Nach Protesten von Indigenen musste Ecuadors Präsident Lenín Moreno die Er­höhung der Treibstoffpreise zurücknehmen

Lenín lenkt ein

Trotz Ausnahmezustand und Militäreinsatz muss Ecuadors Präsident Moreno nach Protesten von Indigenen die Erhöhung der Treibstoffpreise zurücknehmen.

Der Aufstand begann Anfang Oktober. Zehntausende Indigene kamen in die Hauptstadt Quito, viele mit Stöcken oder Eisenstangen ausgestattet, und besetzten einen zentralen Platz. In anderen Landesteilen blockierten sie Straßen, in der Amazonasregion hielten sie Ölförderanlagen besetzt. Die Meinungen über die Protesten gehen auseinander. In der Hafenstadt Guayaquil rief die christdemokratische Bürgermeisterin zu einer Gegendemonstration auf. Aber in Quito brachten Privatautos, an denen Pappschildern mit der Aufschrift »humanitäre Hilfe« angebracht waren, Kleider und Essensspenden zu den Universitäten, die den protestierenden Indigenen ihre Türen öffneten.

Vor dem Parlament und rund um den Präsidentenpalast standen sich tagelang Demonstranten und Polizisten gegenüber: Steine gegen Tränengas, improvisierte Schilde gegen Panzerwagen. Erst am 12. Oktober änderte sich das Bild in Quito, nachdem Vermummte das Gebäude des Rechnungshofs in Brand gesetzt hatten. Der Verdacht lag nahe, dass Anhänger des ehemaligen Präsidenten Rafael Correa Beweismaterial zur Korruption in dessen Regierungszeit vernichten wollten. Präsident Le­nín Moreno verhängte eine Ausgangssperre über die Stadt, erklärte sich aber erstmals bereit, über die Hauptforderung der Protestierenden zu verhandeln: die Rücknahme des Dekrets 883. Mit diesem Dekret hatte Moreno sämtliche Subventionen für Treibstoff gestrichen. Zusammen mit anderen Sparmaßnahmen wollte er so die Vereinbarungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen.

Seit den siebziger Jahren ist Erdöl das wichtigste Exportgut Ecuadors. Eine Militärregierung verstaatlichte 1974 die Erdölproduktion und führte Subventionen für Treibstoff ein, die die Preise im Inland niedrig hielten. Entsprechend abhängig sind der Staatshaushalt und die politische Stabilität vom Weltmarktpreis für Öl. Die Vorgängerregierung unter Correa, die sich dem »Sozialismus des 21.Jahrhunderts« verschrieben hatte, konnte dank hoher Weltmarktpreise zunächst Sozialprogramme finanzieren. Als die Preise Ende 2014 einbrachen, musste sie Sparmaßnahmen ergreifen. Trotz der antiimperialistischen Rhetorik gab es erste Gespräche mit dem IWF.

 

2017 übernahm Moreno das Präsidentenamt. Correas ehemalige Vizepräsident versprach im Wahlkampf, die Sozialpolitik fortzuführen, aber weniger autoritär zu regieren. Die beiden ehemaligen Parteifreunde sind mittlerweile erbitterte Gegner. Correa, der inzwischen in Belgien lebt und 2018 die Partei Movimiento PAĺS verlassen hat, wirft seinem Nachfolger Verrat und Unfähigkeit vor. Moreno wiederum beschuldigt seinen Vorgänger der Korruption, der Demagogie und der Verschleierung von Staatsschulden. Im vergangenen Jahr setzte sich Moreno auch immer mehr von jenen Parteifreunden ab, die ihn gegen Correa unterstützt hatten. Er holte Technokraten und Vertreter der alten Oligarchie ins Kabinett und suchte im Parlament die ­Unterstützung der Parteien.

Trotz eines zuletzt wieder leicht ­gestiegenen Ölpreises bekommt seine Regierung das Haushaltsdefizit nicht in den Griff. Nachdem China unter Correa zum Hauptkreditgeber Ecuadors geworden war, wandte sich die Regierung jetzt an den IWF. Der sagte im März einen Kredit über 4,2 Milliarden Dollar zu. Im Gegenzug musste sich Ecuador zu Sparmaßnahmen verpflichten, darunter den »schrittweisen Abbau der Treibstoffsubventionen«.

Doch die Verhandlungen über das Sparpaket gingen nicht voran. Wohl deshalb strich Moreno per Dekret am 2. Oktober die Treibstoffsubventionen komplett. Am nächsten Tag stieg der Preis der Gallone (3,8 Liter) Benzin von 1,68 auf 2,19 Euro, der Dieselpreis sogar von 94 Cent auf 2,10 Euro. Moreno, der als schwacher, wankelmütiger Prä­sident verspottet wird, erklärte seinen Schritt zur historischen Tat: »Die Entscheidungen, die ich getroffen habe, wurden seit Jahrzehnten hinausgeschoben.«

Die Reaktion kam prompt. Die Taxifahrer und Transportunternehmer stellten ihre Arbeit ein. Der Dachverband der Indigenen rief zusammen mit einem Gewerkschaftsverband und anderen Organisationen zu einem unbefristeten Protest, zu Blockaden und zum Marsch auf die Hauptstadt auf. Die Transportunternehmer brachen ihre Aktionen bald ab, die indigene Mobilisierung wurde bestimmend für die Proteste.

Die Benzin- und Dieselpreiserhöhung treffe die Ärmsten besonders hart, so die Protestierenden, weil sie Preiserhöhungen im öffentlichen Transport nach sich ziehe und auch Lebensmittel verteuere. Aber die Wut richtete sich gegen das gesamte Maßnahmenpaket, das mit Gehaltskürzungen, Abbau von Arbeitsrechten und Importvergünstigungen für Maschinen vor allem den Forderungen der Unternehmerverbände entgegenkommt. Die Indigenen, die nach verschiedenen Schätzungen zwischen sieben und 35 Prozent der Bevölkerung stellen, pochen zudem auf den in der Verfassung festgeschriebenen »plurinationalen« Charakter Ecuadors – eine Errungenschaft indigener Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte.

 

Moreno reagierte hart. Er rief sofort den Ausnahmezustand aus und entsandte die Armee, um strategische Anlagen zu schützen und die Straßen freizuhalten. Im ganzen Land kam es zu Zusammenstößen der Protestierenden mit Polizisten und Soldaten. Indigene erklärten in ihren Gebieten ebenfalls den Ausnahmezustand und nahmen Soldaten fest. Die Repression wurde bald ein wichtiges Thema bei den Protesten. Nach zwölf Tagen zählte der nationale Menschenrechtsbeauftragte sieben Tote, 1 340 Verletzte und 1 152 Festgenommene.

Am 13. Oktober ging es dann überraschend schnell: Die angekündigten Verhandlungen zwischen den Indigenenverbänden Conaie (Konföderation der Indigenen Nationen Ecuadors), Feine (Rat der evangelikalen Völker und Organisationen Ecuadors) und der ­Fenocin (Nationale Konföderation der Organisationen der Kleinbauern, Indigenen und Afroecuadorianer) kamen tatsächlich zustande. Auf Verlangen der Verbände wurden sie im Fernsehen übertragen. Nach einer Beratungspau­se verkündete der UN-Vertreter noch am gleichen Abend das Ergebnis: Das Dekret 883 wird aufgehoben, die Proteste werden beendet und eine gemeinsame Kommission erarbeitet ein neues Dekret.

Erleichtert hat die Verhandlungen, dass die Regierung für die Gewalt immer Anhänger des ehemaligen Präsidenten verantwortlich gemacht hat und die Indigenenverbände sich erfolgreich gegen eine Vereinnahmung durch Correa verwahrten, der in Videobotschaften aus Belgien vorgezogene Neuwahlen forderte. Bei einem Sturz des Präsidenten wäre ein Wahlsieg eines rechten Kandidaten wahrscheinlich. Bei Moreno, der eine schwache Machtbasis hat, bestand die Chance, ihn zum Einlenken zu bewegen. Die haben die Indigenenverbände, die nach den zehn Jahren unter Correa als geschwächt und gespalten galten, genutzt und sich auf der politischen Bühne zurückgemeldet. Dabei haben sie immer betont, dass sie auch die Interessen anderer benachteiligter Bevölkerungsgruppen vertreten. Ob sie der Politik in Ecuador damit eine neue Richtung geben ­können, steht auf einem anderen Blatt.