Erhöhte Radioaktivität in Russland

Tschernobyl mit Mach 10

Kommentar Von Detlef zum Winkel

Kürzlich gab es schwere Unfälle auf russischen Militärbasen, auch geringer radioaktiver Fallout wurde festgestellt.

Anfang August ereigneten sich in schneller Folge drei schwere Unfälle auf russischen Militärbasen. Am 5. August explodierten Munitionsbestände in einem Lager bei Atschinsk in der Region Krasnojarsk. Drei Tage danach knallte es auf dem Testgelände von Njonoksa bei Sewerodwinsk am Weißen Meer. Einen Tag später schlug ein Blitz in die bereits beschädigte Anlage von Atschinsk ein und verursachte einen neuerlichen Brand. Insgesamt gab es mehrere Tote und Verletzte.

Nach dem Unfall in Njonoksa wurde zeitweise ein geringer radioaktiver Fallout gemessen. Menschen in der Umgebung kauften Jodtabletten, westliche Medien schrieben über einen Atomunfall. Dass am Unfall Nukleartechnik maßgeblich beteiligt war, zeigt der Umstand, dass das russische Atomenergieunternehmen Rosatom eine Trauerfeier für verstorbene Mitarbeiter veranstaltete. Sein Generaldirektor Alexej Lichatschow ehrte die Toten als Helden und gab Durchhalteparolen aus.

Das Projekt, an dem sie gearbeitet hätten, werde auf alle Fälle fortgesetzt. Internationale Kunden von Rosatom, die es noch nicht wussten, dürfen zur Kenntnis nehmen, dass es sich auch um ein militärisches Unternehmen handelt, nicht nur um einen Energiekonzern. Vielleicht hat es die Atomenergiebehörde in Wien endlich mitbekommen. Auch der Konzern Siemens hätte etwas aufzuarbeiten: Vor zehn Jahren feierte der Münchner Konzern eine spektakuläre Allianz mit Rosatom.

Der jüngste als Atomunfall bezeichnete Vorfall ist freilich nicht mit einem Super-GAU wie in Tschernobyl oder Fukushima zu vergleichen. Bei der Explosion oder dem Brand eines Reaktors werden weitaus größere Mengen an Radioaktivität freigesetzt. Russische Offizielle sprachen vom Test eines neuen Raketentriebwerks, dabei habe sich Treibstoff entzündet. Aufgrund dieser spärlichen Informationen vermuten westliche Militärexperten, es handele sich um die in Russland als »Burewestnik« bezeichnete Rakete, die bei der Nato unter dem Namen »Skyfall« rangiert. US-Präsident Donald Trump beeilte sich zu twittern, dass die USA auch so etwas besäßen und viel aus der »missglückten Raketenexplosion« lernen könnten.

»Fliegendes Tschernobyl«

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte vor anderthalb Jahren neue Marschflugkörper vorgestellt, mit denen Russland auf die Modernisierung des US-Arsenals antworten werde. Sie verfügten über einen Nuklearantrieb, mit dem sie praktisch auf dem gesamten Planeten Ziele erreichen könnten. Eine vom russischen Verteidigungsministerium produzierte Videoanimation zeigt den Flugkörper, wie er über Berge und Täler saust, einen weiten Bogen über den Atlantik nimmt, die feindliche Abwehr elegant umfliegend, um bei Feuerland in den Pazifik einzuschlagen.

Da sich das Gerät mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit bewege – Mach fünf, Mach zehn oder sogar Mach 20 –, verdamme es alle westlichen Raketenabwehrsysteme zur Nutzlosigkeit, meinte Putin unter dem Beifall der versammelten Nomenklatura. Anfang Februar kündigte die US-Regierung den INF-Vertrag, der die nukleare Abrüstung im Mittelstreckenbereich regelt, da sie Russland Vertragsverletzungen vorwarf, das kurz darauf ebenfalls ausstieg. Am 2. August lief der Vertrag offiziell aus.

Die oppositionelle Zeitung Nowaja Gaseta bezeichnet die neuen Marschflugkörper als »fliegendes Tschernobyl«. Sie hat die Clips des Verteidigungsministeriums reproduziert und sie mit Musik aus Beethovens 5. Sinfonie, der Schicksalssinfonie, unterlegt. Die Dauer eines Beethoven-Satzes hat allerdings noch keines dieser Objekte als Flugdauer erreicht, weder in Russland noch in den USA noch in China.