Die spritzige Ausstellung von Peaches in Hamburg

Ficken 2000

Peaches zeigt in Hamburg ihre erste Einzelausstellung, in der man unter anderem auf singendes Sexspielzeug trifft. Die erste Künstlerin, die sich radikal mit Sex beschäftigt, ist sie nicht.

Achtung rutschig! Es könnte Gleitgel auf dem Boden sein!« ist eine recht erfrischende Warnung vor dem Betreten einer Ausstellung. »Keine Tasche, die groß genug ist, um einen Dildo ein­zustecken!« liest man als Warnhinweis auch eher selten. Die Ausstellung von Peaches »Whose Jizz Is This?« (in etwa: Wessen Wichse ist das?) im Hamburger Kunstverein ist erwartbar genital.

Bei Peaches bleibt die Lust eine sozialpädagogisch perverse. Sie ist – sei es in den Songs, den Videos oder eben in dem Musical – Show.

Zwanzig Jahre ist es her, dass Peaches mit »Fuck the Pain Away« und Umschnalldildo auf die Bühne trat. In etwa zur selben Zeit hatte die eher prüde Charlotte in der Serie »Sex and the City« ihr sexuelles Erweckungs­erlebnis mit Mister Rabbit, einem Vibrator. Der Penis ohne dranhängenden Mann erfuhr in dieser Zeit seine popkulturelle Normalisierung. Die doppelte Codierung – subkulturell queer und poliert heterosexuell – war dafür unerlässlich. Mittlerweile empfiehlt ihn sogar eine Krankenkasse gegen Schlafstörungen. Die sogenannte Taschenmuschi hingegen, das Pendant für den Mann, fristet dagegen weiterhin ein Schattendasein.

Das liegt wohl auch daran, wie von ihren Nutzern über sie gesprochen wird: »Representing most of the vibe women have to offer these days. With­out the head-ache.« Der Satz stammt aus einer Produktvorstellung auf Youtube. Ein Mann, sein Kopf ist nicht im Bild, fummelt an einem »Mouth and Vagina Masterbator« – ­einem Silikonschlauch, am einen Ende Muschi, am anderen Mund – herum und erklärt, wie das Ding und vor ­allem wie viel besser es im Vergleich mit echten Frauen funktioniert. Das Ding ist kurios bis lächerlich. Das Video hingegen ist eklig, weil man dem Protagonisten absolut zutraut, dass er Frauen gleichermaßen nutzen würde wie den Masterbator, wenn er denn könnte.

Missbrauch, Safe Spaces und Orgien

Der Clip wird am Eingang gezeigt und bildet den Ausgangspunkt der Ausstellung, die ein »dekonstruiertes Musical in 14 Szenen« ist. Nach dem Clip tritt man in den Ausstellungsraum: Dunkelheit, Clubscheinwerfer und ein Laser. Peaches braucht immer Laser. Statt eine Retrospektive aus ­Videos und Kostümen der vergangenen 20 Jahre gezeigt zu bekommen, sieht man eine eigens konzipierte Show: Installationen, Drucke, Videos.

Ein Springbrunnen mit Ejakulationssymbolik.

Bild:
Fred Dott

Durch die 14 Stationen des Musicals wird man mithilfe einer Licht- und Soundchoreografie gelenkt. Performer sind die Doublemasterbators, von denen einige Motoren verpasst ­bekommen haben, was zur Folge hat, dass sich ihre Münder tatsächlich zum Gesang bewegen. Aufgereiht, ausgeleuchtet und damit gebrauchs­fertig liegen sie in der »Glory Hall« aus. In der nächsten Szene finden die Sexspielzeuge eine Freundin, nämlich Peaches selbst. Sie hält sich mit einer seltsam künstlich aussehenden Hand einen Doublemasterbator so vor ihr Gesicht, dass der Silikonmund ihren Mund im Profil ersetzt, sie quasi eins mit dem Toy wird. Das Bild dient auch als Werbeplakat zur Ausstellung und hängt überall in Hamburg.

Weitere Stationen erzählen von Missbrauch (ein skelettierter Roboter), dem Versuch, in einer Art Gruppentherapie ein Kollektiv zu bilden, Safe Spaces, Orgien und Vereinigung in einer »neuen Phantasie«. Es handelt sich also um eine Emanzipationsgeschichte. Die Silikonwürste erkennen sich, finden sich, erhalten eine Stimme, benennen sich in »Fleshies« um, suchen Lust und werden am Ende ein unentwirrbares Knäuel.

Statements und Parolen

An manchen Stellen funktioniert das sehr gut, etwa wenn eines der Fleshies schwärmerisch-melancholisch davon phantasiert, nicht mehr alleine zu sein und all den Praktiken, die es bei der menschlichen Nach­barin beobachtet hat, selbst zu fröhnen. Oder wenn man sich auf ein Schaumstofflager niederlegen muss, um dem Kaleidoskop an kopulierenden Sextoys zuzuschauen und ­dabei Beine, Arme und Haare bisher fremder Ausstellungsbesucher und Besucherinnen an und über sich spürt.

Was da lärmt, bleibt repetitiv und in der ästhetischen Form manchmal recht unbeholfen. Der Springbrunnen aus Fleshies beispielsweise sieht auf den ersten Blick aus wie Pappmaché und das, was da lustvolles Vollspritzen sein soll, plätschert ruhig wie in einem Gartencenter vor sich hin. Vielleicht ist die ganze Inszenierung doch einfach Ficken 2000, eine ­plakative und in die Jahre gekommene Postulierung der Sexpositivität wie zur Jahrtausendwende, als Peaches’ Song »Shake Yer Dix« noch auf ­jedem besseren Dancefloor als lautes Statement lief.

Statements und ­Parolen allerdings sind eben auch immer Peaches' Stärke gewesen, sie war nie Fachkraft für Zwischentöne. Diese Zwischentöne hätte man in Hinblick auf die Limitierung von Körpern und Lust durch äußere Zuschreibungen in den vergangenen Wochen in den Kunstwerken in Berlin erleben können. Dort wurde eine ­Retrospektive der 1950 geborenen ­slowakischen Transgender-Künstlerin Anna Daučíková gezeigt. Auch hier erfuhren Gegenstände eine Beseelung und wurden zu Trägerinnen von Lust. Die Videos »Queens Finger« und »Home Exercise« aus den späten Neunzigern sind wahnsinnig spröde und unglamourös.

»Arbeiter des Arschlochs«

Schnittlos wird einmal ein Glas, in dem ein ­Finger herumfährt, und dann ein kleiner Topfdeckel aus Emaille in ­ruckelnden Bewegungen unter einem Wasserstrahl abgefilmt. Im Kopf ­respektive Höschen entsteht dabei der Wunsch, diese Vagina oder eben jener Busen zu sein. Erotik ist oft assoziativ und entsteht wohl eher durch das Komplizierte und Vermittelte, nicht im Direkten und ­unvermittelten.

Dunkel wie in einem Nachtclub ist es in der Installation im Hamburger Kunstverein.

Bild:
Fred Dott

Die Direktorin des Hamburger Kunstvereins Bettina Steinbrügge schlägt zum Abschluss ihrer Eröffnungsrede der Peaches-Ausstellung vor, sich dem im »Kontrasexuellen Manifest« abgedruckten Vertrag von Paul B. Preciado (ehemals Beatriz Preciado) zu unterwerfen. »Ich, die hier Unterzeichnende, verzichte aus eigenem Willen auf meine ­natürliche Position als Mann oder als Frau auf jedes (soziale, ökonomische, erbrechtliche) Privileg und auf jede (soziale, ökonomische, reproduktive) Verpflichtung, die sich im Rahmen des naturalisierten heterozentristischen Systems aus meiner sexuellen Position ableitet. (…) Ich verstehe mich als Loch und als Arbeiter des Arschlochs.«

Dem Manifest zufolge soll Sex nicht mehr mittels primärer Geschlechtsteile praktiziert werden, sondern »herrschaftsfrei« mit Dildo und Anus. Wenn jeder einen Phallus haben und nutzen könne, verlöre der Penis seine Macht, das Arschloch kenne Geschlechtergrenzen nicht, so ließen sich alle auf die gleiche Art ficken.

Ein Spaß für die ganze Familie

Kerstin Stakemeier erkannte das bereits 2008 in ihrem Essay »Come. Möglichkeiten eines geilen Pornos« als ziemlichen Humbug: »Die sexuelle Praxis, die hieraus entsteht, realisiert sich zum einen in neoliberalen Sexverträgen, die das Verhältnis zu anderen Personen als hire and fire schlichtweg wiederholt und zum anderen die Verbindung der Reflexion, der gesellschaftlichen Imagination zum körperlichen, ­sexualisierten Menschen vollständig abschneidet, da das Subjekt des kontrasexuellen Manifests kaum mehr ein Subjekt ist, eher eine ­narzisstische Ansammlung von Überforderung. Damit wird der Härtefall der Pornografie zur gesellschaft­lichen Utopie – endlich Objekt!« Folgerichtig heißt die stattfindende ­Bühnenshow auf Kampnagel, die in ­Kooperation mit der Ausstellung ­laufen wird, dann auch »There’s only one peach with the hole in the middle«.

Bei Peaches bleibt die Lust eine sozialpädagogisch perverse. Sie ist – sei es in den Songs, den Videos oder eben in dem Musical – Show. Eine, die diese Show schon viel früher abgeliefert hat, war Lynda Benglis, die 1974 eine Anzeige im amerikanischen Artforum schaltete: Ihr nackter Körper ist eingeölt, ihr Blick ­herausfordernd, zwischen ihren Beinen ein aufgerichteter Dildo. Die Seite wurde vielerorts aus dem Magazin gerissen und die Leitung der Zeitschrift trat zurück.

Einen derartigen Skandal kann heute keine Performance von Peaches mehr schaffen. Oder nach Stakemeier: »Denn dass Pornos nun in Galerien und Museen gezeigt werden, bedeutet nur ihre Desexualisierung und Ästhetisierung und ist daher in erster Linie eins: ungeil.« Ein Spaß ist es dennoch. Vielleicht sogar für die ganze Familie.
Whose Jizz Is This? Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Oktober im Kunstverein in Hamburg zu sehen.