Kopftuchdebatte in Frankreich

Das Kopftuch und kein Ende

In Frankreich wird mal wieder über das muslimische Kopftuch debattiert - als hätte das Land keine anderen Probleme.

Eine Neuauflage der Einwanderungsdebatte und nun auch noch des »Kulturkampfs« um das Kopftuch – diese Themen bestimmen gerade die öffentliche Debatte in Frankreich, auch wenn es derzeit sicherlich wichtigere Probleme im Land gibt. So streiken Beschäftigte der Feuerwehren und der Notaufnahmen von Krankenhäusern gegen Personalmangel und unzureichende Ausstattung. Seit Ende voriger Woche sind auch die Bahnbeschäftigten im Ausstand, die von ihrem Recht auf Arbeitsverweigerung wegen akuter Sicherheitsgefährdung vor allem in Regionalzügen Gebrauch machen. Die Regierung droht allen mit Disziplinarstrafen wegen illegaler Streiks.

Statt sich den diesen Arbeitskämpfen zugrundeliegenden Problemen zu widmen, hat Präsident Emmanuel Macron seit Anfang September bei verschiedenen Gelegenheiten die Einwanderungsdebatte angefacht, die in diversen Formen seit 35 Jahren geführt wird. Am 16. September kündigte er in einer Rede vor Abgeordneten der Regierungsparteien an, die Einwanderung zum Thema einer offiziellen Aussprache im Parlament zu machen. Diese fand in den beiden Kammern am 7. beziehungsweise 9. Oktober statt.

»Die Frage lautet: Wollen wir eine reine Partei der Bourgeoisie sein oder nicht?« hatte Macron in seiner Ankündigung gesagt. Die Angehörigen der Oberschicht in den Innenstädten hätten kein Problem mit der Zuwanderung. »Sie begegnen ihr nicht. Die Unterklassen leben mit ihr.« An dieser Aussage war nicht nur bemerkenswert, dass Macron zum ersten Mal in seiner gesamten Laufbahn öffentlich den Begriff bourgeois zur Bezeichnung der Oberschicht in einem kritischen Sinn benutzte. Er ging offenbar auch davon aus, die »Unterklassen« seien besonders rassistisch, und dies, weil sie mit Einwanderern in Kontakt kämen. Dabei belegen Umfragen und auch die örtliche Varianz rechtsextremer Wahlergebnisse immer wieder, dass eine rassistische Abwehrhaltung tendenziell dort am stärksten ausgeprägt ist, wo Bürgerinnen und Bürger eben nicht oder kaum mit Menschen anderer Herkunft zusammenleben, jedoch befürchten, es könne dazu kommen.

Die Aussprache in den beiden Parlamentskammern blieb eine Diskussion ohne Abstimmung, in der Regierungsvertreter jedoch künftige Vorhaben andeuteten, insbesondere die Rücknahme der staatlichen medizinischen Beihilfe (Aide médicale d’Etat, AME). Diese gewährt Einwanderern ohne Aufenthaltstitel eine Art Ersatzkrankenversicherung und wurde 1999/2000 eingeführt, unter anderem um die Ausbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern. Die rechtsextreme Oppositionspartei Rassemblement National (RN, früher Front National, FN) nutzte nach der Aussprache die Gelegenheit, den »Betrug« anzuprangern, dass man zwar Schaufensterreden im Parlament halte, jedoch über nichts abstimme.

 

Die extreme Rechte hat zudem die Kopftuchdebatte wiederaufgenommen. Am 11. Oktober forderte der junge RN-Abgeordnete Julien Odoul im Regionalparlament von Bourgogne-Franche-Comté in Djion, eine Muslimin solle ihr Kopftuch ablegen oder aus dem Plenarsaal entfernt werden. Die 35jährige Fatima E. hatte als Aufsichtsperson die Klasse ihres Sohnes bei einem Schulausflug ins Regionalparlament begleitet. Die Sitzungsleiterin wies Odoul darauf hin, dass das Tragen des Kopftuchs in diesem Fall keineswegs illegal sei, denn nur Lehrerinnen im Staatsdienst und Schülerinnen unterliegen einem gesetzlichen Kopftuchverbot an staatlichen Schulen. Odoul verließ daraufhin lärmend die Sitzung. Karine Champy, eine ehemalige Politikerin des FN und nach ihrem Parteiausschluss mittlerweile parteilose rechtsextreme Regionalrätin, traf Fatima E. Medienberichten zufolge später auf der Toilette im Untergeschoss und beschimpfte sie mit den Worten: »Wenn die Russen kommen, dann werden Sie verschwinden!« 

Während die extreme Rechte üblicherweise aus solchen Debatten gestärkt hervorgeht, hatten die beiden rechtsextremen Abgeordneten in diesem Fall wenig Erfolg. Medien übertrugen Bilder des weinenden neunjährigen Schülers und seiner ihn tröstenden Mutter Fatima E. Die sozialdemokratische Regionalpräsidentin Marie-Guite Dufay wollte daraufhin persönlich die Schule in Belfort besuchen, von der die Schulklasse kam, der Bürgermeister der Stadt von der konservativen Partei Les Républicains (LR) untersagte ihr jedoch den Zutritt. Einige Konservative versuchten daraufhin, eine Kampagne zu beginnen, um das Tragen des Kopftuchs auch nichtschulischen Begleitpersonen bei Schulausflügen gesetzlich zu verbieten. In den Medien kritisierten viele Kommentatoren dies als Ausgrenzung. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer sagte, es gebe zwar kein Gesetz, das die Anwesenheit Kopftuch tragender Mütter bei Schulausflügen verbiete, doch dieses Kleidungsstück sei in der französischen Gesellschaft »nicht wünschenswert«. Marine Le Pen, die Vorsitzende des RN, ­forderte am Sonntag, das Kopftuch im öffentlichen Raum zu verbieten. Das­selbe wünsche sie sich für die Kippa, auch wenn »unsere jüdischen Landsleute mit ihrer Kippa kein Problem darstellen«.