Chemsex-Partys

»Es gibt Fälle von Traumatisierung«

Interview Von Julia Hoffmann

Auf schwulen Sexpartys sind chemische Drogen beliebt. Sie können Hemmungen abbauen und die Ekstase steigern. Doch wie groß sind die Gefahren? Ein Gespräch mit Dirk Sander und Urs Gamsavar von der Deutschen Aidshilfe.

Der gemeinsame Konsum von Drogen beim Sex wird seit Tausenden von Jahren praktiziert. Auch heutzutage beschäftigt Menschen die Frage, wie sie mittels Aphrodisiaka beim Sex die Lust steigern können. Was ist das Besondere an dem Phänomen Chemsex?
Dirk Sander: Es geht dabei um eine Schnittstelle von Sexualität und Konsum. Vor allem hat sich in den letzten Jahren stark verändert, welche Substanzen dabei eingenommen werden. Bei Chemsex sehen wir besonders den Konsum von Crystal Meth und GHB/GBL (Liquid Ecstacy, Anm. d. Red.) zusammen mit Amphetaminen. Das Spezifische ist aber, dass Chemsex vor allem von schwulen Männern praktiziert wird, deren Sexualität noch immer abgelehnt und abgewertet wird. Das macht natürlich etwas mit den Menschen. Auch Scham und Infektionsängste spielen eine Rolle. Die Substanzen helfen dabei, darüber hinwegzukommen. Auch die spezifische Art der Kommunikation rund um den Sex, also mittels Apps oder Datingportalen, ist ein Merkmal. Das hat spezifische Auswirkungen, auch auf das Selbstverständnis der Leute. In der Szene herrschen bestimmte Normen: Wie muss ich aussehen? Wie muss ich mich verhalten? Um sich da sicherer zu fühlen, spielen die Substanzen eine Rolle.

Leute verlieren ihre Ängste, ihre Scham, sie verspüren also keinen Anpassungsdruck mehr. Das sind Dinge, die man beim Sex gerne hat. Wo liegt also das Problem?
Urs Gamsavar: Es kommt immer darauf an, ob sich die Leute, die die Drogen konsumieren, auch Gedanken über die Hintergründe machen. Es hat ja Gründe, warum Menschen es sich mit den Drogen besser gehen lassen und Nähe spüren können. Jeder Konsum ist mit einer gewissen Motivation verbunden, so verdeckt diese auch sein mag. Chemsex soll entspannen. Dabei geht es um Schamreduktion oder um Potenz, aber es kann auch um das Ermöglichen ­bestimmter Praktiken, etwa Fisten, gehen. Es spielen aber viele Faktoren eine Rolle, die wir bisher nur oberflächlich begreifen. Es gibt zu wenig wissenschaftliche Studien dazu.

Wie läuft eine Verabredung zum Chemsex ab?
UG: In der Regel handelt es sich um private Partys, was übrigens für die Prävention eine Herausforderung ist. Klassischerweise verabreden sich die Männer dazu über Datingportale und -apps wie Grinder und Gayromeo oder in Freundeskreisen und Chatgruppen. Dann wird zu Beginn einer Party meistens auch gemeinsam konsumiert.

 

Und wie lange geht so eine Party?
UG: Es kann zwei Stunden dauern, es kann aber auch das ganze Wochenende gehen. Manche Partys beginnen am Freitagnachmittag und hören am Montagmorgen auf.

In Großbritannien, wo Chemsex auch verbreitet ist, gab es Berichte von Todesfällen. Ganz harmlos sind die Partys ja vielleicht doch nicht.
DS: Das sind sehr wahrscheinlich die Folgen von Überdosierungen. Wir haben aber de facto keine Zahlen und es ist auch schwierig, eine Statistik zu erstellen, weil Todesursachen vielleicht gar nicht festgestellt werden. Wir können aber vermuten, dass es auch in Deutschland Todesfälle gibt. Chemsex ist kein Massenphänomen. Die Studien, die wir haben, zeigen, dass es sich um eine Gruppe von ein paar Tausend Leuten handelt. Was den Konsum von ­Alkohol angeht, unterscheiden sich die Schwulen- und Heteroszenen gar nicht.

Was raten Sie bei der Aidshilfe Leuten, die Chemsex praktizieren möchten?
DS: Wir geben ihnen mit auf den Weg, was sie wissen müssen, um beim Konsum so gut wie möglich ihre Gesundheit zu schützen. Wir raten ihnen, sich schlau zu machen, was die Drogen bewirken und welche Wechselwirkungen es zwischen verschieden Substanzen gibt, um eben nicht überzudosieren. Wir raten auch dazu, nicht unbedingt allein auf solche Partys zu gehen, sondern mit jemandem, der ein bisschen aufpassen kann. Wir raten, regelmäßig zu essen und zu trinken. Bei gut organisierten Partys wird oft schon genau dafür gesorgt. Für Leute, die HIV-positiv sind, ist es auch wichtig, ihre Medikamente zu nehmen.

Wie kommt es, dass in dieser Szene offenbar viele Menschen unterwegs sind, die HIV-positiv sind?
DS: Das hat sicher auch mit dem HIV-Stigma zu tun und mit der spezifischen Abwertung, die die Menschen durch die Erkrankung erfahren. Manche konsumieren, um sich einmal von dieser Belastung zu befreien und das alles beiseite lassen zu können. Das ist sicher einer der Gründe.

 

Wird dann Kondomgebrauch überhaupt verhandelt?
DS: Es gibt heutzutage verschiedene Wege, eine HIV-Übertragung zu verhindern. Die meisten Menschen, die von ­ihrer HIV-Infektion wissen, nehmen Medikamente und können HIV beim Sex nicht mehr weitergeben. Und auch durch die prophylaktische Einnahme von Medikamenten, die Prepp (Präexpositionsprophylaxe, Jungle World 44/2017) kann man eine HIV-Neuansteckung verhindern. Deswegen ist der Kondomgebrauch bei solchen Partys eher unüblich.

Gibt es auch einen emotionalen Kater nach solchen Partys?
UG: Die Substanzen bewirken natürlich, dass erstmal alle Endorphine ausgeschüttet sind. Die Leute gehen dann allein nach Hause, wo sich ein ausgeprägtes Einsamkeitsgefühl einstellen kann, sie vermissen Zuneigung und Nähe. Auch Sozialkontakte nehmen oft ab. Manche Leute kommen aber auch sehr lange und gut mit ihrem Leben klar, pflegen Kontakt zu Familie und Freunden und konsumieren nur ab und zu. Andere haben irgendwann nur noch Sozialkontakte über solche Settings, andere Sozialkontakte treten sehr in den Hintergrund oder gehen komplett verloren. Wenn solche Leute sich entschließen, sich nicht mehr in diese Szene hineinzubegeben, fällt ihnen oft erst dann auf, wie viele ihrer Kontakte damit verbunden sind. Sie haben es dann sehr schwer, einen kompletten Cut zu machen, das kann dann in eine neue Einsamkeit führen. Es gibt aber auch Fälle von Traumatisierung.

Was löst eine solche Traumatisierung aus?
UG: Es kann vorkommen, dass zum Beispiel jemand überdosiert wurde oder von anderen Substanzen verabreicht bekommen hat, die nicht gewünscht waren. Neben der Frage der Freiwilligkeit und der Unfreiwilligkeit des Drogenkonsums kann es bei den Partys auch zu sexuellen Übergriffen kommen.
DS: Leute sind oft vorher traumatisiert zum Beispiel durch ihre biographischen Erlebnisse, Erfahrung von Ausgrenzung.