Wahlen in Kanada

Mr. Instagram lächelt auch im Wahlkampf

Am 21. Oktober sollen in Kanada die Unterhauswahlen stattfinden. Premierminister Justin Trudeau von der Liberalen Partei hat gute Chancen auf eine zweite Amtszeit – trotz mehrerer Skandale.

Die Veröffentlichung eines fast 20 Jahre alten Fotos entfachte die hitzigste Debatte des kanadischen Wahlkampfs. Es zeigt Justin Trudeau, das Gesicht schwarz geschminkt, als Aladin verkleidet auf einer Wohltätigkeitsveranstaltung. »Blackfacing« gilt in Kanada über alle Parteigrenzen hinweg seit Jahren als rassistisch. Da Trudeau, seit 2013 Vorsitzender der Liberalen Partei (LPC) und seit 2015 Premierminister, wie kaum ein anderer Politiker vor ihm Rassismus öffentlich bekämpft hat, fiel die Kritik am amtierenden Premierminister umso harscher aus. Andrew Scheer von der Konservativen Partei (CPC), Trudeaus wichtigster Konkurrent und nicht gerade bekannt für eine minderheitenfreundliche Politik, sagte, er sei »schockiert«. Trudeau habe Minderheiten verhöhnt und sei nicht fähig, Kanada zu regieren. Auch Jagmeet Singh von der Neuen Demokratischen Partei (NDP), Trudeaus sozialdemokratischer Konkurrent, ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen. In einer betont emotionalen Stellungnahme nutzte er ein Vokabular wie nach einem terroristischen Anschlag. »Bitte geht auf eure Angehörigen zu«, forderte er die kanadischen Minderheiten auf. »Bitte geht auf alle zu, die jetzt im Stillen leiden!«

Trudeau gilt als erster bekannter Politiker, der Instagram zu einem Regierungswerkzeug gemacht hat.

Als Anhänger der Sikh-Religion trägt Singh einen Turban und ist selbst als Angehöriger einer Minderheit erkennbar – eine Tatsache, die für seine Kampagne eine erhebliche Rolle spielt. Denn neben sozialpolitischen Forderungen wie einer Ausweitung der Krankenversicherung auch auf Zahnbehandlungen und höhere Steuern für Reiche basiert seine Kampagne nicht zuletzt darauf, Trudeau als unglaubwürdig zu und sich selbst als authentische Alternative darzustellen, besonders wenn es um die Rechte von Minderheiten geht.

Trudeaus Regierungsbilanz, zum Beispiel seine Politik bezüglich der indigenen Bevölkerung Kanadas, fällt tatsächlich zwiespältig aus. Trudeau hat sich 2017 zwar tränenreich für begangenes Unrecht an den First Nations und Inuit entschuldigt, Sozialprogramme eingeleitet und eine finanzielle Entschädigung für in den sechziger Jahren zwangsadoptierte Indigene vereinbart. Doch an der desolaten Situation dieser Bevölkerungsgruppen hat sich wenig geändert. Immer noch leben 25 Prozent unter der Armutsgrenze, die Suizid- und Obdachlosenraten unter Indigenen sind überproportional hoch und in einigen Reservaten herrschen katastrophale Bedingungen, wie etwa unzureichender Zugang zu Trinkwasser.

Im Juni kam zudem eine von der Regierung eingesetzte Untersuchungskommission zu dem Ergebnis, dass an indigenen Frauen ein »anhaltender Genozid« stattfinde. Allein in den vergangenen 30 Jahren wurden mehr als 1 186 indigene Frauen ermordet. Die Autoren des Berichts werfen den staatlichen Organen vor, aus rassistischen Gründen nicht ausreichend Ressourcen bereitzustellen, um diese Morde aufzuklären und solche Verbrechen in Zukunft zu verhindern.

 

Wussten Trudeau und seine LPC bei ihrem Wahlsieg vor vier Jahren noch die meisten Angehörigen der First Nations und Inuit hinter sich, dürften nun viele Singh den Vorzug geben. Der Vorsitzende der NDP besuchte im Wahlkampf demonstrativ die Grassy Narrows First Nation in der Provinz Ontario, die seit Jahren unter den Auswirkungen der Quecksilberverseuchung von Flüssen und Seen leidet. Singh versprach sofortige Abhilfe, sollte er Premierminister werden. Seine Chancen sind mit rund 17 Prozent in den landesweiten Umfragen allerdings gering. Derzeit haben die Konservativen mit 32,4 Prozent einen knappen Vorsprung vor den Liberalen mit 31,8 Prozent. Wegen des kanadischen Mehrheitswahlrechts – das Trudeau eigentlich reformieren wollte – sind solche Zahlen jedoch nur bedingt aussagekräftig, was die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse angeht. Als wahrscheinlich gilt jedoch, dass keine Partei eine absolute Mehrheit erreicht. Trudeau könnte daher, selbst wenn er seinem Konkurrenten Scheer unterliegt, von der NDP und den Grünen toleriert eine Minderheitsregierung bilden und weiterhin an der Macht bleiben. 

Trudeau hat seit seinem Amtsantritt 2015 deutlich an Popularität verloren. Dazu beigetragen hat auch der Skandal um die international tätige kanadische Baufirma SNC-Lavalin. Das Unternehmen soll in Libyen noch zu Zeiten der Diktatur Muammar al-Gaddafis Bestechungsgelder gezahlt haben. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe soll Trudeaus Umfeld auf die Justizministerin Jody Wilson-Raybould Druck ausgeübt haben, um Ermittlung gegen die Firma abzuwenden (Jungle World 11/2019). Wilson-Raybould – die einzige Ministerin indigener Herkunft – widersetzte sich, trat von ihrem zwischenzeitlich übernommenen Posten als Ministerin für Veteranenangelegenheiten zurück und wurde von Trudeau später gar aus der LPC hinauskomplimentiert.

Auch Trudeaus Einwanderungs- und Klimapolitik passt nicht zu seinem progressiven Image. Trotz wohlklingender Tweets, in denen er die kanadische Vielfalt pries und alle, die »vor Krieg, Terror und Verfolgung« flüchteten, willkommen hieß, verschärfte seine Regierung das kanadische Einwanderungs- und Asylrecht. Zudem passt der umstrittene Plan der Regierung, eine unter Trudeau mit staatlichen Geldern erworbene Ölpipeline zwischen Alberta und British Columbia zu erweitern, nicht recht zu dem Vorhaben, den Klimawandel zu bekämpfen. Die globale Erwärmung ist nach den hohen Lebenshaltungskosten immerhin die zweitgrößte Sorge der Kanadierinnen und Kanadier in diesem Wahlkampf.

Trotz dieser Ungereimtheiten halten viele in Kanada Trudeau die Treue. ­Neben guten Wirtschaftsdaten – die Arbeitslosenquote fiel unter seiner Regierung auf 5,7 Prozent – dürfte das geschicktem politischen Marketing zu verdanken sein. Trudeau gilt als erster bekannter Politiker, der Instagram zu einem Regierungswerkzeug gemacht hat. Seine industriefreundliche Realpolitik und die sich daraus ergebenden Widersprüche übertüncht sein Wahlkampfteam geschickt mit zahlreichen Fotos und Videos, die das ­Bedürfnis bedienen, den Premierminister auf der richtigen Seite zu wissen. Sie zeigen den früheren Schauspiel- und Snowboardlehrer in den sozialen Netzwerken lächelnd mit Kindern und einfachen Bürgerinnen und Bürgern – meist begleitet von einer simplen sozialen und möglichst für alle ­politischen Lager akzeptablen Botschaft. Ob diese Strategie aufgeht, ist offen.