Volkan Ağar über die jüngsten Skandale im österreichischen Wahlkampf

Das rechte Comeback

Im österreichischen Wahlkampf geht es hoch her. Kurz vor den vorgezogenen Nationalratswahlen werden neue Skandale in FPÖ und ÖVP bekannt.

Leaks, Skandale, organisierter Regelbruch: Der Unterhaltungswert der ­österreichischen Politik gleicht kurz vor der Nationalratswahl am 29. September dem eines guten Polit-Thrillers. Die Frage, wer die bessere Politik ­verspricht, wird diese Wahl jedenfalls nicht entscheiden.

Das sogenannte Ibiza-Video, in dem führende Bundespolitiker der FPÖ mit einer vermeintlichen russischen Olig­archin über die mannigfaltigen Möglichkeiten korrupter Geschäfte pala­verten, hat nicht dazu geführt, dass die extrem rechte FPÖ abstürzt. Manche FPÖ-Wähler waren gar entzückt von den betrunkenen Mackern, die für ein bisschen Geld bereit sind, staatliche Aufträge zu verschieben und die Pressefreiheit zu beschneiden. Auch die Geschichte eines ukrainischen Geschäftsmanns, der ein FPÖ-Mandat gekauft haben soll, und zwar jenes von Thomas Schellenbacher, Nationalratsabgeordneter von 2013 bis 2017, hat der FPÖ nicht geschadet. Weil das österreichische Gesetz dafür keine Sanktionierung vorsieht, hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) die Ermittlungen eingestellt. Und weil Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, die Protagonisten des Ibiza-Videos zu der Zeit, als das Video entstand, keine Amtsträger waren, wird gegen sie nur noch wegen Untreue, aber nicht wegen Korruption ermittelt.

Reinhard Teufel (FPÖ) soll in »intensivem« Kontakt mit dem Chef der Identitären Bewegung Martin Sellner gestanden haben.

Eine Sonderkommission ermittelt noch immer auch nach den Hinter­leuten der Affäre. In der Nacht zum Dienstag wurde ein ehemaliger Leibwächter Straches in Wien festgenommen. Er soll Informant für die Hinterleute des Ibiza-Video gewesen sein. Der Standard berichtete, dass es sich bei dem Festgenommenen um einen »FPÖ-Insider« handele, der seit Jahren ­belastendes Material über Strache und andere freiheitliche Politiker gesammelt habe. Schon 2015 wollte er dieses an die Behörden weitergeben, dafür soll er jedoch Geld gefordert haben. Seine Informationen führten auch in der FPÖ zu einer Debatte über möglicherweise falsche Spesenabrechnungen Straches. Diese überprüft nun auch die Staatsanwaltschaft Wien.

Auch ein interner Zwischenbericht des österreichischen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), der am Montag ­öffentlich wurde, dürfte am Image der FPÖ kaum kratzen. Der ehemalige ­Kabinettschef des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl, Reinhard Teufel, soll der Tageszeitung Österreich zufolge in »intensivem« Kontakt mit dem Chef der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, gestanden haben. Demnach habe die Auswertung der Handys von Sellner ergeben, dass die beiden über Messenger-Dienste verschlüsselt kommuniziert haben. Die Staatsanwaltschaft Wien prüft derzeit, ob es bei den Ermittlungen gegen Sellner ein Leck im Innenministerium gegeben hat. Sellner könnte vor einer Hausdurchsuchung im März gewarnt worden sein.

 

Dass in Österreich Politik derzeit anders funktioniert als in anderen europäischen Ländern, zeigen auch die von der Wiener Wochenzeitung Falter so genannen ÖVP-Files. Dabei handelt es sich um interne Daten der Partei des ÖVP-Vorsitzenden und ehemaligen Kanzlers Sebastian Kurz, die der Zeitung anonym zugespielt wurden. Aus ihnen geht hervor, dass die Partei für ihren Wahlkampf mehr Geld ausgibt, als es das Gesetz erlaubt. Statt maximal sieben Millionen Euro habe sie nach Angaben des Falter für den laufenden Wahlkampf knapp neun Millionen kalkuliert. Die ÖVP bestreitet die Authentizität der Daten, spricht von einem Hacker-Angriff und wirft dem Falter vor, Unwahrheiten zu verbreiten.

Bereits 2017 hatte die ÖVP die Vorgabe missachtet und über zwölf Millionen Euro für ihren Wahlkampf ausgegeben. Ihr Wahlkampfleiter Karl Nehammer versprach deshalb Ende August, dieses Mal nicht zu schummeln: »Wir haben uns ganz klar verpflichtet, die gesetzliche Wahlkampfkostenobergrenze einzuhalten.«
Hinzu kommt der intransparente Umgang der ÖVP mit Parteispenden. Im August bekam der Standard von ­einem unbekannten Informanten eine Liste der ÖVP-Parteispender zugespielt. Die größte Spenderin darauf ist die Milliardärin Heidi Goëss-Horten, Forbes zufolge die viertreichste Österreicherin. Sie hat in zwei Jahren ins­gesamt knapp 931 000 Euro in Beträgen von jeweils unter 50 000 Euro überwiesen – wohl weil nach damaliger Gesetzeslage jede Spende über diesem Betrag bekanntgegeben und dem Rechnungshof gemeldet werden musste.

SPÖ, FPÖ und die Liste Jetzt haben das Gesetz gegen die Stimmen der ÖVP im Juli geändert: Einzelpersonen dürfen maximal 7 500 Euro an Parteien überweisen, Spenden müssen ab 2 500 Euro an den Rechnungshof gemeldet werden und eine Partei darf insgesamt höchstens 750 000 Euro Spenden pro Jahr erhalten.
Als die ÖVP erfuhr, dass der Standard über Spenderinformationen verfügt, veröffentlichte die Partei die Spenderliste kurzerhand selbst. Insgesamt hat sie demnach in den vergangenen ­eineinhalb Jahren über 2,7 Millionen Euro erhalten und liegt damit deutlich über dem im Juli beschlossenen Höchstwert.

Die ÖVP liegt indes bei Umfragen mit 35 Prozent unangefochten auf Platz eins. Das liegt offensichtlich vor allem an Sebastian Kurz, der sich staatsmännisch gibt, dem seine Kritiker aber Opportunismus in höchstem Maße vorwerfen. Einer repräsentativen Umfrage des Standard zufolge wollen 63 Prozent der ÖVP-Wähler die Partei wählen, weil sie der Spitzenkandidat anspricht. 70 Prozent ­wollen die ÖVP wählen, weil diese den Bundeskanzler stellen soll. Bei keiner der anderen Parteien spielt der Spitzenkandidat eine derart bedeutende Rolle. Selbst bei den extrem Rechten ist Kurz beliebt: 33 Prozent der bekennenden FPÖ-Wähler wünschen ihn sich erneut als Kanzler. Die Zahlen zeigen, dass Kurz die Ibiza-Affäre optimal für sich genutzt hat. Jüngste Umfragen versprechen ihm gar vier Prozentpunkte mehr als bei der Wahl 2017. Die FPÖ ist zwar nicht abgestürzt, aber nur 28 Prozent der bekennenden FPÖ-Wähler geben an, sie würden die Partei wählen, weil man ihren Aus­sagen vertrauen könne – der schlechteste Wert aller Parteien.

Zwar geht es beim österreichischen Wahlkampf hin und wieder auch um Inhalte, was man den zahlreichen Fernsehdebatten zugute halten muss. Während die SPÖ eine »Millionärssteuer« auf Vermögen und Erbschaften ­erheben will, möchte die ÖVP eine Pflegeversicherung einführen und die FPÖ will Steuererhöhungen ganz verhindern. Beim Klimawandel, dem zweiten inhaltlichen Wahlkampfthema, hofft Kurz auf Wasserstoff- und E-Autos. Bis 2045 solle Österreich »CO2-neutral« werden, heißt es im ÖVP-Klimaschutzprogramm. Die sozialdemo­kratische Spitzenkandidatin Pamela Rendi-Wagner fordert dagegen ein günstiges Klimaticket, drei Euro für alle öffentliche Verkehrsmittel des ­Landes, und eine LKW-Maut.

Kurz verweist im Wahlkampf auf die »Erfolge« der ÖVP-FPÖ-Koalition. Zu diesen gehören eine Kürzung der Sozialhilfe für Migranten und der Zwölfstundentag. Er warnt vor einer derzeit rechnerisch kaum möglichen Koalition aus Grünen, SPÖ und Neos und einer Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und FPÖ.
Die FPÖ spielt nach dem Rücktritt ihres langjährigen Vorsitzenden Heinz-Christian Strache im Zuge der Ibiza-Affäre good cop, bad cop. Der FPÖ-Parteitag wählte den einstigen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer Mitte September mit 98 Prozent zum neuen FPÖ-Obmann. Hofer gibt sich im Wahlkampf freundlich und kompromiss­bereit, er lächelt für den Neuanfang der Post-Ibiza-FPÖ. Sein Stellvertreter, der Hardliner Herbert Kickl, soll hingegen weiterhin die Bedürfnisse der autoritären Basis befriedigen.

»Wir bieten die Koalition an, aber wir bitten nicht darum«, so zitierte der Standard Hofer. Trotzdem ist kein Szenario wahrscheinlicher als eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition. Zwar erscheint die Personalie Kickl noch als Hürde, denn Kurz schließt ihn als Minister kategorisch aus. Aber Oppor­tunismus ist auf beiden Seiten keine Mangelware, und ein »Kompromiss« wird sich sicherlich finden lassen.