Punk in Tel Aviv

Tel Aviv abgefuckt

Ein Streifzug durch die Punkszene Tel Avivs.

Als mein Kollege und ich am Levontin 7 im Tel Aviver Viertel Florentin ankommen, stehen nur drei Leute vor dem Eingang des Ladens ohne Schild. Eine Frau mit Trägertop, pink gefärbten Haaren und großflächigem Brusttattoo, ein Typ mit Dreadlocks und ärmellosem, schwarzem T-Shirt und ein kräftiger Kurzhaariger mit Rancid-T-Shirt. Normalerweise würde ich sie nicht ansprechen – zu cool. Und deutsch. Im Ausland willst du ja nicht noch andere Deutsche kennenlernen. Weil aber sonst noch niemand da ist, gehe ich auf sie zu und sage: »Deutsch?« Die Frau zieht die Augenbraue hoch. Sagt nichts. Dann: »Und? …« Ich lächle freundlich und sage: »Mist, wa? Ich will auch immer lieber der Einzige sein …« Denke: Na warte. Mal sehen, wie sich die kühle Situation noch drehen lässt. In dem Moment kommt Daphne auf mich zu. Wir umarmen uns. Die coolen Deutschen sind sofort abgemeldet. Daphne habe ich beim Swingtanzen in Berlin kennengelernt. Wie viele Israelis besucht sie gern Berlin.

Daphne lehnt sich zu mir rüber und übersetzt den Refrain des Songs: »Du hast mein Herz gebrochen, ich zerbrech’ dein Smartphone.«

Zufällig trafen wir uns dann voriges Jahr auch noch auf einem Konzert der kalifornischen Frauen-Punkband L7 im Kreuzberger SO36. Eine Weile standen Daphne und ich in der dichtgedrängten Menge vor der Bühne und tanzten. Plötzlich guckten wir uns an. Wir dachten beide das Gleiche. Sie sagte: »Swing out?« und hielt mir ihre Hand hin. Und schon schleuderte ich die grünhaarige Daphne raus. Fliehkräfte, wie kein Pogo sie erzeugt. Das verbindet.

Wir bezahlen und gehen runter in den abgerockten Konzertraum des Levontin 7. Wenig später stehen Walla Lo Yodea auf der Bühne. Das junge Tel Aviver Publikum singt jede Zeile mit. Wenn ich nur Hebräisch verstehen würde! Daphne lehnt sich zu mir rüber und übersetzt: »Du hast mein Herz gebrochen, ich zerbrech’ dein Smartphone.« Witzig! Texte in Landes­sprache ziehen immer, auch wenn die Musik nicht so innovativ ist. »Was hat er eben gesungen? Irgendwas mit Berlin …«, frage ich Daphne. Sie grinst: »Alle Leute ziehen nach Berlin.« Ja, das nervt die Zurückbleibenden überall, wenn die coolen Leute abhauen. Nach Walla Lo Yodeas Set gehen wir raus, um zu rauchen. Dort steht schon mein Kollege mit zwei jungen Frauen in kurzen Sommerkleidchen. »Kennt ihr die Bands?« frage ich. »Nee, wir sind eher zufällig hier. Aber die Band eben hatte echt lustige Texte«, sagt die eine. Wir rauchen. Ja, so funktioniert Punk. Fast verpassen wir die zweite Band, Nidfakta. Jeder ihrer Songs bleibt unter einer Minute. Der kleine, drahtige Sänger rast über die Bühne und singt wütende Songs auf Hebräisch. Irgendwann zieht er sich das Hemd aus. Er ist ein einziger Muskel. 

Die dritte Band am Abend heißt Padme, sie ist aus Istanbul zu Gast. Die erste Ansage des Gitarristen lautet: »Israel is fuckin’ expensive!« Sie sind sehr jung, verfügen über gute Englischkenntnisse und haben Songs über Erdoğan im Gepäck. Sicher Studenten. Zu gebildet und wohlhabend für Punk, aber trotzdem toll, dass sie das hier machen, anstatt Start-ups zu gründen wie ihre Freunde aus der Schulzeit. Am Ende des Konzerts stürze ich mich auf den Merch-Stand. Bessere Israel-Souvenirs gibt es nicht als ein T-Shirt, auf dem »Nidfakta« steht: »Abgefuckt« auf Hebräisch.

 

Zum Konzert von Not On Tour, Tabarnak und Good Intentions muss ich leider allein gehen. Der Veranstaltungsraum befindet sich im südöstlichen Tel Aviver Niemandsland zwischen einer Ausfahrtstraße und einem Gewerbegebiet. Hier darf es laut werden. Der mittelgroße Club The Zone hat einen Außenbereich mit Sperrmüllmöbeln.

Hier lerne ich Jonathan aus Cardiff kennen, den einzigen anderen Typen, der ohne Begleitung gekommen ist. Das Publikum ist jung, Anfang bis Mitte zwanzig. Sie könnten unsere Kinder sein. Jonathans Frau ist jüdisch, eine Britin mit israelischem Pass. Deshalb ist er oft in Tel Aviv. Der hagere Tottenham-Supporter lehnt sich zu mir rüber und sagt hinter vorgehaltener Hand: »Ich sag’ dir mal was … Die Israelis sind alle irre! Komplett irre! Aber ich liebe es hier! Ich komme immer wieder.« Wir gehen rein. Good Intentions fangen an zu spielen, aber überzeugen uns mit ihrem melodischen Neunziger-Jahre-Punk wenig. Dafür die nächste Band Tabernak um so mehr. Ihr Sänger Ishay Berger ist bekannt als Gitarrist der erfolgreichsten israelischen Punk-Band, Useless ID. An der Gitarre der schwer tätowierte, weißbärtige Haim, Urgestein der Tel Aviver Punkszene und Gründungsmitglied von Dir Yassin. Tabarnaks kurze, wütende und dennoch sehr melodische Songs erinnern mich an Oma Hans. Ja, so gut sind die Songs! Jeder Song von Tabarnak ist eingängig und leider viel zu schnell zu Ende. Das Publikum kennt die Songs und singt jede Zeile mit. Erfolgreiche Punk-Kommuni­kation. Vor der Bühne tanzt der drahtige Sänger von Nidfakta die ganze Zeit mit den bulligen Punks Pogo. Ein vielleicht achtjähriger Junge springt mehrfach in die Menge und wird von ihr im Raum herumgetragen. Zum Schluss spielen Not On Tour, die mit dem Konzert die Veröffentlichung ihres vierten Albums feiern, ein langes Set mitreißender Songs. Ein rundum gelungener Tel Aviver Punk-Abend.

Ein paar Tage später treffe ich Ishay auf der Arbeit, im seit dreißig Jahren bestehenden Third Ear Plattenladen. »Oh, Berlin!« schwärmt Ishay. »Immer wenn ich ins SO36 rein komme, dann ist das wie eine warme Welle. Wie nach Hause kommen.« »Kennst du Static Shock Records?« fragt er mich. »In der Bürknerstraße. Na, klar. Der beste Punk-Plattenladen der Stadt«, antworte ich. Wir reden über Schallplatten, Punk und Israel. »Nidfakta sind super!« sagt er. »Schon der Name. Abgefuckt. Andere Bands würden vielleicht einen Song so nennen. Oder ihr Album. Aber nicht die Band. Das ist das Großartige an Nidfakta. Und sie singen auf Hebräisch. Nicht auf Englisch, sondern ganz direkt, so dass du genau verstehst, um was es geht. Ist ein neues Ding hier, aber es setzt sich langsam durch, das die Bands auf Hebräisch singen.« Kurz bevor wir uns verabschieden, drückt er mir noch das Album seiner Band Shesh Shesh Shesh in die Hand. Sechs sechs sechs, the number of the beast. Zehn tolle, kurze, wü­tende Songs auf Hebräisch. Ein Album wie ein Anfall. Abgefuckt.