Die Zukunft der CDU

Rechtskonservativer Zwergenaufstand

Kommentar Von Richard Gebhardt

Die Personaldebatte in der CDU lenkt vom strategischen Dilemma der Partei ab.

In der CDU tobt vor dem Leipziger Parteitag am 22. und 23. November erneut ein Machtkampf. Nach der Schlappe bei der Landtagswahl in Thüringen soll Tilman Kuban, der Bundesvorsitzende der Jungen Union (JU), Medienberichten zufolge im Parteivorstand die »Führungsfrage« gestellt haben. Die Kritik, die Kuban und andere derzeit äußern, richtet sich nicht nur gegen die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer, sondern vor allem gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Es spricht Bände über den Zustand der Union, dass der derzeit bekannteste Gegenspieler der Regierungschefin ein Christdemokrat ohne Mandat ist. Friedrich Merz, der Mitte Oktober auf dem »Deutschlandtag« der JU mit standing ovations gefeiert wurde, verfügt nach Meinung seiner Anhänger über Qualitäten, deren Fehlen im politischen Betrieb sie beklagen. Die Schwächen des ewigen Kritikers der Kanzlerin verdrängen dessen Unterstützer allerdings. Merz gilt zwar als eloquent, konnte dies aber bei der entscheidenden Parteitagsrede im Dezember vergangenen Jahres in Hamburg nicht unter Beweis stellen. Er ist durchsetzungsfähig, allerdings nicht gegen seine Parteifeindin Merkel. Er vertritt konservative Positionen, erhält für diese jedoch mehr Zuspruch von der Bild-Zeitung als aus den Reihen der Bundesregierung.

Nach zum Teil miserablen Wahlergebnissen bei der Europawahl sowie den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und zuletzt Thüringen müsste ein Herausforderer der Kanzlerin sowie der glücklosen Parteivorsitzenden eigentlich beste Chancen haben. Vor dem Leipziger Parteitag gilt mit Merz aber ein Mann der Vergangenheit als Hoffnungsträger. Maßgeblich unterstützt wird er vom ehe­maligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch, dem Wirtschaftsflügel der Partei sowie der Jungherrenriege der JU.

Merz’ Polemik gegen die von ihm als führungsschwach kritisierte Kanzlerin wurde von führenden Christdemokraten zurückgewiesen; der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther sprach im ZDF gar von »älteren Männern«, die »vielleicht nicht ihre Karriereziele in ihrem Leben erreicht haben«. Vermutlich räumt Merz höchstens den Weg für einen anderen Kandidaten frei. Genannt wird derzeit der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der jüngst gegen die Syrien-Politik von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer stichelte.

Die Fixierung auf Personalfragen verdeckt den Blick auf die programmatischen Leerstellen und wahlstrategischen Probleme der Union. Im Osten der Republik und in vielen ländlichen Regionen konkurriert die Union mit der AfD. In Thüringen ist die CDU hinter die Linkspartei zurückgefallen, deren Ministerpräsident Bodo Ramelow sich in der Rolle des überparteilichen Landesvaters gefällt. In einem »Appell konservativer Unionsmitglieder in Thüringen« rufen 17 Landtagsabgeordnete und Kommunalpolitiker dazu auf, nach dem schlechten Ergebnis bei der Landtagswahl Koalitions­gespräche mit der AfD zu führen. Besonders im Westen fordern die Grünen die Union in den Großstädten heraus. So befindet sich die CDU zwischen den derzeit wichtigsten Polen der politischen Kultur, der AfD und den Grünen, eingeklammert.

 

Dies bringt sowohl den konservativen als auch den liberalen Flügel der Christdemokratie in eine schwierige Situation, da deren Positionen auch von anderen Parteien besetzt werden. Als kon­servativ gilt der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs Winfried Kretschmann ebenfalls; für law and order fühlt sich auch dessen Parteifreund Boris Palmer zuständig, der Oberbürgermeister von Tübingen ist. Wer wie die Werte-Union eine neue konservative Offensive zur Sicherung der Stammwählerschaft fordert, ignoriert die Schwäche der eigenen Bataillone. Die CDU hat knapp 415 000 Mitglieder, der rechtskonservative Zirkel zählt eigenen Angaben zufolge etwa 3 000. 

Zwar tritt die Werte-Union forscher auf als der stets von der Parteiführung gezähmte »Berliner Kreis«, der vom derzeitigen AfD-Bundesvorsitzenden Alexander Gauland mitbegründet wurde. Die Vorsitzenden der Werte-Union sind den Wählerinnen und Wählern aber trotz vielfacher Medienberichte über den Verein kaum bekannt. Anders als die parteiinternen Gegner des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, etwa der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler und der ehemalige baden-württembergische Ministerprä­sident Lothar Späth, kommen Merkels Widersacher meist aus der zweiten Reihe der Partei. An der Führungsspitze ist die Kanzlerin anscheinend noch immer alternativlos.

Wenn der Machtkampf keinen neuen Schwung aufnimmt und in Leipzig kein Antrag auf Neuwahl des Parteivorstands gestellt wird, dürften auf die Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer erst einmal beschauliche Zeiten zukommen. Im kommenden Jahr wird auf Landesebene nur im Februar in Hamburg gewählt, die Kommunalwahlen in Bayern und Nordrhein-Westfalen dürften nicht in einem solchen Fiasko wie in Thüringen enden.
Offen bleibt die Frage, wie die Union in der polarisierten Republik weiter eine Volkspartei sein will. Eine rein konservative Partei war sie ohnehin nie; die Losung »Keine Experimente« des langjährigen Bundeskanzlers Konrad Adenauer wurde unter christdemokratischer Ägide nicht nur durch das »Turbo-Abitur«, den wohl größten schulpolitischen Fehlversuch der vergangenen Jahrzehnte, dementiert.

Als Sammlungsbewegung muss die Union unterschiedliche Interessengruppen und Wählermilieus bedienen. Greift sie vermeintlich urbane Themen wie den Klimaschutz oder das Elektroauto auf, brüskiert sie die Arbeitnehmer in der Autoindustrie und die Pendler auf den Dörfern. Wendet sie sich zum gesellschaftspolitisch konservativen Wirtschaftsliberalen Friedrich Merz, verliert sie weiter in den großstädtischen Milieus und brüskiert die Sozialpolitker in den eigenen Reihen ebenso wie den potentiellen grünen Koalitionspartner. Vor diesem Hintergrund wirkt der jetzige Machtkampf fast schon wie ein Scheingefecht, das vom strategischen Dilemma der Union ablenkt.