Rechte Hegemonie in Ostdeutschland

Aufmarsch Ost

Ein fulminanter Wahlsieg der AfD in Sachsen wäre beängstigend. Doch viel gefährlicher ist die völkische Mobilmachung jenseits der Wahlurnen.

25 Prozent der Stimmen in Sachsen, 21 Prozent in Brandenburg – jüngsten Umfragen zufolge sieht es danach aus, als könne die völkisch-nationalistische »Alternative für Deutschland« (AfD) bei den Landtagswahlen in den beiden Bundesländern am 1. September erstmals stärkste Partei werden. Für das bisher von SPD und Linkspartei regierte Brandenburg zeichnet sich angesichts des zu erwartenden Siegs der AfD eine umfassende Veränderung der politischen Verhältnisse ab.

Alle Kraft in die Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der AfD zu stecken, überhöht die Bedeutung von Wahlen.

In Sachsen, wo offiziell eine große Koalition, faktisch aber die CDU alleine regiert, ist der Erfolg der AfD weniger verwunderlich. Schließlich betreibt die sächsische Union schon seit Jahren Politik mit dem Ziel der Integration des rassistischen Milieus. Diese hat zur Folge, dass völkisches, rassistisches und nationalistisches Gedankengut gesellschaftlich akzeptiert ist und von der selbsternannten Mitte formuliert wird. Die CDU habe in Sachsen die Spur planiert, auf der sie derzeit von der AfD überholt werde, schrieb der Autor Michael Bittner in der Zeitschrift Konkret.

Die bundesweite Rechtsverschiebung verdichtet sich in Ostdeutschland zur alltagskulturellen rechten Hegemonie, die sich dort nun auch parlamentarisch niederschlagen dürfte. Als einer der wichtigsten Gründe hierfür gilt die Wendegeschichte, der Ausverkauf der ansässigen Wirtschaft und die darauffolgende »soziale Katastrophe« (Manja Präkels), die weite Teile der ehemaligen DDR erschütterte.

Opfermythos statt Analyse

Tatsächlich hat die ostdeutsche Gesellschaft eine ähnliche Transformation durchgemacht wie die ehemals sowjetischen Staaten, in denen die neuen Verhältnisse in Verbindung mit ökonomischen Krisen ebenfalls zu einem massiven Ausbruch nationalistischer Gewalt geführt hatten. Doch haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse in den vergangenen 30 Jahren verändert, Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit sind in Ost und West mittlerweile fast gleich.

Der fortbestehende pay gap zwischen den neuen und den alten Bundesländern dient nur begrenzt der Erklärung, schließlich wählen Frauen wegen ihrer schlechteren Entlohnung auch nicht vermehrt rechte Parteien. Der ständige Verweis auf den »abgehängten Osten« dient weniger der Analyse, als dem Opfermythos, der von allen Parteien genährt wird.

 »Die fühlen sich betrogen. Aus dieser Demütigung und dem Verletztsein entsteht Wut«, sagte etwa die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) im vergangenen Jahr dem Spiegel. Zu diesem tradierten Gefühl der Demütigung durch »den Westen« kommt der Stolz, schon einmal auf der Straße ein System gestürzt zu haben (siehe Seite 4).

Als die Macht der Straße kurz nach dem Mauerfall ein zweites Mal eingesetzt wurde, hatte sich die in den Anfangstagen der Wendeproteste von manchen Beteiligten noch als demokratische Forderung verstandene Parole »Wir sind das Volk« bereits zum völkischen Schlachtruf entwickelt. In Hoyerswerda (1991) und Rostock-Lichtenhagen (1992) schaute der Staat der Menschenhatz zu, was die Rechten als Erfolg empfanden.

»Generation Hoyerswerda«

Die Journalistin Heike Kleffner spricht von der »Generation Hoyerswerda«, die sich ihr Selbstbewusstsein aus diesen Tagen bis heute bewahrt habe. Die AfD versteht es, diese nationalistische ostdeutsche Gefühlswelt anzusprechen. Den Slogan »Vollende die Wende« plakatiert sie in Brandenburg, das Wahlkampfmotto ist »Wende 2.0«. In Sachsen geht die Partei unter dem Motto »Der Osten steht auf« auf Stimmenfang. Die heutigen »Wir sind das Volk«-Rufe stehen in dieser doppelten Tradition, unter der sich Teile des konservativen Bürgertums, getrieben von eben jenem identitärem Stolz und Selbstmitleid, mit der neonazistischen »Generation Hoyerswerda« verbünden.

Doch in manchen Bereichen der sogenannten Ostdeutschlandforschung herrscht Apologetik vor; stellenweise gibt es sogar Versuche, die ostdeutsche Entwicklung mit postkolonialern Theorien zu erklären und eine »Dekolonisierung« zu fordern, wie beispielsweise Katalin Gennburg aus dem Bundesvorstand der Linkspartei 2017 im Magazin Ost Journal.

Eine andere Variante ist, die Erfahrung vieler Ostdeutscher mit der Stigmatisierung und Diskriminierung von Migrantinnen und Migranten gleichzusetzen, wie die Leiterin des »Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung« (DeZIM), Naika Foroutan, oder Petra Köpping mit ihrem Buch »Integriert doch erst mal uns!«. Sie verfallen bei der Ursachenforschung in eine Täter-Opfer-Umkehr und entlasten die Protagonistinnen und Protagonisten der konformistischen Rebellion. Michael Lühmann vom Göttinger Institut für Demokratieforschung spricht diesbezüglich von der »Infantilisierung der Ostdeutschen«.

Schließlich hatten sich diese mehrheitlich schnell von den durchaus vorhandenen alternativen Ideen für die Post-DDR-Zeit ab- und der Marktwirtschaft zugewendet. Zudem beschafften sie in Sachsen der CDU, also der treibenden Kraft der kapitalistischen Übernahme der DDR, über Jahrzehnte hinweg die absolute Mehrheit.

Mathematik statt politisches Bewusstsein

Die autoritäre Revolte findet in den Landschaften, die entgegen anderslautenden Versprechen eben nie geblüht haben, fruchtbaren Boden und reicht weit über das genuin rassistische Milieu hinaus. So werden die beiden Landtagswahlen wohl nicht nur die ersten Wahlsiege der AfD mit sich bringen, sondern möglicherweise auch in Sachsen die erste schwarz-blaue Koalition in der Bundesrepublik. Zwar lehnt Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer bisher eine Koalition mit der AfD strikt ab, aber es ist gut möglich, dass er nach dem zu erwartenden schlechten Abschneiden der CDU nicht mehr viel zu sagen haben wird.

Die drohende politische Institutionalisierung der Rechtsentwicklung hat in den vergangenen Monaten zu einer enorm gesteigerten Aktivität gegen rechts geführt. Neue Bündnisse sind entstanden, linke Gruppen tingeln durch die Provinz – beispielsweise im Rahmen der Kampagne »Wann, wenn nicht jetzt« –, mit Plakataktionen wird gegen Rechts­populismus mobilgemacht und Demonstrationen sollen den »anderen Osten« auf die Beine bringen.

Hinzu kommen Kampagnen mit dem Ziel, eine Regierungsbeteiligung der AfD zu verhindern. Dies nimmt bisweilen absurde Züge an. So ersetzt zum Beispiel die Initiative »Zukunft Sachsen« politisches Bewusstsein durch Mathematik und rechnet vor, dass nur Stimmen für CDU, FDP und Grüne dem »Kampf gegen rechts« dienten, da eine schwarz-rot-grüne Koalition die einzig realistische Alternative zu einer schwarz-blauen Landesregierung sei. Dabei blendet sie aus, dass die sächsische Union weiter rechts steht als so mancher westdeutsche AfD-Kreisverband und eine mitregierende AfD in vielen Bereichen nur die autoritäre und rassistische, auf Heimat und Identität aufbauende Politik der CDU fortführen würde.

Wahlen sind nicht alles

Nicht alle blenden die sächsischen Verhältnisse so aus wie »Zukunft Sachsen«, aber bis in die Linke wird befürchtet, dass mit einer Regierungsbeteiligung der AfD der Faschismus zurückkehre. Was dabei oft vergessen wird: Wahlergebnisse sind nur ein Abbild des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses, Wahlen sind aber nicht der Ort, wo es entsteht. Dies darf nicht bedeuteten, die konkreten Folgen und Gefahren einer rechtsextremen Regierung kleinzureden, ganz besonders die Gefahren für jene, die kein Wahlrecht und keinen deutschen Pass besitzen sowie für alle Menschen und Gruppen, die auf den Feindeslisten der Nazis stehen.

Alle Kraft politischer Arbeit in die Verhinderung einer Regierungsbeteiligung der AfD zu stecken, überhöht jedoch in gefährlichem Maße die Bedeutung von Wahlen. Das lässt sich an Thüringen aufzeigen, wo im Oktober ebenfalls Landtagswahlen anstehen. Der Freistaat wird seit 2014 von der Linkspartei in Koalition mit der SPD und den Grünen regiert. Seit dem Amtsantritt der – damals bundesweit ersten – rot-rot-grünen Landesregierung haben sich rassistische Einstellungen dort erheblich ausgebreitet.

Mittlerweile sind über die Hälfte der Thüringer und Thüringerinnen der Meinung, die Bundesrepublik sei »in gefährlichem Maß überfremdet«. Die Indikatoren für »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« sind dort fünf bis zehn Prozent größer als im bereits erschreckend hohen ostdeutschen Durchschnitt und das, obwohl es dem Bundesland wirtschaftlich besser geht als anderen im Osten.

Autoritäre Formierung

Die Fokussierung politischer Arbeit auf die Wahlen als die Stelle, an der die bedrohliche gesellschaftliche Entwicklung aufzuhalten sei, verkennt, dass eine autoritäre und nationalistische Formierung längst im Gange ist. Die Asylrechtsverschärfungen, Abschiebungen und repressiven Polizeigesetze, neonazistische Strukturen in den Sicherheitsbehörden und rechter Terror auf den Straßen, von Deutschland finanzierte Folterlager in Libyen, das Massensterben im Mittelmeer – all das findet be­reits statt.

Dies wird auch im Kleinen sichtbar. Um ein »Ghetto von arabischstämmigen Migranten« im Dresdner Viertel Ferdinandstraße zu verhindern, stellte die »Bürgerfraktion« einen Antrag im Stadtrat: Die Stadt solle darauf hinwirken, dass der Anteil migrantischer Bevölkerung 30 Prozent nicht überschreite, um den »Wechsel der ethnischen Mieterstruktur« aufzuhalten. Das ist die rassistische These von der »Umvolkung«. Der Antrag wurde mit 31 zu 30 Stimmen abgelehnt. Bis auf den Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) stimmten alle Abgeordneten von CDU, FDP, AfD und Bürgerfraktion dafür.

Selbstverständlich würde sich die Lage mit der AfD in der Regierung noch verschlimmern. Wer jedoch daraus schlussfolgert, man müsse das kleinere Übel unterstützen, wird irgendwann feststellen, dass so jeder schleichende Rückschritt legitimiert wird. Die gesteigerte Aktivität von Initiativen gegen rechts ist ein gutes Zeichen. Sie kann aber nur Erfolg haben, solange sie nicht beim Aktivismus vor Wahlen stehenbleibt, sondern der rechten Hegemonie die Räume streitig macht – oder zumindest dafür sorgt, dass die autoritären Charaktere wieder Angst haben, offen auszusprechen und zu verwirklichen, was sie denken. Vor den Wahlen ist das genauso wichtig wie danach, und auch dort, wo man sich noch vermeintlich sicher fühlt.