Wer bezahlt den Klimaschutz?

»Umweltschutz ist eine soziale Frage«

Interview Von Marcus Latton

Nach Klimaschutz ruft vor allem, wer ihn sich leisten kann. Aber werden CO2-Steuer und Ausbau von Windrädern vor allem Geringverdiener belasten? Die grüne Bundestagsabgeordnete Ingrid Nestle im Gespräch.

Die Grünen setzen sich seit langem für eine CO2-Steuer ein. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam vergangene Woche zu dem Urteil, die Steuer sei verfassungswidrig. Ist das Projekt nun ­gestorben?
Es lohnt sich, einen Schritt zurückzutreten und mit kühlem Kopf auf den Sachstand des Wissenschaftlichen Dienstes zu schauen. Dieser besagt, dass eine bestimmte Ausgestaltungsform der CO2-Steuer rechtlich unzulässig sein könnte. Andere Formen hält er dagegen für unproblematisch. Ich bin da völlig entspannt. Solange am Ende Klimaschutz günstiger wird und die Preise ehrlicher werden, ist doch alles in Ordnung. Wichtig ist, dass wir schnell handeln und uns nicht in irgendwelchen Wortklaubereien verlieren.

Selbst wenn eine CO2-Steuer möglich wäre: Dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen zufolge würde sie vor allem sozial Benachteiligte auf dem Land treffen, die noch mit Öl heizen und auf das Auto angewiesen sind. Profitieren würden hingegen Hausbesitzer, die sich Solarzellen auf dem Dach und moderne Gebäudedämmungen leisten können. Sie würden sogar Geld vom Staat erhalten.
Es ist heute schon so, dass Hausbesitzer von den geltenden Regelungen profitieren. Die CO2-Bepreisung der Grünen würde Geringverdienern zugute kommen. Im Schnitt haben diese dann mehr in der Tasche. Wir verteilen von oben nach unten um. Dass es Härtefälle gibt, ist klar. Aber die gibt es auch ohne CO2-Steuer. Es ist erwiesen, dass Mehrverdiener auch mehr CO2 verursachen. Sie fliegen viel, fahren öfter Auto und konsumieren mehr. Sie würden eine höhere Steuer bezahlen.
Hinzu kommt, dass Menschen mit geringem Einkommen von den Folgen der Klimakrise stärker betroffen sind. Wer viel Geld verdient, kann schnell wegziehen, wenn der Meeresspiegel steigt und küstennahe Gebiete unbewohnbar werden und Nahrung aufgrund von Ernteausfällen teurer wird. Geringverdiener werden statistisch gesehen öfter von Autolärm und Abgasen gesundheitlich geschädigt. Umweltschutz bleibt eine zutiefst soziale Frage. Aber die Forderung, dass zum Beispiel Strom für alle billig sein sollte, ist falsch. Das funktioniert nicht mehr – und bedeutet, dass die Reichen die größten Schäden auf Kosten der Allgemeinheit verursachen dürfen.

 

Die möglichen Folgen des Klimawandels scheinen vielen Bürgern wenig greifbar. Wenn wegen der CO2-Steuer Produkte oder Strom teurer werden, betrifft sie das konkret.
Deswegen ist es für uns wichtig, bei der Klimapolitik von oben nach unten umzuverteilen. Sehr groß wird die Umverteilung natürlich nicht ausfallen. Die CO2-Steuer ist keine sozial­politische Maßnahme und nicht das allein seligmachende Mittel. Wir müssen auch in etlichen anderen Bereichen etwas tun.

Einer dieser Bereiche ist die Energiewende. Das Düsseldorfer Institut für Wettbewerbsökonomie hat ausgerechnet, dass bis 2025 die Kosten der Energiewende in Deutschland 520 Milliarden Euro betragen werden. Die CO2-Emissionen sind bisher allerdings kaum gesunken. Das sieht nicht gerade nach einem guten Deal aus.
Es ist ein sehr guter Deal. Die Energiewende stellt den größten Beitrag, den Deutschland für die Reduzierung der Treib­hausgase leistet. 180 Millionen Tonnen CO2 sparen wir durch erneu­erbare Energie jährlich ein. Uns erwarten allerdings viele Heraus­forderungen. Mit 14 Prozent Erneuer­baren bei Berücksichtigung von ­Verkehr und Heizen liegt noch ein weiter Weg vor uns und wir müssen den ­Ausstieg aus der Atomkraft be­wältigen.

Der ehemalige grüne Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit hatte zuletzt angeregt, den Atomausstieg zu vertagen, weil die CO2-arme ­Nuklearenergie angesichts des Klimawandels ein geringeres Übel als Kohle darstelle. Wäre das für die deutschen Grünen diskutabel?
Ich glaube nicht. Wir brauchen keine Hochrisikotechnologie wie die Atomkraft. Außerdem stört sie beim Aufbau der neuen Energieinfrastruktur nur und wäre da wenig sinnvoll.

 

Der Umbau des Stromnetzes ist mit vielen Risiken verbunden. Kritiker sagen, dass die Versorgungssicherheit mit den erneuerbaren Energien nicht gewährleistet sei und Ausfälle drohten. Ist die Energiewende ein riskantes Infrastrukturexperiment?
Die Versorgungssicherheit ist mit dem bestehenden System längst nicht mehr gegeben. Das AKW Grohnde musste diesen Sommer abgeschaltet werden, weil das Kühlwasser zu heiß war. Im letzten Sommer ging Kohlekraft vom Netz, weil der Wasserstand der Flüsse zu niedrig war, um per Schiff die Kohle zu transportieren. Die Klimakrise selbst stellt die konventionellen Anlagen in Frage. Das fossile System wendet sich gegen sich selbst. Wir haben neben Wind- und Solarenergie auch Biomasseheizkraftwerke und Gaskraftwerke – künftig mit erneuerbar produzierten Gasen. Das sind viele Lösungen, die ineinandergreifen und besser funktionieren können als das, was wir jetzt haben.

Mit der Energiewende und dem Ausstieg aus Atom- und Kohlekraft steht Deutschland alleine da. Frankreich, Finnland und Schweden bauen weiter auf Atomstrom. Polen hängt weiter der Kohlekraft an.
Es ist richtig, dass wir unsere europäischen Partner nicht zwingen können. Aber ein Alleingang ist es längst nicht mehr. Andere Länder sind inzwischen viel schneller, was den Ausbau der Erneuerbaren betrifft. Wir haben jedoch eine Vorreiterrolle, was die interna­tionale Aufmerksamkeit betrifft. Die Technologien für die Wende sind da und die Preise vertretbar. Wir müssen es nur tun.

Deutschland soll also führen?
Wenn wir das hier nicht hinbekommen, werden sich viele Entwicklungsländer denken: Dann brauchen wir es auch nicht mehr versuchen. Wenn wir das schaffen, können wir beweisen, dass Deutschland technisch führend ist und die Klimakrise eingedämmt werden kann.

 

Die Strompreise in Deutschland sind nach Dänemark die höchsten in Europa. Seit 2000 hat der Preis sich nahezu verdoppelt. Wäre es nicht an der Zeit, Bürger und Unternehmen bei der Stromrechnung zu entlasten?
Es kommt darauf an, wie man die Zahlen betrachtet. Auf die Kaufkraft pro Kopf berechnet gehören wir zu den günstigeren in Europa. Es beschwert sich ja auch keiner, dass das Bier in der Kneipe bei uns teurer ist als in einkommensschwächeren Nachbarländern. Wenn man die Inflation einberechnet, ist der Strompreis bei uns in 20 Jahren nur um zehn Prozent gestiegen.

Ohne Windräder ist die Energiewende nicht denkbar. Knapp 28 000 stehen bereits in Deutschland. Wie viele mehr brauchen wir noch?
Diese Zahl müssen wir mindestens vervierfachen oder im Umgang mit Energie sehr viel sparsamer werden. Und wir benötigen größere Windräder als jetzt, um eine höhere Leistung zu ­erzielen. Einen Großteil des Weges haben wir noch vor uns.

Wo sollen diese Anlagen aufgestellt werden? Es gibt bundesweit mehr als 1 000 Bürgerinitiativen gegen Windräder; der Ausbau stockt. Viele Menschen fürchten den Wertverlust ihrer Grundstücke, wenn sich ein Windpark daneben befindet.
Das ist sicherlich eine große gesellschaftliche Frage: Wollen wir diese Zukunft oder nicht? Wir müssen da noch viel Überzeugungsarbeit leisten und den Menschen erklären, warum diese Anlagen nötig sind. In Schleswig-Holstein lieben viele Mitglieder von Bürgerwindparks ihre Windräder und haben sogar Wertsteigerungen ihrer Grundstücke registriert.

Die Grünen präsentieren sich als Befürworter einer offenen und multikulturellen Gesellschaft. Gleichzeitig plädieren Sie aus Klimaschutzgründen für eine stärkere ­Besteuerung des Flugverkehrs. Wenn Fliegen teurer werden soll, trifft das viele Menschen mit Migrationshintergrund, die ihre Familien im Ausland besuchen wollen.
Fliegen muss teurer werden. Der Flugverkehr kann auf Dauer nicht auf dem heutigen Niveau stattfinden. Im Vergleich sind internationale Zugfahrten innerhalb Europas leider immer noch extrem teuer. Da müssen die Relationen zurechtgerückt werden. Aber dass es Fälle gibt, in denen Menschen mehr für Flugtickets bezahlen müssen, weil sie etwa ihre Familie in Brasilien haben, ist unvermeidbar – zumindest solange es keine klimafreundlichen Alternativen gibt. Das muss leider sein, wenn wir den Planeten retten wollen. Wer fliegen will, muss dann eben woanders sparen.