie sie die Schufa Holding AG oder Creditreform anstellen. Diese Berechnungen haben sich bei Händlern, Banken und Vermietern in Form von Scores als Auskunft über die Kreditwürdigkeit ihrer Kunden etabliert, bleiben aber wegen der ­Intransparenz der Daten und der Berechnungsformel umstritten. Erst 2018 zeigte die Kampagne »OpenSchufa« der datenkritischen Initiativen ­»AlgorithmWatch« und »Frag den Staat« die Beliebigkeit vieler Bewertungen auf.

Dies sei der eigentliche Missstand, heißt es dazu vom Berliner Mieterverein. Es brauche faire Kriterien zur Ver­gabe von Wohnungen, nicht Ausschlüsse, die etwa lediglich auf Schufa-Einträgen basierten. »Es kann ja schlecht sein, dass eine unbezahlte Handyrechnung verhindert, dass ­jemand einen Mietvertrag bekommt«, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Mietervereins.

Der sozialdemokratischen oder linken Forderung, Wohnraum dürfe keine Ware sein, sondern gehöre zu den grundrechtlich verbrieften Notwendigkeiten, spricht die Realität Hohn; besonders deutlich machen das Plattformen wie Housy.de. Hier suchen nicht mehr Mieter nach einer Wohnung, vielmehr ­sollen sie auf einem Portal ihre Bewerbungsprofile optimieren – in der Hoffnung, von einem Vermieter als passender Kandidat entdeckt zu ­werden. Schon auf anderen Portalen, wie Immobilienscout24, Wunsch­immo.de oder Vermietet.de geben verzweifelte oder unbedarfte Wohnungs­suchende viele Daten an, von denen sie sich einen Vorteil gegenüber anderen Bewerbern versprechen.

Wer liest schon die AGBs?

Einfordern dürfen Vermieter Informationen zur Zahlungsfähigkeit und zu Einkommens- und Arbeitsverhältnissen erst, wenn nach einer Wohnungsbesichtigung beide Parteien tatsächlich Interesse an einem Vertragsabschluss ­haben. Die Vermieter bei Housy.de können erst recht auf eine große – formell freiwillige – Auskunftsbereitschaft zählen: Die Chancen auf eine Besichtigung steigen, je mehr Dokumente die Kandidaten durch entsprechende ­Angaben in dem Onlineprofil in Aussicht stellen.

Dass das Vorzeigen einer Schufa-Auskunft heutzutage zu den selbstverständlichen Schikanen bei der Wohnungssuche gehört, haben Vermieter durch ihre beständige Praxis etabliert. Daran hat man sich schon gewöhnt. Durch Portale wie Housy.de könnte das Einreichen weiterer Dokumente nach dem gleichen Muster etabliert werden.

Housy.de ist nur ein Beispiel für die vielen neuen Start-ups der sogenannten Property-Technology-Branche, die eine solche Entwicklung fördern. Die Branche arbeitet mit genau dieser Form von Berechenbarkeit, Vorhersage und Bewertung der Mieter. Die zahlreichen Analysefunktionen von Plattformen wie Facebook, Instagram und Google laufen beim Besuch von Housy.de zum Zweck optimierter Werbeangebote bereits mit. So kann man es in den AGB von Housy.de nachlesen – aber wer liest die schon? Ausgelesen werden die ­Daten nach Auskunft des Unternehmens noch nicht.

Selbst wenn man sich entwürdigende Massenbesichtigungen durch derartige Portale sparen kann – weil die unerwünschten Kandidaten schlicht keine Angebote mehr bekommen –, ist das Problem mit der Wohnungssuche dadurch keineswegs gelöst. Zumindest nicht für die Mieterinnen und Mieter.