Überflutungsgefahr in Liberia

Land unter Wasser

Große Flächen Liberias stehen jedes Jahr monatelang unter Wasser. Der Klimawandel und die Abholzung des Regenwalds verschlimmern die Überflutungen.

Nicole M. Monluo wirkt müde. Immer wieder bricht die Skype-Verbindung mit ihr ab, auch Whatsapp-Videos werden verzögert übertragen. Im 30-Sekunden-Takt sagt sie: »Ja, ich kann dich ­hören.« Doch das Problem, das Monluo hat, ist ein anderes: Wasser. Es ist überall. Seit April steht ihr Haus in Paynesville im Wasser, so ist es in der gesamten Stadt. Jedes Jahr zur Regenzeit von April bis September sind viele Gegenden Liberias überflutet. »Im Juni ging mir das Wasser bis zur Hüfte«, sagt die 20jährige Klimaschützerin.

Am 20. September stand sie mit rund 200 anderen Menschen auf den überfluteten Straßen von Paynesville, um sich am globalen Klimastreik zu be­teiligen. Ihre Botschaft an die politisch Verantwortlichen lautete: »Ist es das Geld, das euch interessiert? Hört auf, euch um euch selbst zu sorgen, und konzentriert euch auf den Zustand des Planeten!« Liberia gehört einem UN-Index zufolge zu den zehn ärmsten Ländern der Welt. Die Ärmsten sind vom Klimawandel am stärksten betroffen, können aber am wenigsten dagegen tun.

»Nicht nur Paynesville, auch die Hauptstadt Monrovia hat mit Überflutungen zu kämpfen«, sagt Monluo im Skype-Gespräch, »vor allem der Stadtbezirk West Point ist betroffen«. Mon­rovia ist mit über einer Million Einwohnern die größte Stadt des Landes und liegt zwischen dem Saint Paul River und dem Atlantik, hauptsächlich auf Sumpfgebiet. Der Stadtbezirk West Point ist eine Halbinsel. Der Meeresspiegel wird durch die Erderwärmung ­voraussichtlich weiter steigen. Während des Bürgerkriegs von 1989 bis 2003 zogen viele Geflüchtete nach West Point, die immer noch in Wellblechhütten ­leben. Es handelt sich um etwa 75 000 Menschen. »Die Überflutungen in West Point betreffen vor allem ghanaische Exilierte, die hier als Fischer arbeiten. Um ihr Einkommen zu sichern, brauchen sie das Meer«, sagt Monluo. Die Fischer, aber auch viele Geflüch­tete hätten oft keine andere Wahl, als am oder auf dem Meer zu leben oder in Gegenden, die vom Klimawandel am stärksten beeinträchtigt werden. »Sie können nirgendwo anders hingehen«, so Monluo.

 

Das Bevölkerungswachstum und die Binnenmigration während des jahrelangen Bürgerkriegs haben in Liberia dazu geführt, dass viele informelle Siedlungen in Gegenden entstanden sind, die nur knapp über dem Meeresspiegel oder in zuvor unbebautem Sumpfland liegen. Doch nicht nur der Klimawandel ist ein Problem. In ­solchen Siedlungen fehlt es oft an einer Kanalisation oder die Abflusskanäle sind verstopft, so dass es bei starken Regenfällen häufiger zu Überflutungen kommt.

Liberia hat mit weiteren ökologischen Problemen zu kämpfen, die teilweise die Folgen des Klimawandels verschlimmern. Hausmüll wird offen gelagert und verbrannt. Die tropischen Regenwälder werden abgeholzt, Elefanten, Leoparden und Affen gejagt. Sie gelten als »Buschfleisch«, dieses gilt in Liberia, aber auch in den Nachbarländern Sierra Leone und der Côte d’Ivoire als Delikatesse. Die Ranger, die die Tiere und den Wald schützen sollen, dürfen keine Waffen tragen und können so wenig gegen die Wilderei und den Export von geschützten Tierarten tun. Die Jagd auf die Tiere gefährdet das tropische Ökosystem. Noch drastischer wirkt sich die Abholzung aus. Ungefähr 40 Prozent der Landesfläche Liberias sind noch mit Regenwald bedeckt. Bereits während des Bürgerkriegs war die illegale Abholzung durch verschiedene Milizen ein großes Problem. Mittlerweile bedrohen Holz- und Palmölfirmen den Waldbestand. So belegt beispielsweise ein Bericht der Organisation Global Witness vom Oktober 2018, wie die Holzindustrie moderne, ökologisch orientierte Forstwirtschaftsgesetze mit Tricks umgeht.

Auch Monluo beobachtet immer wieder, wie Stücke eigentlichen geschützten Tropenholzes auf dem Markt verkauft werden: »Viele werden auf dem Schwarzmarkt verkauft, vor allem in Paynesville und Monrovia. Aber überall in Liberia wird Holz verkauft. Und vieles wird exportiert.« Monluo fordert: »Unsere Regierung sollte Unternehmen, die den Wald abholzen, strenger regulieren.«

2010 bekam das Unternehmen Golden Veroleum von der liberianischen Regierung die Erlaubnis, Palmölplan­tagen anzulegen. Geplant war, dafür große Flächen Regenwalds abzuholzen. Der liberianische Umweltschützer Alfred Brownell begann eine Kampagne, mit der verhindert werden konnte, dass 2 078 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt werden. Dieses Jahr erhielt er dafür den Goldman Environmental Prize. Bislang hat Golden Veroleum die Erlaubnis, immerhin noch 2 000 Quadratkilometer Regenwald abzuholzen. Andere Firmen sind ebenfalls im Geschäft. »Die Regierung und auch die Firmen haben nur Interesse am Geld«, sagt Monluo. »Sie stehlen unsere Zukunft und hinterlassen uns im Gegenzug nichts.«

 

2017 erfuhr Monluo vom Klimawandel. Seit 2018 spricht sie Menschen darauf an. »Oft sagen sie, dass er eine Erfindung der Weißen sei«, so Monluo. Doch wenn in Liberia Schulen und Krankenhäuser schlössen, weil alles unter Wasser stehe, und Monluo über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Überflutungen spreche, könne sie Skeptiker oft überzeugen. »Daran erkennen die Menschen oft, dass der Klimawandel real ist«, sagt sie. Über ­Zahlen zum CO2-Ausstoß kann man hinwegsehen, über hüfthohes Wasser vor der Haustür nicht. Monluos will in erster Linie überzeugen: »Es geht mir vor allem um das Bewusstsein der Menschen.«

Während die junge Frau versucht, sich über die schlechte Skype-Verbindung verständlich zu machen, hört man im Hintergrund Kinder schreien. Die Klimakrise hat nicht nur Auswirkungen auf das Land, in dem Monluo lebt, sie hat auch unmittelbare Auswirkungen auf ihre Familie: »Meine Familie verkauft Kartoffelgrün oder Blätter, um zu überleben. Aber das schlechte Wetter führt zu schlechter Ernte und geringen Verkaufserlösen. Deshalb gehen meine Geschwister nicht zur Schule.«

Monluo ist die einzige in ihrer Familie, die studiert. Sie ist mit ihren 20 Jahren die Hoffnungsträgerin: »Meine Onkel und Tanten bezahlen für die Univer­sität, damit ich später genug verdiene, um meine Geschwister zu unterstützen.« Ihre Bücher hänge sie wegen der Überschwemmungen in einer Tasche hoch an der Wand auf. Sie studiere Medizin, nicht nur um ihrer Familie zu helfen. In Liberia leiden viele Mädchen unter mangelnden Möglichkeiten zur Verhütung und Monatshygiene. »Viele Mädchen verlassen die Schule früher, weil sie schwanger werden. Oder weil es keine Binden für sie gibt«, so Monluo. Dann bleiben sie tagelang dem Unterricht fern und verpassen viel. Früher sei Monluo herumgegangen und habe Mädchen davor gewarnt, die Schule zu verlassen. »Mittlerweile rede ich mit den Mädchen, die die Schule verlassen, über den Klimawandel«, sagt sie. Freitags gehe sie für Klimagerechtigkeit auf die Straße: »Aber nicht so häufig, wie man vielleicht denkt.« Nachdem sie andere von der Wichtigkeit von Bildung überzeugt habe, bleibe sie der Universität ungern fern.

»Ich spreche auch über den Anstieg des Meeresspiegels«, sagt Monluo. Dieser und die Überflutungen hätten weitreichende Konsequenzen: »Es ist wirklich schwer, das Haus zu verlassen. Noch dazu leiden wir hier unter Pilzen und Moskitos, aber auch unter Krankheiten wie Cholera. Sehr viele Krankheiten übertragen sich über das Wasser.« Als Medizinstudentin kennt Monluo sich damit gut aus. »Ich will noch mehr Organisationen motivieren, uns zu helfen. Für Moskitonetze und Choleratabletten haben viele Menschen kein Geld«, sagt sie. Sie habe bereits mit dem Leiter von Farm4life gesprochen, einer internationalen Hilfsorganisation. »Aber bislang gibt es noch kein grünes Licht. Ich möchte auch mit dem Leiter der Organisation Full Circle Learning sprechen.« Monluo ist nicht nur ein Opfer der Klimakrise in einem strukturell benachteiligten Land. Sie klärt über die Probleme des Klimawandels auf und organisiert Hilfe. Sie handelt.