Der rot-grüne Senat in Hamburg will vor der Bürgerschaftswahl im Februar noch schnell ein neues Polizeigesetz durchbringen

Rot-grüner Grundrechtseingriff

Vor der Bürgerschaftswahl im Februar will der Hamburger Senat ein neues Polizeigesetz beschließen lassen. Die Polizei soll neue Software zur automatisierten Datenanalyse nutzen und personenbezogene Daten länger speichern dürfen.

Von hanseatischer Gelassenheit war im Innenausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft am vorvergangenen Dienstag wenig zu spüren. Der Vorsitzende des Ausschusses, Ekkehard Wysocki (SPD), entzog Johannes Caspar ohne ersichtlichen Anlass das Wort. Der Hamburger Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit hatte lediglich eine an ihn gerichtete Frage beantworten wollen. »So etwas habe ich noch nicht erlebt«, sagte Christiane Schneider, Vizepräsidentin der Hamburgischen Bürgerschaft und innenpolitische Sprecherin der Linkspartei, nach der Sitzung im Gespräch mit der Jungle World.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass jede neue Eintragung in einer Polizeidatenbank bewirkt, dass frühere Eintragungen erst zehn Jahre, nachdem die neue Eintragung erfolgte, gelöscht werden müssen.

Die angespannte Stimmung im Innenausschuss hatte einen Grund: Verhandelt wurde der umstrittene Gesetzentwurf des rot-grünen Senats für das »Dritte Gesetz zur Änderung polizeirechtlicher Vorschriften«. Der Senat kündigte in der Sitzung zwar einige Korrekturen an, die von dem Staats- und Verwaltungsrechtler Caspar kritisierten Passagen des Entwurfs sollen aber bestehen bleiben. »Es gibt einen sehr heftigen Konflikt zwischen der Innenbehörde und dem Datenschutzbeauftragten, da die Polizei weitreichende Befugnisse erhalten soll, nicht zuletzt zur Verknüpfung von Daten aus ihren Datenbanken, zugleich aber die Befugnisse des Datenschutzbeauftragten eingeschränkt werden sollen«, sagte Schneider. Der erste Entwurf für ein neues Polizeigesetz hatte vorgesehen, die Anordnungsbefugnis des Datenschutzbeauftragten gegenüber der Polizei und der Innenbehörde gänzlich zu streichen. Nach heftiger Kritik von Juristen und Datenschutzbeauftragten auch aus anderen Bundesländern soll die Anordnungsbefugnis nur im Bereich der präventiven Polizeiarbeit entfallen.

Bei der Strafverfolgung soll die Befugnis also weiterhin gelten. Stellt der Datenschutzbeauftragte datenschutzrechtliche Verstöße bei der Strafverfolgung fest, kann er anordnen, dass die ermittelnde Behörde die datenschutzwidrige Maßnahme beendet. In den vergangenen eineinhalb Jahren machte Caspar nur einmal von dieser Möglichkeit Gebrauch. Am 31. August vorigen Jahres untersagte er der polizeilichen Ermittlungsgruppe »Schwarzer Block« die Nutzung einer Gesichtserkennungssoftware, mit der die Polizei Aufnahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel nach mutmaßlichen Straftätern durchsucht hatte. Hamburgs Innen­senator Andy Grote (SPD) wollte jedoch nicht auf die Anwendung der Software verzichten. Grotes Behörde klagte gegen die Anordnung des Datenschutzbeauftragten. Solange die Klage der Innenbehörde nicht abgewiesen ist, darf die Polizei die Software weiter verwenden. Am 23. Oktober soll die Sache am Hamburger Verwaltungsgericht verhandelt werden. Auch wenn das Gericht die Klage abweisen sollte, wird die Polizei die Gesichtserkennungssoftware Caspar zufolge weiter nutzen können. Denn bis ein letztinstanzliches Urteil ergeht, könne es Jahre dauern, sagte der Datenschutzbeauftragte der Taz.

 

Im Bereich der präventiven Polizeiarbeit soll die Polizei neue Befugnisse erhalten. So soll sie künftig »automa­tisierte Anwendungen zur Datenanalyse« nutzen dürfen. Gemeint sind damit neue Analyseprogramme, die eine Vielzahl personenbezogener Daten miteinander verknüpfen und auswerten können. Christiane Schneider sagte der Jungle World: »Der Polizei soll ermöglicht werden, Persönlichkeitsprofile zu erstellen oder Beziehungen gespeicherter Personen zu anderen Personen, Gruppen oder auch Orten auszuleuchten.« Die Polizei soll die dazu erforderliche Software vorbeugend und ohne konkreten Anlass anwenden dürfen. Dies könnte polizeiliches Eingreifen bei bloßem Verdacht auf künftige Straftaten ermöglichen.

Mit der neuen Software könnte die Polizei voraussichtlich auch auf größere Datenmengen zugreifen, da die Frist für die Speicherung personenbezogener Daten in bestimmten Fällen verlängert werden soll. Gemäß dem derzeit noch gültigen Polizeigesetz, das 2005 unter einer Alleinregierung der CDU verabschiedet wurde, müssen personenbezogene Daten nach zehn Jahren gelöscht werden. Der Gesetzentwurf für ein neues Polizeigesetz sieht vor, dass jede neue Eintragung in einer Hamburger Polizeidatenbank bewirkt, dass frühere Eintragungen erst zehn Jahre, nachdem die neue Eintragung erfolgt ist, gelöscht werden müssen. Eine weitere Neuerung betrifft die Verwendung der elektronischen Fußfessel. Bisher durfte diese nur zur Überwachung von verurteilten Straf­tätern, die unter Führungsaufsicht stehen, eingesetzt werden. Künftig sollen auf richterliche Anordnung auch terroristische Gefährder und Beziehungs­täter mit Hilfe der Fußfessel überwacht werden dürfen.

Da der Senat mit dem neuen Polizeigesetz die EU-Datenschutzrichtlinie von 2016 und das BKA-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus demselben Jahr umsetzen muss – das Gericht erklärte damals die Überwachungsbefugnisse des Bundeskriminalamts bei der Terrorabwehr teilweise für verfassungswidrig –, soll das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in einigen Punkten besser geschützt werden. So sollen künftig einige Maßnahmen der Polizei, etwa die Überwachung von Verdächtigen, unter Richtervorbehalt stehen, also nur noch erfolgen dürfen, wenn ein Richter oder eine Richterin sie anordnet. Einige polizeiliche Maßnahmen, die andere Bundesländer bereits eingeführt haben, enthält der Entwurf nicht. Zu diesen zählt etwa die Online-Durchsuchung von Computern, Tablets oder Smartphones mittels Spionagesoftware, die häufig als »Staatstrojaner« bezeichnet wird. Das derzeit noch gültige Polizeigesetz hält allerdings bereits etliche Maßnahmen bereit, die andere Bundesländer erst kürzlich eingeführt haben, etwa den Einsatz von Tasern, den Präventivgewahrsam und die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung, bei der Kommunikationsdaten vor der Verschlüsselung erfasst werden.

 

»Unter dem Strich«, resümiert Schneider, »werden die Grund- und Freiheitsrechte weiter eingeschränkt, zum Teil gravierend.« Politikerinnen und Politiker von SPD und Grünen verteidigen den Gesetzentwurf. »Hamburg beteiligt sich nicht an einem Wettbewerb um das schärfste Polizeigesetz«, sagte Sören Schumacher, der innen­politische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, der Taz. Antje Möller, die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Grünen, sagte derselben Zeitung: »Die Verhältnismäßigkeit der präventiven Eingriffe in die Freiheit der Bürger wird gewahrt«. Tatsächlich soll es in diesem Bereich keine Verschärfung geben. Allerdings darf die Hamburger Polizei schon seit 2005 Menschen bis zu zehn Tage lang in Gewahrsam nehmen. Im vergangenen Jahr nahm die Polizei 7 199 Personen gemäß Paragraph 13 des »Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung« (SOG) in Gewahrsam, wie aus einer Antwort des Senats auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei vom 18. Juni hervorgeht. Die Zahl der präventiv in Gewahrsam genommenen Personen erfasst das elektronische Verwahrbuch der Polizei nicht.

Am 8. November findet die abschließende Beratung des Gesetzentwurfs im Innenausschuss statt. Danach soll die Bürgerschaft so bald wie möglich über den Entwurf abstimmen. An der rot-grünen Mehrheit für das neue ­Polizeigesetz bestehen keine Zweifel. Christiane Schneider vermutet, dass die Eile des Senats taktisch begründet ist: »Man will so kurz vor den Bürgerschaftswahlen außerparlamentarischem Widerstand möglichst wenig Zeit lassen, sich zu formieren.« Außerdem wolle die Innenbehörde vor der Wahl im Februar auch noch ein verschärftes Verfassungsschutzgesetz verabschieden. Ein entsprechender Entwurf wurde bislang nicht veröffentlicht.