Caroline Polacheks Soloalbum »Pang«

Im Strudel der Zeiten

Auf ihrem ersten unter ihrem Namen veröffentlichten Soloalbum vermischt Caroline Polachek Vergangenheit und Zukunft zu einer alternativen Gegenwart.

In der zweiten Hälfte der nuller Jahre war die beste Möglichkeit für Indie-Musiker, um ein breites Publikum zu erreichen, einen Song in einem Werbespot für den iPod zu platzieren. 2008 wurde die Welt auf diesem Weg mit Caroline Polacheks Stimme vertraut gemacht, als der Song »Bruises« ihrer bis dahin unbekannten Band Chairlift seinen Weg in einen Spot für den iPod Nano fand. »Bruises« klingt wie eine niedliche Indie-Pop-Nummer, wie geschaffen für die Werbung. Doch die sexuellen Untertöne in ­Zeilen wie »Got pink and black and blue /Got bruises on my knees for you« konterkarieren die kindliche Unschuld des Stücks, und wenn Polacheks Stimme dann im Refrain in die Höhe schießt, deutet sie eine Ambi­valenz an, die in einem Werbespot naturgemäß verlorengeht.

Auf 14 Tracks begibt sich Polachek auf eine klassische Heldinnenreise. Doch zieht sie nicht in die weite Welt hinaus, im Gegenteil: »Pang« blickt in die Menschen selbst hinein.

Elf Jahre später sind Chairlift ­Geschichte und die Popwelt ist eine andere. Für ihr im Oktober erschie­nenes Soloalbum »Pang« tat sich Polachek mit dem Produzenten Danny L. Harle vom Londoner Label PC Music zusammen. PC Music produziert elektronischen Hyper-Pop, der die handelsüblichen Pop-Hits noch weiter aufbläst und dem Performer hinter dem Hit jegliche persönliche Note raubt.

Dieses Spiel mit der Entpersonalisiserung entwickelt zuweilen verstörende Qualitäten, etwa wenn die Sängerin Hannah Diamond emotionslos und mit einer Stimme, die in die Stimmhöhe eines Kindes hochgepitcht wurde, über Sex singt. Caroline Polachek hat einen Weg gefunden, diese vollendete postironische Popkultur zu unterminieren, indem sie deren futuristische Mittel mit Anleihen aus einer Epoche kombiniert, die der jetzigen ferner kaum sein könnte: der Romantik des 19. Jahrhunderts.

Für Polachek ist das keine neue ­Inspirationsquelle. 2014 veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Ramona Lisa das komplett elektronische »Arcadia«, für das sie an ihrem Laptop Klanglandschaften entwarf, die sich wie ein Soundtrack für Natur­gemälde romantischer Maler wie Thomas Cole anhören. Über 14 Tracks verteilt begibt sich Polachek nun mit »Pang« auf eine klassische Heldinnenreise. Doch zieht sie nicht in die weite Welt hinaus, im Gegenteil: »Pang« blickt in die Menschen selbst hinein, um die Wirkung des Adrenalin und die Traumwelten zu erforschen, in denen sich Gefühle und Gelüste unmittelbar ausdrücken.

 

In »The Gate«, der Einleitung des Albums, steht die Sängerin vor dem Tor zu dieser geheimnisvollen Welt. Eine Stimme spricht: »Finally there’s a way / to feel both free and safe«. Türen tauchen immer wieder in den Texten auf. »I open the door and you run through«, heißt es im Titelsong. Diese Zeile verweist auch auf die Single »Door«: »You open the door to another door to another door to another door / and I’m running through«. »Pang« erweist sich als immersive Phantasiewelt, in die Polachek eingetreten ist und durch die sie sich ihren Weg bahnen muss. Zu dieser Phantasiewelt stellt die Anonymität der Großstadt das Gegenstück dar. »Back in the city I’m just another girl in a sweater«, singt Polachek.
Polacheks wichtigstes Instrument ist ihre Stimme. Sie ist eine besonders ausdrucksstarke Sängerin, also das Gegenteil von dem, wofür ihr ­Co-Produzent und PC Music bekannt geworden sind. Harles bevorzugte Entfremdungseffekte setzt Plachek ein, um ihre textlichen Ideen zu ­verbildlichen oder ihren durchaus radiotauglichen Popsongs surreale Twists zu geben, durch die sie dann doch klingen wie nichts, was man in den Charts erwarten würde.

»New Normal« ist einer der ungewöhnlichsten Tracks der Platte. Er hat keinen Refrain, reiht stattdessen Strophe an Strophe aneinander, während die Tonspur im Hintergrund mehrere Metamorphosen durchläuft. »Now what is this?«, wird am Anfang jeder Strophe gefragt, gefolgt von der Beschreibung einer Reihe ­irreal wirkender Ereignisse. Mit der Zeile »Last night I dreamed you and I were immortal /It’s no big deal, this new kind of normal« endet der Song. Die Utopie versteckt sich im Unbewussten. Dort vereinigen sich die Unmittelbarkeit und die Entrücktheit des Albums zu einer so surrealen wie persönlichen Variante der fast ein Jahrhundert alten Suche der Popkultur nach einem Leben unbegrenzter Möglichkeiten.

Das zweite Viertel des Albums widmet sich der Überforderung durch diese utopische Zukunft. »I’m feeling like a butterfly trapped inside a plane« heißt es in »Hit Me Where It Hurts«. Den Höhepunkt dieser Krise thematisiert das Lied »Insomnia«, dem auch der letzte Rest konventioneller Popstruktur abhanden gekommen ist. Die Schlaflosigkeit versperrt den Weg in die ideale Traumwelt, die gerade noch zum Greifen nah war. »I still got your heat«, klagt ­Polachek, und ein Effekt entreißt ihr das letzte Wort, das in die Höhe schießt und dort nachklingend verpufft.

 

Den Kampf um die Rückeroberung des Traums eröffnet das epische »Ocean of Tears«. »This is gonna be torture before it’s sublime«, kündigt Polachek an, Synthesizer und plötzlich einsetzende Staccato-Beats brechen über sie herein wie ein Orkan. Als sie singt »Show me the future«, wird ihr Gesang künstlich beschleunigt. Sie kann es kaum erwarten, zurückzukehren, bleibt aber in ihrer Eile hängen. Am Schluss bleibt ausgerechnet das Wort »future« auf seiner ersten Silbe stehen, wie eine alte CD (»Show me the fu-fu-fu-fu«).

Das Meer dient auf »Pang« als Metapher für eine Freiheit, die in ihrer Grenzenlosigkeit furchteinflößend wirkt. Im letzten Song des Albums überwindet Polachek diese Furcht. In »Parachute« fällt sie vor der Küste von Los Angeles ins Wasser und bemerkt über sich einen Fallschirm, der sie nach einem Windstoß so weit übers Meer trägt, dass sie unmöglich an die Küste schwimmen kann. Die Sicherheit des Fallschirms und die Freiheit des Ozeans stehen beide für das Versprechens von »The Gate« und Polachek zeigt sich bereit, diese Chance wahrzunehmen. »Go on, take me«, fordert sie, »it will feel like going home«. Doch da macht ihr eine unbekannte Kraft einen Strich durch die Rechnung und sie fliegt doch wieder auf die Küste zu. »What is this?«, fragt sie (ein Echo von »New Normal«), »pulling me back the other way? / To strip malls, highways, and treetops«. Sie landet sicher auf dem Boden, doch die Freiheit ist ihr einmal mehr entgangen. Ein paar Songs vorher hatte sich das schon in »Go as a Dream« angekündigt: »It’s slipping through my fists / Blurry at the edges / Leaving only legend«. Am Schluss bleibt die Legende, die in den Songs von »Pang« steckt, einem Album, auf dem sich Zukunft und Vergangenheit zu einer alternativen Gegenwart verbinden, die darauf verweist, was sein könnte. An den unscharfen Rändern der üppig geschmückten Klanglandschaften des Albums liegt die Klarheit einer Visionärin.

Caroline Polacheck: Pang (Perpetual Novice)