Das neue Album »Miami Memory« von Alex Cameron

Geschichten vom Fall des starken Mannes

Auch auf seinem dritten Album besingt Alex Cameron die Fehlbarkeit von Männern.

An einem heißen Nachmittag unter der Woche sitzen zwei kleine Gestalten mit großen Egos am Tresen einer Bar. Sie ist gerade dabei, sich besinnungslos zu trinken, während er mit seiner Kreditkarte wedelt und über einen 15 000 Dollar schweren Deal schwadroniert, den er gerade abgeschlossen habe. Er klapst ihr auf den Hintern, sie wertet das als Anerkennung und beugt sich weiter nach vorne. Dann stoßen beide an ihre Grenzen. Seine Kreditkarte wird abgelehnt und zerschnitten (sie gehört einem anderen) und sie bekommt Ärger, weil sie ihr Kind im Auto in der prallen Sonne hat sitzen lassen. »Who the hell are you to tell me that I can’t leave my kid in the car«, ruft sie.

Es sind zwei Charaktere, wie man sie im Pop derzeit selten findet, die in dem Song »Real Bad Lookin’« auf Alex Camerons Debütalbum »Jumping the Shark« auftreten. Es war das erste von mittlerweile drei Alben, auf denen sich der Australier derart zwielichtigen Gestalten widmet. Der Schwerpunkt liegt dabei ganz klar auf den Herren. Es sind keine liebenswürdigen Versager, die Cameron porträtiert. Es sind Arschlöcher, deren eigenes Unvermögen und fehlgeleitetes Selbstbewusstsein geradezu tragische Folgen haben, die Cameron so ernst nimmt, dass man sich leicht dabei erwischt, für von ihm beschriebenen Ekeltypen auch noch Empathie zu verspüren.

»Candy May, I think I’m dying«, mit dieser Zeile beginnt der erste Song auf seinem zweiten Album, »Forced Witness« von 2017. »I’m frail and I’m tired and I constantly complain about the pain I’m in« – Camerons Album über den Kampf des starken Mannes gegen sich selbst beginnt mit einem Eingeständnis von Schwäche. »Candy May« ist ein Liebeslied aus der Sicht eines Mannes mit »a dirty white guilt« und »a deep regret of what I do on the internet«. Das Internet beschreiben Camerons Figuren so, als sei es der neue Wilde Westen, eine unerschlossene Wildnis, in der ein Mann noch ein Mann sein kann – und wie in seinem Song »Studmuffin96« mit Teenagern flirtet oder wie in »True Lies« Verhältnisse zu fremden Frauen pflegt. Selbst wenn diese sich am Ende als Betrügerinnen entpuppen, ändert das nichts an der Aufrichtigkeit dieser Beziehungen, die so echt waren, wie es der virtuelle Raum eben zulässt. Von der Realität ausgeschlossen, findet der Übriggebliebene Halt im Irrealen.

Vom Glamrock übernimmt Cameron das Spiel mit anderen Identitäten, nur dass eine Verbindung dieser Charaktere zum Glamour höchstens im Verlust desselben liegt.

Um den Charakteren von »Forced Witness« ein Gesicht zu geben, schmiss sich Cameron für Promofotos, Musikvideos und Liveauftritte in ein weißes Unterhemd (im Englischen bezeichnenderweise als wife­beater bekannt), und kämmte sein langes, blondes, strähniges Haar zurück. Dieser Mut zur Uncoolness findet seine musikalische Entsprechung, wenn Camerons »Geschäftspartner«, sein Musikerkollege Roy Molloy, zu schmachtendem Achtziger-Pop-Rock in sein Saxophon bläst und die Erbärmlichkeit von Camerons Figuren mit Springsteen-Pathos untermalt. Ihre Egos passen eben nur in riesige Stadien, die von jemandem gefüllt werden, der sich selbst zum »Boss« erklärt hat. Auf »Jumping the Shark« erzählt der Song »The Comeback« von einem in Ungnade gefallenen TV-Entertainer, der seine Show an »some fat fuck cryin’ with a song about ­diabetes« verloren hat. Wer sich schon einmal gefragt hat, wie Bruce Springsteen als abgehalfterter Alleinunterhalter klingen würde, sollte sich diesen Song anhören.

Vom Glamrock übernimmt Cameron das Spiel mit anderen Identitäten, nur dass die einzige Verbindung ­dieser Charaktere zum Glamour höchstens im Verlust desselben liegt. Das allerdings ändert sich mit seinem neuen Album »Miami Memory« teilweise, auch wenn es ein fleckiger Glanz ist, in dem der Titeltrack strahlt, der ein frisch verliebtes Pärchen auf seinem Streifzug durch die bekannteste Stadt Floridas begleitet. Sie halten Händchen am Strand und im Stripclub, finden innige Romantik im Bett ihres Hotelzimmers – zu zweit oder bei einer menage à trois. Camerons vulgäre Bildsprache erscheint in seinen Texten, als wäre sie die allgemein anerkannte Ausdrucksweise von romantischer Intimität: »Eating your ass like an oyster / The way you came like a tsunami«.

»Miami Memory« ist auch der Song des Albums, der am stärksten mit zeitgenössischen Pop-Produktionen liebäugelt. Cameron sucht nach dem Sound, in dem sich seine Charaktere wohlfühlen, und der Sleaze-Pop aus Saxophon und stur vor sich hin pumpendem Club-Beat von »Miami Memory« bietet dem Paar das richtige Umfeld, das Kokstablett stets in Reichweite. Ähnlich verhält es sich mit »Far from Born Again«, einer Melange aus Soul und Bluesrock, in der Cameron die Freiheit einer selbstbestimmten Erotikdarstellerin als »a woman in charge of her plan« preist. »Far from born again / She’s doing porn again«, singt er, untermalt von Molloys entgegenschmachtendem Saxophon.

Alex Cameron ist ein Geschichtenerzähler, der in die Rollen seiner Figuren schlüpft und seiner Musik das passende Gesicht verpasst. Und so setzt »Miami Memory« seine Figuren ganz unverhohlen in die vergessene Welt der frühen Siebziger. Die Männer in dieser Welt stellen sich vor als »Santa Claus with Aids / Selling pornographic polaroids and counterfeit shades« (»PC with Me«), bitten um den Gnadenschuss, wenn sie keinen mehr hochbekommen (»End Is Nigh«) und fragen ihre Frau nach dem Geschlechtsverkehr: »Did you see where my love went? / Because it ain’t here in my hand / You need to check there, darling, between your legs / I couldn’t bear another needy man« (»Divorce«). Sich ein hilfsbedürftiges Kleinkind an der Seite seiner Partnerin vorzustellen, versetzt diese Art Mann in Panik, weil er selbst auf ihre Unterstützung angewiesen ist.

Doch nicht alle Songs auf »Miami Memory« knüpfen so nahtlos an die unkommentierten Charakterporträts von »Forced Witness« und »Jumping the Shark« an. Erstmals fällt Cameron auch moralische Urteile, wenn er etwa zunächst bekennt »Never thought I’d feel bad for the boys« und dann ein paar Einzelfälle von Männern aufzählt, denen die Zeit nicht mehr hold ist, weil sie etwas ausgefressen haben oder überhaupt nie etwas zu sagen hatten – ein Fakt, den sie früher hinter ihrer Maskulinität verstecken konnten. Zum Ende des Songs ändert Cameron dann doch seine Meinung: »Not so sure I feel bad for the boys /Guess I don’t feel bad for the boys.« Muss man sich bei seinen Alter-Ego-Songs selbst eine Meinung bilden und sich dafür durch zwiespältige Gefühle kämpfen, verrät er hier die Lösung selbst. Das nimmt dem ganzen Konzept schon etwas von seinem Biss. In »Other Ladies« singt er sogar fern jeder Ironie zu Country-Klängen von seiner unzerstörbaren Treue zu seiner Freundin.

Eingebettet zwischen den Ekeltypen, die Cameron sonst besingt, machen diese Songs »Miami Memory« zu einem Album, das so zwiespältig ist wie die Maskulinität im Jahr seines Erscheinens. Auf dem Cover prangt Camerons derzeitiges Alter Ego: Mit freiem Oberkörper und schwarz gefärbtem Haar starrt er vor einer Bildercollage in die Ferne, überfordert von der Reizüberflutung, die hinter ihm angedeutet wird. Der Mann von heute, er ist sichtlich verwirrt.

Alex Cameron: Miami Memory (Secretly Canadian)