Wiederwahl von Evo Morales

Wählen statt zählen

Nach der umstrittenen Wiederwahl des bolivianischen Präsidenten Evo Morales verschärfen sich die Konflikte. Bei Protesten gab es zwei Tote. Die Opposition fordert Neuwahlen.

Die friedlichen Sitzblockaden in La Paz und anderen Städten des Landes seien die eine Seite der Medaille, die Märsche der Bergarbeiter, von denen manche Dynamit mit sich führen, und der Cocaleros (Kokabauern) die andere, sagt Marco Antonio Gandarillas. Der Soziologe und Leiter des Sozialinstituts ­CEDIB, das indigene Basisbewegungen in ihrem Widerstand gegen Großprojekte unterstützt, hatte es kommen sehen: »Die Wahrscheinlichkeit, dass es Tote und Verletzte geben würde, wenn Evo die Bergarbeiter und Cocaleros in Marsch setzt, war hoch. Nun ist es passiert und die Polarisierung ist beinahe greifbar.« Am Mittwoch vergangener Woche sind in der im Tiefland liegenden Stadt Montero zwei Männer erschossen und Dutzende weitere verletzt worden, als Anhänger der Regierungs­partei Bewegung zum Sozialismus (MAS) zur Verteidigung von Morales’ Wahlsieg auf oppositionelle Demons­trierende losgingen, die eine Straße friedlich blockierten. Das berichtete die Tageszeitung Página Siete. Dabei seien gezielte Schüsse auf die beiden Opfer, Mario Salvatierra (60) und Marcelo Terrazas Seleme (48), abgegeben worden. Mittlerweile haben Gerichtsmediziner festgestellt, dass die tödlichen Schüsse aus zwei verschiedenen Waffen stammten.

Bereits vor den Wahlen vom 20. Oktober hatten viele Menschen in Bolivien gegen eine weitere Amtszeit von Präsident Morales protestiert. Seit dieser bereits in der ersten Rund der Präsidentschaftswahl zum Sieger erklärt wurde, gibt es Massenproteste der Opposition gegen Wahlfälschung. Dem Obersten Wahlgericht zufolge erzielte Morales 47,1 Prozent der Stimmen, sein konservativer Herausforderer Carlos Mesa vom Bündnis Comunidad Ciudadana (Bürgergemeinschaft) 36,5 Prozent – womit eine Stichwahl nur knapp verhindert wurde.

 

Bei der Beerdigung der beiden in Montero erschossenen Männer war Rubén Costas, der Gouverneur des Verwaltungsdistrikts Santa Cruz und Vorsitzende der rechten Partei Movimiento Demócrata Social, zugegen und ­beteuerte, dass die Proteste weitergehen würden: »Wir halten an unserem Traum eines gerechten Boliviens fest, mit sauberen Wahlen.« Santa Cruz ist eine Hochburg der Opposition. Es war einer der Orte, an denen Indizien für Wahlbetrug gefunden wurden; ebenso in der Bergarbeiterstadt Potosí, in der eine tiefe Spaltung der Bevölkerung zu beobachten ist. Die Bergarbeitergewerkschaft droht sich gerade in einen Flügel für und einen gegen Morales zu spalten. Ähnlich sieht es in Cochabamba aus, der viertgrößten Stadt des Landes.

Der Tod der beiden Männer hat die Polarisierung in Bolivien weiter verschärft. Die Oppositionspolitiker Costas und Mesa, der Zweitplatzierte bei den Wahlen, machen die Regierung Morales für die Morde verantwortlich. Bei Großkundgebungen in Santa Cruz und La Paz am Donnerstag voriger Woche forderten sie nicht mehr nur eine Stichwahl am 15. Dezember, sondern Morales’ Rücktritt und freie Wahlen ohne seine Teilnahme. Am Sonntag sagte Mesa, Neuwalen sollten von einem »unparteiischen Wahlgremium« organisiert und von der internationalen Gemeinschaft beobachtet werden.

Gandarillas sieht kaum Anzeichen für eine friedliche Lösung des Konflikts. Diese Einschätzung teilt auch der Sozial­arbeiter Federico Chipana aus El Alto, der wie viele Bolivianerinnen und Bolivianer lange zu Morales gehalten hat: »Hier in El Alto herrscht im Gegensatz zu La Paz beinahe Normalität. Ich glaube, dass viele nicht Teil dieser Tragödie sein wollen, die sich in Bolivien abspielt. Nun gibt es zwei Tote und es geht nicht mehr um den Wahlbetrug, sondern um den Rücktritt Evos und Neuwahlen« – das lasse den Konflikt eskalieren.

Seit Donnerstag vergangener Woche überprüft ein Team von Wahlbeobachtern und Experten der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) das Wahlergebnis und untersucht Belege für den mutmaßlichen Wahlbetrug. Die OAS hatte bereits wenige Tage nach den Wahlen für einen zweiten Wahlgang geworben, um die Lage zu beruhigen. Viele Bolivianerinnen und Boli­vianer misstrauen ihr, weil sie die Wahlüberprüfung allein mit der Regierung vereinbart hat, nicht aber an die Opposition herangetreten ist.