»The Competition«, das neue Album von Lower Dens

Selbstliebe statt Selbstmitleid

Die zum Duo geschrumpften Lower Dens präsentieren auf ihrem neuen Album glamourösen ­Disco-Pop. Sänger Jana Hunter singt von Liebe und Hass – politisch wie persönlich.

Eine musikalische Weiterentwicklung war bei der Band Lower Dens aus Baltimore durchaus zu erwarten, aber die Weise, in der sie sich auf ihrer vierten Platte »The Competition« zeigt, ist dann doch überraschend. Nach drei hörenswerten Alben, deren musikalische Ausdrucksmittel sich zwischen psychedelischem Indierock und stets synthielastigerem Wave-Pop bewegten, kann das Attribut »Indie« für die Band nun getrost beiseite gelegt werden. Die elf Songs auf dem neu­en Album sind schillernder Pop, der mehr mit Donna Summer und den Chromatics gemein hat als mit Shoegaze oder Bands wie Yo La Tengo und Explosions in the Sky, mit denen Lower Dens in den vergangenen Jahren tourten. Sicherlich hängt der neue musikalische Schwerpunkt auch damit zusammen, dass die Gruppe inzwischen nur noch aus Singer/Songwriter Jana Hunter und Schlagzeuger Nate Nelson besteht.

Während Bassist Geoff Graham und Gitarrist Walker Teret auf der Vorgängerplatte »Escape From Evil« (2015) noch eine wichtige Rolle spielten, kommen die oftmals treibenden Bassläufe jetzt vom Sequencer und erinnern bisweilen an den Hi-NRG-Discosound der frühen achtziger Jahre. Gitarren werden pointiert als Klangfarbe und nicht als Harmonieinstrument zum Einsatz gebracht, glossy und verhallt sorgen sie vor allem für zusätzliche Eleganz. Bei den mal wuchtigen, mal hibbeligen Beats ist es schwer zu sagen, welche Parts programmiert und welche eingespielt wurden. In jedem Fall merkt man dem Album an, dass die beiden Bandmitglieder sehr bewusst an der Klangästhetik gearbeitet haben. Hunter, der auch in klassischer Musik bewandert ist und ursprünglich aus der Weird-Folk-Szene um Devendra Banhart und Coco Rosie stammt, betont in Interviews, dass das Sounddesign gegenüber dem reinen Songwriting eine immer größere Bedeutung für ihn einnehme.

Hunter formuliert auf »The Competition« durchgängig eine Kapitalismuskritik, die das Private und das Psychische mit einbezieht. Die im Albumtitel benannte Konkurrenz bezieht sich sowohl auf den gesellschaftlich-ökoniomischen Alltag, in dem letztlich alles nach seinem Wert bemessen wird, als auch auf Liebe und persönliche Identität, die ebenfalls Wettbewerb und Argwohn unterworfen sind.

 

Die erste Single des Albums, »Young Republicans«, behandelt, wie der Titel bereits andeutet, die politische Situation in den USA. Das geradezu euphorische, leichtfüßige Tanzflächen­stück beschreibt sarkastisch aus rechtskonservativer Sicht die gesellschaftlichen Ausschlussmodi, die noch verstärkt werden sollen: »The doors are locked, the curtains drawn/Our silken gloves and bonnets on/You cannot pass/This is all for us.« Als Resultat entschieden sich diverse US-Radiosender, dass die höchst radio­taugliche Nummer zu »kontrovers« für ihr Programm sei. Im Gespräch mit dem Blog Audiofemme erläuterte Hunter bereits vor zwei Jahren, wie die scharfe Rechtsentwicklung unter der Präsidentschaft Donald Trumps eben nicht nur Wut befördert, sondern die eventuell unerfreuliche Gelegenheit bietet, über die eigene Tendenz zur Feigheit nachzudenken. Jana Hunter nimmt sich davon nicht aus, wie er ohnehin, nicht zuletzt vor dem Hintergrund seiner Geschlechts­identität, die Verbindung von individuellem Selbstverständnis und po­litischem Handeln betont.

Szenen wie von David Lynch. Jana Hunter als hippe Strandfigur.

Bild:
Torso

Jana Hunter definiert sich bis zuletzt als nichtbinäre, genderfluide Person, so dass auch das englischsprachige Infomaterial zum Album »they« beziehungsweise »them« als übliche genderneutrale Personalpronomen verwendet. Im Deutschen gibt es aber bis heute keinen vergleichbar etablierten Umgang, wenn man etwa über Intersexuelle in der dritten Person Singular sprechen möchte. Das inzwischen als dritte Option in die Verwaltungssprache eingeführte »divers« ist zudem ein recht unbeholfener Begriff, da das Wort eher die Varianz einer Person – etwa »diverse Talente« oder gar eine »gespaltene Persönlichkeit« – betont, anstatt deren Identität als eben nichtbinäre Person.

Vereinzelt hatte Hunter bereits in der Vergangenheit in Artikeln über die Lower Dens die männliche Form für seine Person verwenden lassen. Im Zuge seiner weiteren Transition hat er vor wenigen Wochen nun jedoch auch grundsätzlich – gewohnt lakonisch – auf der Facebook-Bandseite darauf hingewiesen, dass »im Übrigen alle (beiden) Bandmitglieder männliche Pronomen für sich verwenden«. Die Gesangsstimme hat sich bisher nicht merklich verändert, er singt weiterhin in tiefer, variabler Altlage. Allerdings ist auffällig, dass er offenkundig an seiner Gesangstechnik gearbeitet hat. Des öfteren heben sich in den Songs virtuose, beiläufige Vibratomodulationen, wie aus dem R ’n’ B bekannt, von dem bisweilen stoischen, nicht weniger markanten Gesangsstil ab, den man von Hunter gewohnt ist, so auch bei den gut gewählten abschließenden Songs auf »The Competition«.

 

Die von einem wuchtigen Basslauf getragene Elektropop-Nummer »Lucky People« ist ein so persönliches wie allgemeingültiges Lied über (Selbst-)Liebe. Darin zitiert der Sänger an einer Stelle mit einem Augenzwinkern Melodie und Text aus Chris Isaacs Kuschelrock-Klassiker »Wicked Game«, nur dass Hunter hier über das Verhältnis zu sich selbst singt: »I never thought I’d meet somebody like me«. Und weiter: »Somebody so good they could make me feel safe in my skin.« Das »they« verweist gewiss auf Hunters nichtbinäre Identität. Was er im großen Unterschied zu Isaac wiederum nicht singt, ist das in dessen Schmonzette ständig wiederholte, eher selbstmitleidige »This girl is only gonna break your heart«. In Hunters Song geht es auf eine gänzlich andere Weise darum, sich selbst wertzuschätzen und zu beschützen, und er spielt nochmal auf das »Wicked Game« an, wenn er die von außen herangetragene Abwertung durch (Selbst-)Liebe fernzuhalten versucht: »In love we save ourselves/from very wicked people.«

Jana Hunter als machistischer Draufgänger.

Bild:
Torso

Das letzte Stück »In Your House« könnte wiederum aus der Feder von Cat Power stammen, eine soulig jazzige Piano-Ballade, bei der Hunters Stimme erneut stark zur Geltung ­gelangt, umspielt von einer verträumten Waldhorn-Melodie. Darin zieht er ein versöhnliches, wenngleich nicht sorgenfreies Resümee: »You are heavy and you carry the weight of ­living/That’s what beauty is«. Diese Schönheit transportiert sich auch über die intensivenund dennoch leichten Gesangsverse auf dem Album. Die Balladen – »The Real Thing« ist ebenso eindrücklich wie »In Your House« – stechen ein wenig heraus. Bei manchen der Disco-Stücke, zum Beispiel »Simple Life«, hätte ein minimalistischeres Arrangement den Reiz etwas erhöhen können, gerade im Vergleich mit den für Reduktion und Verlangsamung bekannten Italo-Disco-Erneuerern, den Chromatics.

Ob Disco oder Slow Dance, es handelt sich bei »The Competition« in jedem Fall um ein Album für die Nacht – Nacht verstanden als Versuch, sich den Kontroll- und Verwertungsmechanismen des Tages zu entziehen. Auf der zweiten Single »I Drive« bringt Hunter dies auf den Punkt: »We live as instructed/Talk is cheap/And everyone’s police/I drive at night.« Das Fazit, das daraus zu ziehen wäre, kann nur sein: Weder Liebe noch Lebensweisen sollten Wettbewerb oder Fremdbestimmung unterworfen sein.

Lower Dens: The Competition (Ribbon ­Music)