Schattenwirtschaft der Hizbollah

Der Terror-Konzern

Während der Libanon die größte Protestbewegung seit Staatsgründung erlebt, schickt die Hizbollah ihre Schlägertrupps los. Die schiitische Miliz hat viel zu verlieren, sie ist längst ein Milliardenunternehmen.

Es gehen nicht alle, wie von den Protestierenden gefordert, aber zumindest einige: Ministerpräsident Saad Hariri kündigte am Dienstagnachmittag seinen Rücktritt an. Damit reagiere er auf die Forderungern der Protestbewegung, sagte Hariri. 

Die Hizbollah soll hinter dem Schmuggel von Isopropanol stehen. Die Substanz wird für die Herstellung des Nervengases Sarin verwendet.

Seit fast zwei Wochen besetzen die Protestierenden Innenstädte und blockieren Autobahnen, alle öffentlichen Einrichtungen, Banken und viele Geschäfte sind geschlossen. In Solidarität mit der Protestbewegung verlegen Professoren ihre Seminare kurzerhand zum zentralen Kundgebungsort in Beirut. Demonstrierende singen Schillers »Ode an die Freude« auf Arabisch. Eine fast 200 Kilometer lange Menschenkette verband am vergangenen Wochenende das sunnitisch dominierte Tripoli im Norden mit dem vornehmlich von Schiiten bewohnten Tyre im Süden des Landes. Dazwischen liegen auch christliche Ortschaften. Die Proteste sind überkonfessionell, es sind die größten in der Geschichte des Libanon. Die Demonstrierenden fordern das Ende des gesamten bisherigen politischen Systems. 

Revolution auf dem Märtyrerplatz. Seit rund zwei Wochen protestieren die Menschen im Libanon. Auslöser waren angekündigte Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen der Regierung.

Bild:
picture alliance / Hussein Malla

Waren die Proteste zunächst weitgehend friedlich, kam es am Wochenende erstmals zu Zusammenstößen zwischen Anhängern der an der Regierung beteiligten Hizbollah und Protestierenden. Am Dienstagnachmittag griffen Schlägertrupps der Hizbollah und der schiitischen Partei Amal Protestlager in Beirut an. Polizeikräfte schritten ein. »Der Libanon gehört allen Libanesen! Nicht der Hizbollah!« skandierten die Menschen in Tripoli daraufhin. »Alle Politiker sind korrupt, sie alle haben uns unser Geld gestohlen, die Hizbollah aber hat uns das Land weggenommen«, sagt ein junger Demonstrant der Jungle World. Die Proteste richten sich gegen Korruption, die Verschwendung öffentlicher Gelder und die desolate Wirtschaftslage. Die Staatsverschuldung des Landes liegt bei 150 Prozent des jährlichen Bruttoinlandsprodukts (56 Milliarden US-Dollar), das ist die dritthöchste Quote weltweit. Hinzu kommen ein Staatsdefizit von 11,5 Prozent und eine Wachstumsrate von nur 0,3 Prozent. Dafür verantwortlich sind jahrelange Misswirtschaft, grassierende Korruption, das Ausbleiben ausländischer Investitionen und rückläufige Remissionen aus dem Ausland lebender Libanesen. Seit kurzem kommt der Druck US-amerikanischer Sanktionen gegen die Hizbollah hinzu.

Der wachsende Einfluss der Hizbollah auf die libanesische Politik hat zu einem Rückgang insbesondere von Investitionen aus der Golfregion geführt. Zudem waren die Ende August dieses Jahres verhängten US-Sanktionen gegen die libanesische Jammal Trust Bank ein harter Schlag für den Finanzsektor des Landes. Der Generalsekretär der Hizbollah, Hassan Nasrallah, sprach sich am vergangenen Samstag gegen einen Rücktritt der Regierung aus, an der er selbst beteiligt ist. 

Die Hizbollah ist die reichste Terrororganisation der Welt. Die US-Finanzbehörde schätzt das jährliche Budget der »Partei Gottes« auf 1,1 Milliarden US-Dollar. Etwa 700 Millionen Dollar erhält sie an finanzieller Unterstützung  aus dem Iran. 300 Millionen Dollar stammen aus internationalen Drogen- und Waffengeschäften. Etwa 100 Millionen Dollar beschafft die Hizbollah im Libanon und durch Zuwendungen im Ausland lebender Geschäftsleute, die der Organisation zuarbeiten.

 

Doch der Partei geht das Geld aus. Generalsekretär Nasrallah rief im März den »Finanzjihad« (jihaad bil maal) aus. Die Hizbollah bat um Spenden und richtete unter anderem eine Hotline ein, unter der sie diese telefonisch entgegennahm. Sie entließ Personal, stellte Dienstleistungen ein und schickte Kämpfer in den Urlaub. Die der ­Hizbollah nahestehende Zeitung al-Akhbar berichtete im September, dass die Partei ihre Aktivitäten um 39 Prozent reduziert habe. Informationen der libanesischen Online-Zeitung al-Mudun zufolge schlossen etwa 3 500 Einrichtungen. Gehälter von Hizbollah-Kämpfern seien zum Teil halbiert worden.
Schatten über der Parallelökonomie

Politisch gelang der Hizbollah die Einbindung in das libanesische Parteiensystem, ökonomisch aber betreibt sie eine Parallelwirtschaft. Laut Interna­tionalem Währungsfonds entspricht die Größe der Schattenwirtschaft im Libanon 31,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nach dem libanesischen Staat ist die Hizbollah der zweitgrößte Arbeitgeber im Land. Sie betreibt Krankenhäuser, Schulen, Apotheken, Bau- und Immobilienfirmen, Banken, Supermärkte, Handels-, Kommunikations- und Logistikunternehmen sowie Offshore-Gesellschaften, die im Öl- und Gasgeschäft operieren. Ihr Firmennetzwerk basiert auf formeller und informeller Teilhabe. Zudem bestehen Scheingesellschaften im Libanon und weltweit, die Gelder aus Schmuggel- und Drogengeschäften waschen.

Zu dem Netzwerk gehört auch die Stars Group Holding der Brüder Amhaz. Das Telekommunikationsunternehmen führt neben dem Verkauf von Telefonen und Tablets Hochtechnologie in den Libanon ein. 2014 wurde bekannt, dass es technische »dual-use«-Bau­teile importiert hatte, die für Drohnen sowie Zielvorrichtungen für Raketen eingesetzt werden können. Im Juli 2019 geriet ein Beiruter Vergnügungspark, »Fantasy World«, in die Schlagzeilen. Gebaut wurde er von der al-Inmaa Group GmbH. Ihr Inhaber ist Adham Tabaja, der wohl prominenteste Finanzier der Hizbollah. Er wird seit 2015 auf der US-Sanktionsliste geführt. Die al-Inmaa Group verbirgt sich hinter zahlreichen Infrastrukturprojekten im Libanon und im irakischen Ölsektor.

Zwei Banken, die in den Narkoterrorismus (siehe Seite 4) und Geldwäsche involviert waren, sind die Lebanese Canadian Bank sowie die Jammal Trust Bank. Die US-Finanzbehörde betrachtet beide als elementar für die Finanzgeschäfte der Hizbollah. Beide Banken wurden mittlerweile geschlossen. Seit 2014 versuchen die USA, die monetären Transaktionen der »Partei Gottes« zu erschweren. Der Hezbollah International Financing Prevention Act (HIFPA) sanktioniert Finanzinstitutionen, die solche Transaktionen ermöglichen.

 

Die Hizbollah kontrolliert weite Gebiete entlang der syrisch-libanesischen Grenze. Sie führt auch diverse Waren über legale Grenzübergänge ein. Der Schaden durch Zollbetrug im Libanon wird auf 200 bis 600 Millionen US-Dollar jährlich geschätzt. Die Hizbollah kontrolliert auch die libanesischen Häfen und verfügt über eine eigene Einfuhrschleuse am Beirut International Airport. Güter, die als dem sogenannten islamischen Widerstand dienlich deklariert werden, verlassen – vom Zoll ungeprüft – den Flughafen über diese »grüne Schleuse«. 

Die französischsprachige Zeitschrift Le Commerce du Levant berichtete im November 2018 unter Berufung auf einen anonymen Experten, dass die ­Hizbollah auch hinter dem Schmuggel von Iso­pro­pa­nol nach Syrien stehe. Die Substanz wird für die Herstellung des Nervengases Sarin verwendet. Ein belgisches Gericht befand im April 2019 drei flämische Firmen für schuldig, trotz Sanktionen insgesamt 99 Tonnen Isopropanol nach Syrien und 69 in den Libanon exportiert zu haben.

Seit der Wiederaufnahme der US-Sanktionen gegen den Iran im Mai 2018 verdreifachte sich die Einfuhr iranischer Metalle in den Libanon. Gemessen am Gesamtimport ist der iranische Anteil klein, zumindest offiziell. Denn oftmals werden Lieferungen über die Türkei abgewickelt und Container umdeklariert; sie erscheinen dann als türkische Importe. Zudem erreicht iranisches Eisen den Libanon über Schmugglerrouten. Sein Wert wird von libanesischen Eisenhändlern auf 17 Millionen US-Dollar jährlich ­geschätzt. Iranische Eisenwaren werden etwa 20 Prozent billiger gehandelt als lokale Erzeugnisse. Das Eisengeschäft zahlt sich doppelt aus: Die Hizbollah verdient mit und verschafft dem Iran auch noch dringend benötigte harte Devisen.
Regieren als Einnahmequelle

Erstmalig erhielt die Hizbollah 2005 zwei Ministerämter und hoffte, damit staatliche Mittel zu erlangen. Sogar die Erzfeindschaft mit Israel kennt Grenzen, wenn es um Geld geht. Laut der libanesischen ­Zeitung al-Mudun unterstützt die Hizbollah eine Einigung der libanesischen Regierung mit Israel über die Aufteilung der Offshore-Gasfelder vor der libanesisch-israelischen Küste. Offenbar wittert die Organisation das Geschäft mit dem Erdgas.

Auch die USA wissen, dass die Hizbollah neue Finanzquellen sucht. Kürzlich warnte der US-Außenminister Mike Pompeo den Libanon davor, der Hizbollah den Missbrauch staatlicher Gelder zu gestatten. Die US-Botschaft lud im September wichtige Vertreter libanesischer Parteien auf den im Hafen von Beirut ankernden Zerstörer »USS Ramage« ein. Repräsentanten der Hizbollah waren nicht darunter. Kurz darauf sicherte der Beauftragte für die Bekämpfung von Terrorfinanzierung bei der US-Finanzbehörde, Marshall Billingslea, dem Libanon weitere Unterstützung gegen den Einfluss der Hizbollah zu. Er kündigte zudem an, auch die Helfer der Terrororganisation unabhängig von ihrer Konfession oder Parteizugehörigkeit zu sanktionieren – eine Warnung an Präsident Michel Aouns Partei Free Patriotic Movement.