Die AfD und die Landtagswahl in Sachsen

»Die AfD ist Fleisch vom Fleisch der CDU«

Interview Von Carl Melchers

Die AfD ist als Abspaltung der CDU zu verstehen, sagt Danilo Starosta vom Kulturbüro Sachsen. Ein Gespräch über rechte Hegemonie und was ein Wahlerfolg der AfD für Sachsen bedeuten würde.

Sachsen wird seit 1990 von derselben Partei, der CDU, regiert. Zudem gilt das Land seit Jahren auch als Hochburg der extremen Rechten. Gibt es da einen Zusammenhang?
Diese Kontinuität in der Landesregierung gibt es in Bayern und bis vor kurzem in Baden-Württemberg ebenfalls. Auch regiert die CDU in Sachsen ja bereits mehr als ein Jahrzehnt nicht mehr allein. Das hat etwas mit Veränderungen in Sachsen zu tun, die ich mit Vorsicht auch als durchaus auch positiv bezeichnen würde. Die sprichwörtlichen sächsischen Verhältnissen sind dennoch weiterhin eine nicht zu leugnende Realität. Darunter verstehe ich aber nicht die politische Kontinuität einer Partei, die permanent hohe Wählerzustimmung bekommt. Es gibt in Sachsen nach wie vor eine weitverbreitete sehr merkwürdige Auffassung von Meinungsfreiheit. Das bereitetet uns vom Kulturbüro Sachsen schon seit der Gründung des Vereins Sorge.

Wie äußert sich diese sonderbare Auffassung von Meinungsfreiheit?
Etwa wenn man unter Rückgriff auf die sogenannte Extremismustheorie ganz vieles für politisch radikal oder extrem erklärt, was in anderen Teilen der Republik als alternative Lebensweise akzeptiert wäre und oft als unterstützenswert gilt. In dieser Beziehung ist Sachsen ziemlich rückständig.

Was bedeutet das für die politische Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen?
Antifaschistisches Engagement, das sich der neonazistischen Bewegung in Sachsen von Anfang an in den Weg gestellt hat, ist nie unterstützt worden. Im Gegenteil, solches Engagement stand stets unter dem Verdacht, eine extremistische Bestrebung darzustellen. Für die Vorstellung, dass es eine Grundvoraussetzung jeder freiheitlichen und demokratischen Entwicklung im Land ist, sich auch klar zum Antifaschismus zu bekennen, war kein Platz.

 

Stehen angesichts des Problems mit Neonazis in Sachsen auch eher moderate Kräfte unter Extremismusverdacht, wenn sie sich gegen diese engagieren?
Allerdings. Mit dem Extremismusvorwurf ging eine Diskreditierung von Vorfeldorganisationen der Linkspartei, der SPD, aber auch von Gewerkschaften einher, die immer wieder versuchten, antifaschistisches Engagement zu unterstützen. Nehmen Sie das Beispiel der umfangreichen Überwachung von Telekommunikation während einer antifaschistischen Demonstartion im Februar 2011 in Dresden. Es wäre in einem anderen Bundesland als Sachsen kaum vorstellbar, dass so etwas keinerlei Konsequenzen hat. Das ist auch etwas, was sächsische Verhältnisse auszeichnet: dieser Wille, aus einem etatistischen Verständnis von Politik dieses Land zu regieren.
Im derzeitigen Wahlkampf postuliert die CDU die Weiterentwicklung einer »christdemokratischen Demokratie«, als gäbe es so etwas. Die Christdemokratie kann nur eine der Stimmen sein, die gemeinsam mit einer sehr heterogenen Bevölkerung dieses Bundeslands auch Fragen von Bürgerrechten oder Bürgerbeteiligung diskutiert. Wenn Demokratie einzig im Sinne eines Machtanspruchs der jeweils stärksten politischen Kraft missverstanden wird und nicht als Delegation von Verantwortung, dann haben wir es mit etwas sehr Speziellem zu tun, mit einer Kontinuität, die gefährlich an das erinnert, was wir in anderen transformierten postsozialistischen Ländern sehen können, nämlich in Polen, in der Slowakei oder in Ungarn. Eben die Entwicklung hin zu einer »illiberalen Demokratie«.

Die CDU hat bei den kommenden Wahlen eine starke Konkurrentin in der AfD. Was erwarten Sie von dieser Entwicklung?
Die politischen Verhältnisse sind diesbezüglich nicht elementar anders als in anderen Teilen der Bundesrepublik. Es gibt ein Erstarken einer Abspaltung der CDU, die sich unter dem Namen »Alternative für Deutschland« zu einem Sammelbecken verschiedener reaktionärer Strömungen entwickelt hat. Es eint sie die Überzeugung, eine andere Form der Durchsetzung öffentlicher Ordnung voranzutreiben. Das ist eine Herausforderung, vor allem für die CDU, was nicht verwunderlich ist, denn die AfD ist Fleisch vom Fleisch der CDU, auch wenn die Anhänger beider Parteien das nicht so gerne hören.

 

Sie haben vorhin die Situation in Sachsen mit der in anderen postsozialistischen Staaten verglichen. Können Sie das ausführen?
Der Transformationsprozess in Sachsen erinnert stark an den in anderen postsozialistischen Ländern. Als Länder mit einer ähnlichen Geschichte existieren dort in vielerlei Hinsicht vergleichbare Vorstellungen von Autorität. Die Liberalisierung der Gesellschaft wurde im Osten wie im Westen Deutschlands aufgrund eines einheitlichen Gesetzgebungsverfahrens vollzogen. Aber da sind gerade im Osten nach der Wende viele Leute nicht mitgenommen worden.
Viele Menschen dort haben nicht verstanden, was die Liberalisierung ihnen an positiven Neuerungen gebracht hat, oder lehnen es ab, in dieser Entwicklung etwas Positives zu sehen. Es wurde auch meist nicht wirklich darauf gehört, mit welchen Lebenssituationen die Menschen vor Ort konfrontiert sind. Das wird natürlich oft gerade von wirtschaftsliberalen Strömungen aller Parteien abgestritten, die sagen, es werde alles gut, wenn genügend Arbeitsplätze geschaffen werden.

Ist die Wirtschaft denn überhaupt ein Problem in Sachsen? Im Vergleich zu den anderen ostdeutschen Bundsländern schneidet doch gerade Sachsen ganz gut ab.
Die Wirtschaft ist in gewisser Weise schon ein Problem, auch in Sachsen. Derzeit sind die Beschäftigungszahlen gut, es gibt recht viel mittelständische Industrie, es gibt auch Wirtschaftswachstum um die »Leuchttürme« Dresden und Leipzig herum, es gibt eine große Industrie für Maschinenzulieferer in Westsachsen. Aber schauen wir nach Ostsachsen, wird es schon dünner.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat nicht unrecht, wenn er sagt, Sachsen müsse raus aus der Rolle der verlängerten Werkbank. Entwicklung in Hochtechnologie und Prosperitätsgewinn gibt es nicht. Vielleicht ändert wich das, wenn man es ernst nimmt mit der Energiewende und Neurerungen vorantreibt, wie zum Beispiel die Entwicklung von Keramikbatterien.

 

Es gab bereits Prognosen, nach denen die AfD stärkste Fraktion im Sächsischen Landtag werden könnte. Wie bereiten sich Nichtregierungsorganisationen wie die Ihre auf die Situation nach der Wahl vor?
Zurzeit haben wir diesbezüglich keine konkreten Pläne. In der jetzigen Situation wäre das auch eher Kaffeesatzleserei. In einer Prognose von Anfang des Monats war die CDU wieder stärkste Kraft. Bei den wenigen Prozenten hin und her wird es interessant, wenn sich im Herbst eine Regierungsbildung abzeichnet. Es gibt mehrere Szenarien, meiner Meinung nach pragmatisch für die CDU wäre das Szenario der CDU als Minderheitsregierung.
Zunächst geht es uns darum, deutlich zu machen, dass eine Veränderung in Sachsen ansteht. Die wird spürbar sein. Denn eine AfD, die mit 20 oder 25 Prozent in den Landtag wiedereinzieht, bekommt einen Mitarbeiterstab, hat Möglichkeiten, Untersuchungsausschüsse einzuberufen, bei 25 Prozent sogar ohne jegliche Unterstützung anderer Parteien. Die extreme Rechte wäre dann in der Lage, das weiter auszubauen, was der französische Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, seit Jahren propagiert, nämlich den Aufbau einer kulturellen Hegemonie. Viele Leute sehnen sich nach anderen Zuständen. Die extreme Rechte meint nun, einen günstigen Zeitpunkt gefunden zu haben, ihre Vorstellungen umzusetzen. Da liegt sie grundsätzlich leider nicht falsch. Bestimmte Milieus diskutieren etwa in den sozialen Medien, dass in Schulen die Kinder nach rassistischen Stereotypen segregierte Treppenaufgänge nutzen sollen. Dem muss man so entschlossen wie möglich widersprechen und entgegentreten.