Rechtsterrorismus in Sachsen

Reisegruppe Neonazismus

Nach der Gruppe Freital und der Freien Kameradschaft Dresden stehen erneut extreme Rechte aus Sachsen vor Gericht, die eine ­kriminelle Vereinigung gebildet haben sollen, um Gewalt gegen Flüchtlinge, Andersdenkende und Polizisten auszuüben.

Im Verhandlungssaal der 15. Strafkammer des Landgerichts Dresden trennt eine etwa zweieinhalb Meter hohe mobile Glaswand den Zuschauerbereich vom Verhandlungsraum. Zwischen der Decke und der Glaswand ist Maschendraht befestigt.

Am Mittwochmorgen vergangener Woche waren nur zwei Pressevertreter anwesend, als der Vorsitzende Richter Thomas Mrodzinsky diesen Saal betrat. Die übrigen 80 Stühle im Zuschauer­bereich blieben frei. Dabei hat das mittlerweile seit knapp zehn Monaten ­andauernde Verfahren gegen die mutmaßlich gewalttätigen Rechtsextremisten René H., Christian L. und René V. gerade wieder an Brisanz gewonnen.

René H. könnte einer der Drahtzieher der Angriffe in Heidenau im August 2015 auf Flüchtlinge und Polizisten gewesen sein.

Eine Woche vor diesem Verhandlungstag hatten 30 Beamte der Sonder­kommission Rechtsextremismus (Soko Rex) des Landeskriminalamts Sachsen die Wohnungen von sieben Verdächtigen aus dem engen Umfeld der drei Angeklagten durchsucht. »Diese und weitere Personen stehen im Verdacht, eine kriminelle Vereinigung gegründet und in den Jahren 2015 und 2016 mehrere Straftaten zum Nachteil von Asylbewerbern, politisch Andersdenkenden und Polizeibeamten begangen zu haben«, wird der Staatsanwalt Jürgen Schmidt in einer Pressemitteilung ­zitiert. Neben Mobiltelefonen, Computern, diversen Speichermedien, einem Totschläger, Quarzhandschuhen und einem Elekt­roschocker stellten die ­Beamten auch illegale Pyrotechnik und Anabolika ­sicher. Die Ermittler prüfen auch Verbindungen zur Freien Kameradschaft Dresden (FKD), gegen deren Mitglieder vor dem Dresdner Landgericht seit über einem Jahr unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verhandelt wird (Jungle World 34/2019).

Bei den drei Angeklagten handelt es sich nicht um Mitglieder der FKD im engeren Sinne. Die Hauptangeklagten René H. und Christian L. sollen gemeinsam mit René V., Robin P., Ralf H., Nick F. und anderen Dresdner Neo­nazis unter der Bezeichnung »Reisegruppe 44« (RG44) mehrere schwere Straftaten verübt haben. Die Zahl vier steht dabei für den vierten Buchstaben im Alphabet und verweist auf die Stadt Dresden und ihren Fußballverein Dynamo. Am ersten Mai 2015 nahmen Mitglieder der RG44 an einer ­Demonstration der Neonazipartei »Der III. Weg« im thüringischen Saalfeld teil. Sie trugen T-Shirts mit der Aufschrift »Division Sachsen« und schwarz-weiß-rote Mützen. Auf dem Weg vom Bahnhof zur Demonstration ging die Gruppe auf Gegendemonstranten los. Mindestens drei Menschen wurden bei diesen Angriffen so schwer verletzt, dass sie im Krankenhaus behandelt werden mussten. Die FKD hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht gegründet.

 

Als Anführer der RG44 gilt der mittlerweile 33jährige René H. Nach Informationen des »Antifa-Rechercheteams Dresden« soll er bereits seit 2010 mit schätzungsweise 14 weiteren Neonazis regelmäßig trainiert haben sowie zu extrem rechten Demonstrationen und Fußballspielen von Dynamo gefahren sein. Der gelernte Koch gründete sein eigenes Security-Unternehmen, in dem eine ganze Reihe bekannter Dresdner Neonazis Arbeit fand.

Zeugen­aussagen zufolge leitete er eine Kampfsportgruppe, die aus seinen Mitarbeitern und anderen Wachmännern bestand und zweimal in der Woche in Dresden trainierte. Für die Gründung der FKD im Juli 2015 soll er gemeinsam mit dem Mit­angeklagten Christian L. gezielt gewaltbereite Leute gesucht haben. In den darauffolgenden Wochen und Monaten soll die RG44 immer wieder gemeinsam mit der FKD und der Gruppe Freital (Jungle World 11/2108) zusammengearbeitet haben – so zum Beispiel bei den rassistischen Ausschreitungen in Heidenau im August 2015 oder dem Angriff auf ein links­alternatives Hausprojekt im Dresdner Stadtteil Übigau im Oktober des­selben Jahres.

Im August 2016 soll H. der Initiator der sogenannten »Kleinen Bürgerwehr« beim Dresdner Stadtfest gewesen sein. Mehr als ein Dutzend Neo­nazis machten damals gezielt Jagd auf Ausländer, schlugen Menschen zu­sammen und verletzten dabei mindestens neun Geflüchtete zum Teil schwer. Als besonders brutal soll sich immer wieder der mittlerweile 30jäh­rige Christian L. hervorgetan haben.

Bereits im März 2009 war L. erstmals aufgefallen, weil er an einem gewalt­tätigen und gezielten Überfall auf einen Mitarbeiter des Kulturbüros Sachsen beteiligt war und dafür verurteilt wurde (Jungle World 36/2009). Seitdem wurden L. immer wieder rechte Gewalttaten vorgeworfen. Für seine prominente Rolle bei den Angriffen in Saalfeld erhielt L. vor wenigen Monaten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten ohne Bewährung.

 

Der Verhandlungstag in der vergangenen Woche vor dem Landgericht Dresden drehte sich um die Ereignisse im Dresdner Vorort Heidenau vor vier Jahren. Als Zeuge war Steffen S., ein 52jähriger Zugführer der sächsischen Bereitschaftspolizei, geladen. Er war mit seinem Zug, bestehend aus 35 Polizisten, am Abend des 22. August 2015 vor der Erstaufnahmeeinrichtung in Heidenau eingesetzt. Sein Auftrag war es, die Asylunterkunft zu schützen und die sichere Einfahrt von zwei ­Bussen mit Asylsuchenden zu gewährleisten.

Am Tag zuvor war es bereits zu gewalttätigen Angriffen gekommen. Dass dabei der Zugführer einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit schwer verletzt worden sei, so dass er sich einer Notoperation unterziehen musste, »ging bei uns ’rum wie ein Lauffeuer«, berichtete S. im Zeugenstand. Trotzdem habe er nicht damit gerechnet, dass es bei dem Einsatz zu solch heftigen Gewalttätigkeiten kommen würde. Sehr plötzlich und koordiniert seien bis zu 100 Neonazis auf die Polizisten seines Zugs losgegangen. Ein ­Hagel aus Steinen, Glasflaschen, Raketen und anderer Pyrotechnik sei auf diese niedergeprasselt. Die Angreifer hätten sich durch das Aussprühen von Feuerlöschern in Nebel gehüllt. Auch er selbst sei von einem Stein am Oberschenkel getroffen worden.

»Das habe ich mir nicht träumen lassen, dass es so kommt«, sagte S. Zeitweise sei die Lage sehr kritisch und nicht mehr unter Kontrolle gewesen. Er habe deshalb zweimal den Abschuss mehrerer Tränengasgranaten in Richtung der Angreifer befohlen. »Das ist die letzte Stufe vor dem Schusswaffeneinsatz«, so S. vor Gericht. Aus seiner Sicht war diese Maßnahme die letzte Möglichkeit, ­seinen Auftrag – den Schutz der Asylunterkunft – zu erfüllen.

René H. könnte einer der Drahtzieher dieser Angriffe in Heidenau gewesen sein. Dafür sprechen seine langjährigen Erfahrungen bei rechtsextremen Aktionen und im Hooligan-Milieu sowie die führende Rolle, die er zu diesem Zeitpunkt in der gewalttätigen Dresdner Neonazi- und Hooliganszene innehatte. Ihm dies nachzuweisen, dürfte jedoch schwierig werden. Den Strafverfolgungsbehörden lagen erst sehr spät belastende Aussagen gegen ihn vor. Unter der Bezeichnung »der ­große Leubener« geisterte er seit 2015 durch zahlreiche Aussagen in Verfahren gegen Neonazis, aber erst zum Ende des ­Prozesses gegen die rechtsterroristische Gruppe Freital nannte einer der Rechtsterroristen René H. beim Namen – in der Hoffnung, dadurch selbst Straf­milderung zu erhalten. Die Aussagebereitschaft gegen H. hält sich in der Szene jedoch weiterhin in engen Grenzen.