Der Historiker Jeffrey Herf über das Verhältnis der DDR zu Israel

Der unerklärte Krieg

Interview Von Till Schmidt

Die DDR führte de facto einen Krieg gegen Israel, sagt der US-Historiker Jeffrey Herf. Die SED kämpfte nicht nur propagandistisch gegen den jüdischen Staat, sondern rüstete auch seine Feinde auf.

Auf welche Weise hat die DDR die Feinde Israels unterstützt?
Das geschah mit Geld, Waffen, militärischem Training, Propagandakampagnen, aber auch diplomatisch, und hier vor allem bei den Vereinten Nationen. Empfänger dieser Unterstützung waren Gruppen wie die Palästinensische Befreiungsorgani­sation (PLO), die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) sowie Israel feindlich gesinnte Staaten wie der Irak unter Saddam Hussein und insbesondere Syrien unter Hafez al-Assad.
Zweck dieser vielfältigen Hilfe war es, diese Akteure in ihren Angriffen auf Israel und seine Bürger zu unterstützen. Der weitaus größte Teil der militärischen Unterstützung für die arabischen Staaten und die PLO kam direkt aus der Sowjetunion. Doch die von mir ausgewerteten Akten der Stasi, des ostdeutschen Außen- und Verteidigungsministeriums sowie des Politbüros belegen: Bei der Offensive gegen Israel nahm die DDR innerhalb des sowjetischen Blocks eine führende Rolle ein.

Inwiefern?
Besonders stolz war die DDR auf ihre »antiimperialistische und antizio­nistische Solidarität« mit der PLO und Hafez al-Assads Syrien. In der offen antisemitischen Propaganda tat sich vor allem die Sowjetunion hervor, etwa indem die Politik Israels immer wieder genüsslich mit dem Nationalsozialismus verglichen wurde. Doch auch das Zentralorgan der Sozia­listischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die Zeitung Neues Deutschland, stand dem in nichts nach.
Die klassische sowjetische Propaganda wurde gerne und häufig wiederholt. Israel wurde für den Nahostkonflikt verantwortlich gemacht und der Zionismus als »Werkzeug des US-Impe­rialismus« denunziert. 1971 besuchte Yassir Arafat (der Begründer und Anführer der Fatah, die zahlreiche terroristische Anschläge auf israelische, jordanische und libanesische Ziele verübte; Anm. d. Red.) zum ersten Mal Ostberlin. Das erste Büro der PLO in Europa wurde 1973 in der DDR eröffnet.

 

Wie kam es zu dieser umfangreichen Unterstützung von antizionistischen Gruppen und Staaten?
Die Politik der DDR resultierte aus tiefer ideologischer Überzeugung, die ihre Grundlage in einer strikt marxistisch-leninistischen Interpretati­on der Weltpolitik hatte. Dazu kam die Bemühung, Westdeutschland zu bekämpfen, indem man die westdeutsche Unterstützung Israels denunzierte. Dadurch versuchte Ostberlin, sich als das »bessere« – sprich antizionistische – Deutschland zu präsen­tieren.
Die vom sowjetischen Block geleistete Unterstützung der Feinde Israels war Mitte der sechziger Jahre bereits stark und wuchs nach dem Sechstagekrieg 1967 noch einmal drastisch an. Die DDR unterstützte ­Syrien und die PLO bis zu ihrem Ende. Zwischen 1960 und 1989 kam es zu keinen grundlegenden Veränderungen in der israelfeindlichen Politik Ostdeutschlands.

Gab es innerhalb des DDR-Regierungsapparates oder bei der Bevölkerung auch Ablehnung gegen die antizionistische Politik?
Nein, eine bedeutende Opposition gegen die Haltung zu Israel gab es nicht. Die antikosmopolitischen Schau­prozesse von 1949 bis 1956 und vor ­allem die Verhaftung des SED-Politikers Paul Merker 1952 beendeten die letzten Hoffnungen auf eine Unterstützung Israels durch die DDR. Die Frage nach den Auswirkungen der Israel-Feindschaft des Regimes auf die Alltagskultur in der DDR können andere Historiker besser beantworten.
Die Ausstellung und das Buch »Antisemitismus hat es bei uns nicht gegeben« der Amadeu-Antonio-Stiftung zum Beispiel geben hier wich­tige Einsichten. Man sollte aber nicht vergessen, dass das Regime über ein Pressemonopol verfügte – und deren Botschaften waren durchweg israelfeindlich.

 

Wie reagierte die ostdeutsche jüdische Gemeinschaft auf dieses israelfeindliche gesellschaftliche Klima?
Nach den Prozessen der fünfziger Jahre floh ein großer Teil der ostdeutschen jüdischen Gemeinschaft in den Westen. Die Verhaftungen und Prozesse endeten in der Unterdrückung einer jeden verbalen Opposition gegen die Israel-Politik des Regimes. Ein für die deutsche Leserschaft besonders interessanter Teil meines Buchs beleuchtet die äußerst wichtige Rolle, die der Zentralrat der Juden in Deutschland damals spielte.
Hervorzuheben sind hier vor allem die Schriften und Reden von Heinz Galinski (von 1954 bis 1963 Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie von 1949 bis 1992 Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Anm. d. Red.). Der Zentralrat zeigte für die Israel-Feindschaft der Neuen Linken sowie für die Ursprünge und das Ausmaß des Linksterrorismus in den siebziger Jahren besondere Aufmerksamkeit.

Sie haben auch die Reaktionen der israelischen UN-Gesandten auf die antizionistische Politik untersucht.
Eingehend beschäftig haben mich die Interventionen der israelischen UN-Botschafter, vor allem von Gideon Rafael, Abba Eban, Yosef Tekoah und Yehuda Blum. Diese hatten eine bemerkenswerte Dokumentation der terroristischen Angriffe auf Israel in der Zeit zwischen 1967 und 1989 angelegt und zudem eloquente Antworten auf die rhetorischen Attacken auf Israel bei der UN durch den ­sowjetischen Block, die arabischen Staaten und die Organisation der Islamischen Staaten gegeben. Diese Entgegnungen zeugen von Redegewandtheit und Mut, sie sind es wert, auch in Deutschland gelesen und studiert zu werden.

Sie sprechen von einer »eurozentrischen Definition der Terrorismusbekämpfung« durch die DDR. Was meinen Sie damit?
Das ist eine komplexe Angelegenheit. Die Stasi hat mit der PLO für terroristische Attacken auf Israel zusammengearbeitet, sie aber davon ab­gehalten, die Staaten des ­sowjetischen Blocks und allen voran die DDR für Anschläge auf die Bundesrepublik und Westeuropa zu nutzen. Die Stasi wusste, dass dies die Entspannungspolitik durch die USA sowie die Neue Ostpolitik der Bundesrepublik (die an Entspannung orientierte Außenpolitik der sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt ab 1969, Anm. d. Red.) unterminieren würde.

 

Wie bewerten Sie den unerklärten Krieg der DDR gegen Israel abschließend?
Die Sowjetunion, der sowjetische Block und auch die DDR haben ihren eigenen Teil zur Geschichte des Antisemitismus beigetragen. Der älteste Hass der Welt wurde in einen Mantel des Antifaschismus und Antiimperi­alismus gekleidet. Die Lügen über die Geschichte des Zionismus, die Geschichte der Gründung des Staates ­Israel und sein Wesen sind heutzutage immer noch Teil eines giftigen ideologischen Gebräus.
Insofern sind die Rhetorik und die Ideen, die wir heute etwa bei den israelfeindlichen BDS-Kampagnen an Universitäten finden, alles andere als neu. Etwas, das wir aus der unseligen UN-Resolution »Zionismus ist Rassismus« von 1975 kennen, hat nun akademischen Glanz erhalten.

Israel erfuhr Ablehnung, aber auch Unterstützung durch westliche Staaten.
Die Gründung Israels wurde in den entscheidenden Monaten von 1947 bis 1948 von Seiten des größten Teils der US-amerikanischen, britischen und französischen Außen- und Militärpolitik mit Opposition und Unbehagen begleitet. Die stärkste moralische und diplomatische Unterstützung für den neuen, jüdischen Staat kam jedoch von US-amerikanischen und britischen Liberalen, französischen Kommunisten und Sozialisten, gaullistischen Veteranen der französischen Resistance sowie von italienischen Linken.
Bei den Vereinten Nationen waren es die Sowjetunion, die Tschechoslowakei, Ungarn und Polen, die den Teilungsplan von 1947 am entschiedensten unterstützten. Die wichtigste militärische Hilfe kam damals aus der Tschechoslowakei. Dies alles ist Thema meines nächsten Buches: »Israel’s Moment: Support and Opposition in the United States and Europe, 1945–1949«.

Jeffrey Herf: Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967–1989. Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz. Wallstein-Verlag, Berlin ca. 39 Euro, ca. 560 Seiten. Erscheint voraussichtlich Ende September.