Queeres Nachtleben in Tel Aviv und Jerusalem

Bass, Bier und Kippa

Das queere Nachtleben in Jerusalem unterscheidet sich deutlich von dem in Tel Aviv.

Ein Mann mit grauem langen Bart und Kippa wiegt sich in einer Ecke zu Popmusik. Ihm gegenüber tanzt ein großer schlanker Mann, das enge rotorange Hemd tief aufgeknüpft, auf dem Kopf eine knallrote Kippa. Der palästinensische Barkeeper sammelt Gläser ein, seine junge israelische Kollegin schenkt Bier nach. Auf der Veranda schreit eine Gruppe Lesben mit kurzen bunten Haaren und Tattoos auf Hebräisch durcheinander und lacht, rundherum unterhalten sich Leute auf Englisch, Französisch, Deutsch. Es ist Donnerstagabend in der Bar »Videopub« im Ausgehviertel Jerusalems.

Der Eingang der Bar in der Innenstadt ist unscheinbar, es geht in einem Hinterhof die Treppe hoch, am Türsteher vorbei in einen kleinen Barraum. Am hinteren Ende liegt der Tanzraum, nicht viel größer als ein begehbarer Kleiderschrank, dafür mit mehreren Ventilatoren und einer Überwachungskamera ausgestattet, die 24 Stunden lang in Betrieb ist, wie ein Schild warnt.

Vom Barraum geht es rechts auf die Veranda, man blickt auf einen Hinterhof. Hier ist Rauchen erlaubt – und jegliche sexuelle Orientierung. Das »Videopub« ist die Adresse für LGBTI-Partys in Jerusalem, es soll sogar die einzige gay bar in der über 900 000 Einwohner zählenden Stadt sein. Der palästinensische Barkeeper Hamzi drängelt sich durch die rauchende und quatschende Menge zur Tiefkühltruhe in der Ecke der Veranda, um Biernachschub zu holen. Es gebe wech­selnde Partyreihen im »Video«, einmal im Monat veranstalte er eine Party mit arabischer Musik, erzählt er. Viele palästinensische Schwule kämen hierher. »Der ganze Nahe Osten soll hier feiern«, so lautet sein großes Ziel.

Homophobe treffen auf LGBTI-Aktivisten. Protestkundgebung am Yehuda-Markt in Jerusalem gegen die Partei Noam.

Bild:
Irene Eidinger

Dass es nicht immer so harmonisch zugeht wie im »Video«, zumal in einer Stadt wie Jerusalem, in der mittlerweile über ein Drittel der erwachsenen jüdischen Bevölkerung ultraorthodox ist, war nur wenige Stunden zuvor zu beobachten. Ein kleines Grüppchen LGBTI-Aktivistinnen und Aktivisten, nicht einmal ein Dutzend Leute, steht am Eingang zum Yehuda-Markt mit Regenbogenfahnen und Pappschildern inmitten einer wütenden Meute. Nebenan betreibt die rechtsextreme ultraorthodoxe Partei Noam ihren Wahlkampfstand, gegen die sich die Kundgebung der LGBTI-Aktivisten richtet. Erst vor wenigen Wochen wurde die Partei von Rabbi Zvi Thau gegründet – mit einer explizit homophoben Agenda. Den anderen rechten reli­giösen Parteien und Bündnisse wie Jüdisches Heim und der Union der rechten Parteien wirft Noam unter anderem vor, zu wenig gegen LGBTI-Rechte und die »Zerstörung der Familie« getan zu haben. Zu den Wahlen wollte Noam kurzzeitig mit Otzma Jehudit antreten, überwarf sich mit der rechtsextremen Partei aber, weil diese auch säkulare Kandidaten auf ihrer Liste zuließ.

 

Ob Noam überhaupt die Dreiprozenthürde zum Einzug ins Parlament schaffen wird, ist unklar, der Wahlkampf läuft allerdings mit ­großem Aufwand. Riesige Plakate der Partei pflastern die Stadt. Noam gehe es um das »Recht, normal zu sein«, Normalität heißt für die Partei: heterosexuell und jüdisch. Am Wahlkampfstand verteilen ihre Unterstützer, viele davon Jugendliche, die noch gar nicht wählen dürfen, in hellblauen Parteishirts Flyer und Broschüren. Die kleine Gruppe mit den Regenbogenfahnen wird von Umstehenden immer wieder angepöbelt, Einzelne liefern sich heftige Wort­gefechte mit religiösen Eiferern, Gott wolle solche Menschen wie sie nicht, hört man immer wieder. Die Queers verteilen Aufkleber mit dem Spruch: Wie kann Gott Homosexuelle erschaffen, wenn er sie nicht mag?« Ohne sich auf Gott zu berufen, geht offenbar wenig in Jerusalem – und viele LGBTI sind selbst gläubig.

Ein Homophober greift eine junge Frau an, sie schlägt zurück und kann sich danach mit einem Unterstützer in Sicherheit bringen. Einige Polizistinnen kommen hinzu, halten sich allerdings eher am Rand. Alon Isac hält tapfer sein Pappschild hoch. »Du bist gut, so wie du bist«, steht darauf. Er sei bereits in Berlin gewesen, erzählt der junge Schwule, da habe es ihm gefallen. Doch aus Jerusalem wolle er nicht weg, es sei schließlich auch seine Stadt.

Einige Zeit nach Ende der Kundgebung – vier Stunden harrten die Ak­tivisten und Aktivistinnen aus – sind auf dem Yehuda-Markt nur noch die Massen zu sehen, die am Abend vor dem Sabbat die letzten Schnäppchen ergattern wollen. Großfamilien schieben sich durchs Gedränge, Händler werben lautstark mit günstigen Rabatten, Einkaufstrolleys verhaken sich in den engen Seitengassen. Schafft man es durch eine dieser Gassen ins Innere des Markts, gelangt man zu Kneipen und kleinen Restaurants mit Außenbereich. Hier beginnt das Nachtleben Jerusalems zwischen Blumenkästen, Brotgeruch und Geräuschfetzen vom Markttreiben gerade erst, während sich der Handel nur einige Meter weiter dem Ende zuneigt.

 

»Jerusalem ist entspannter als Tel Aviv, nicht so spießig. Du kannst hier im Pyjama ausgehen und niemanden kümmert’s«, sagt Moran Aharoni bei einem palästinensischen Taybeh-Bier in der Kneipe »Casino de Paris«. Hier treffen sich Einheimische und Touristen, queer friendly ist die Kneipe, aber keine gay bar. Die Stadt sei religiöser geworden und die Gegensätze würden größer, sagt die queere Biologin mit den grünen Locken weiter. Ihr altes Viertel nördlich des Yehuda-Markts habe sich stark verändert. Früher sei es sehr gemischt gewesen, heute sehe man vor allem Ultraorthodoxe der verschiedenen Richtungen, auch viele aus den USA.

Zurück im »Videopub«. Tomo Hen, Aktivist bei den »Pink Panthers Is­rael«, sitzt mit Freunden auf der Veranda und bespricht die Kundgebung am Yehuda-Markt. Er war vor einigen Stunden an vorderster Front dabei. Der muskulöse Mann mit dem stattlichen Kaiser-Wilhelm-Bart stellte sich den homophob Ausrastenden entgegen. Er sei speziell aus Tel Aviv zur Kundgebung gekommen, die verschiedene queere Gruppen und Einzelpersonen organisiert hatten. Er halte viel aus; wenn er angeschrien werde, versuche er, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, sagt er. Wenn es um gleiche Rechte für LGBTI geht, zeige sich »die tiefe Spaltung der israelischen Gesellschaft«, so Hen. Gegen Mitternacht verabschiedet er sich nach Tel Aviv mit den Worten: »Ich fahre zurück in die Zivilisation.« Vorher empfiehlt er noch die Partyreihe »Kasha Haramot Culture« im Tel Aviver Stadtteil Florentin.

In Tel Aviv muss man nach Partys, selbst queeren, nicht lange suchen, das Angebot ist enorm. Der empfohlene Club im Hipster-Viertel Florentin liegt zwischen runtergerockten Werkstätten und einem Strip-Club, Graf­fiti zieren die Wände. Im Club findet sich das queere, junge und vor allem lesbische Publikum zuhauf, trotz langer Schlange vor dem Einlass und exorbitanten Eintrittspreisen. »Wir wollen die männlich dominierte queere Partyszene aufmischen«, sagt Reut Naggar, eine der vier Veranstalterinnen von »Kasha Haramot Culture«. »Dazu holen wir uns hauptsächlich weibliche und bald auch transsexuelle DJs ans Pult.« Die Musik reicht von orientalischen Beats über israelischen Psychedelic Funk bis zu Elektromixes mit traditioneller arabischer Musik. »Unser Ziel ist, dass Tel Aviv endlich auch die Party-Hauptstadt für queere Frauen wird.«