Niedriglohnbranchen rekrutieren Auszubildende aus Ländern wie Indonesien, die billigen Arbeitskräfte haben wenig Rechte

Ausgebeutet statt ausgebildet

Deutsche Betriebe beuten oftmals Auszubildende aus, die aus ärmeren Ländern wie Indonesien kommen. Besonders häufig geraten junge Arbeits­kräfte, denen Agenturen eine Stelle vermittelt haben, in Zwangs­verhältnisse.

In Indonesien findet Angaben der Weltbank zufolge etwa einer von sechs jungen Menschen keine Arbeit, ganz zu schweigen von einem guten Arbeitsplatz. Viele hegen daher den Wunsch, ihre Qualifikationen mit einer Aus­bildung im Ausland zu erhöhen oder diese als Möglichkeit für die Auswanderung zu nutzen. Hierzulande kommt das Branchen mit traditionell niedrigen Gehältern, eher schlechten Karrierechancen und hartem Arbeitsalltag ­gelegen. Dazu zählen unter anderem die Gastronomie, Hotellerie und der Pflegesektor. Dort macht man sich Sorgen über ausreichenden Nachwuchs, denn viele Lehr- und Arbeitsstellen bleiben unbesetzt. Statt sie ansprechender zu gestalten und höhere Löhne zu zahlen, erzählen Unternehmen, Arbeit­geberverbände und andere Lobbygruppen die Mär vom Fachkräftemangel. Gemeint ist damit meist nur der stockende Nachschub billiger Arbeitskräfte.

Viele Betriebe stellen anfangs zu viele Auszubildende ein,
um während der Probezeit die Überzähligen auszusortieren.

Wenn gleich also beidseitig eine hohe Nachfrage besteht, sind für die eigenständige Organisation einer Ausbildung in Deutschland Kenntnisse bürokratischer Prozesse und langwierige Vorbereitungen nötig. Das ruft Agenturen auf den Plan, die ihrer Kundschaft diese Mühen abnehmen und sich dafür gut bezahlen lassen. Wie viele Indonesier über eine solche Agentur nach Deutschland kommen, ist schwer zu sagen. ­Experten gehen derzeit von mehreren Hundert aus. Dem Auswärtigen Amt zufolge lernen etwa 150 000 Indonesier Deutsch. Buana*, eine indonesische Auszubildende in der Hotellerie, hat über eine solche Agentur ihre Stelle gefunden.

Sie berichtet im Gespräch mit der Jungle World: »Die Agenturen verkaufen meistens Gesamt­pakete. Sie kümmern sich um das Visum und um die Ausbildungsstelle. Für das Visum braucht man eine Sprachzertifizierung.« Frühere Arbeitserfahrungen seien nicht nötig, aber man müsse einen Schulabschluss haben. »Abhängig vom Umfang kostet das Ganze dann zwischen 300 Euro und 2 500 Euro. Dazu kommen die Flugtickets. Dafür nehmen die Agenturen immer einen Aufschlag, also beispielsweise 800 Euro statt des tatsächlichen Preises von 500 Euro. Selbst kaufen darf man sich die Tickets aus Vertragsgründen nicht.«

Eine Agentur hat auch Bentain*, der ebenfalls eine Lehre in der Hotellerie absolviert, einen Platz vermittelt. Er berichtet der Jungle World: »Meiner Agentur habe ich für die Vermittlung der Ausbildungsstelle, für den Deutschkurs, Unterlagen und das Visum 1 300 Euro gezahlt. Dazu kamen dann noch die Auflagen des Ausbildungs­betriebs. Der hat mir das Geld für den Flug und die Anfahrt in Deutschland vorgestreckt. Das sollte ich in Raten während der Ausbildung zurückzahlen.« Um diese Preise in ein Verhältnis zu setzen: Der durchschnittliche indonesische Monatslohn liegt weit unter 200 Euro.

Die Agenturen zeichnen ein unrealistisch positives Bild von Deutschland und machen große Versprechungen, um möglichst viele Kunden zu akquirieren. Wider Erwarten stoßen diese nach der Ankunft in Deutschland oft auf Komplikationen, wie sie etwa Buana erlebt hat. »In Indonesien habe ich für Hotel A einen Vertrag bekommen. Für den habe ich das Visum gekriegt. Allerdings waren dort nach meiner Ankunft zu viele Indonesier als Auszubildende. Also musste ich in Hotel B wechseln.« Das müsse sie der Ausländerbehörde melden. »Meine Agentur beschwichtigt mich zwar, aber ich habe Angst um meinen Aufenthaltsstatus«, so Buana.

Die Ängste sind begründet, stellen doch viele Betriebe anfangs zu viele Auszubildende ein, um während der Probezeit die Überzähligen auszu­sortieren – was keine ökonomischen Nachteile für sie hat, weil die Verträge, die die indonesischen Auszubildenden mit den Agenturen abgeschlossen ­haben, das ermöglichen. »Wenn ich die ersten vier Monate, also meine Probezeit, nicht überstehe oder den Betrieb selbständig wechsle, muss ich eine Strafgebühr von 3 200 Euro zahlen«, sagt Buana. Die Agentur erhalte von dem Betrieb dann nämlich kein Geld für die Vermittlung und hole sich von ihm alle Ausgaben zurück, so die junge Frau.

Genau das, was Buana befürchtet, ist Bentain passiert. »Nach nur eineinhalb Monaten wurde ich von heute auf morgen gekündigt«, erzählt er. »Es war von Anfang an alles sehr stressig und die Chefin hat mich immer angeschrien. Mir sind dann ein paar Fehler passiert. Ich habe ein gekochtes Ei ­kaputtgemacht, Gläser auf einen nassen Tisch gestellt oder das Frühstück zu langsam vorbereitet. Eine Nacht vor meiner Kündigung habe ich zwei ­Teller kaputtgemacht. Meine Chefin sagte dann, dass ich nach dem Polieren des Bestecks nach Hause gehen soll.« ­Einen Tag später habe er dem Betrieb 800 Euro für das Flug- und das Bahn­ticket zurückzahlen sollen. »Meiner Agentur schulde ich nun auch 530 Euro. Die große Katastrophe ist, dass die Ausbildungsstelle und die Unterkunft bei mir zusammenhängen. Ich musste nach der Kündigung ausziehen. Nun wohne ich auf dem Sofa einer Bekannten.« Wahrscheinlich erhalte er nicht schnell genug eine neue Stelle, um sein Visum verlängern zu können, so Bentain. Sein Status ist der Regelfall: Das erste Visum ist für drei Monate gültig, innerhalb derer der Auszubildende bei der Ausländerbehörde eine Verlängerung erwirken muss. Wer keine Lehrstelle mehr hat, muss höchstwahrscheinlich ausreisen.

Mit dem Aussortieren ist es nicht ­getan. Häufig versuchen die Betriebe, sich die Ausbildungskosten teilweise zurückzuholen, wie etwa bei Irsan*. »Ich verdiene nicht so viel, weil ich dem ­Betrieb für mein Essen und meine Wohnung, sie nennen das Kost und Logis, direkt viel zurückzahlen muss«, sagt der angehende Koch. Er toleriert diese Umstände, denn er sorgt sich um seine Stelle. Dass am Monatsende möglicherweise nicht viel übrigbleibt, ist den indonesischen Auszubildenden oft nicht bewusst.

Eine Deutschlehrerin aus Jakarta versucht deshalb, sich einzumischen, wo sie kann. »Meine Schüler legen mir manchmal Ausbildungsverträge zur Durchsicht vor. Viele rechnen den Lohn in indonesische Rupiah um und denken: ›Das ist aber viel Geld!‹ Manche kriegen nur etwa 200 Euro raus und müssen davon noch Verkehrsmittel, Kleidung und so weiter selbst bezahlen. Sie können die Lebenshaltungskosten in Deutschland nicht einschätzen.«

Auch Bima*, der eine Ausbildung zum Restaurantfachmann absolviert, hat Vergleichbares erlebt – aber Glück im Unglück gehabt. »Ich wurde anders als die deutschen Azubis behandelt. Ich musste in den ersten Monaten über 140 Überstunden machen. Außerdem habe ich viel weniger Geld gekriegt. Die Agentur hat mich in dieser Lage gar nicht unterstützt. Die interessiert nur das Geld.« Glücklicherweise hätten ihm seine Schule und eine Jugendberatung geholfen, den Ausbildungsbetrieb zu wechseln, so Bima: »Jetzt werde ich normal behandelt und lerne was.«

Doch viele sind dem Gang der Dinge ausgeliefert und orientierungslos. Die Agenturen vermitteln den Auszubildenden kaum Alltagswissen und weisen sie nur ungenügend ein. Die großen kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und Indonesien sprechen sie ebenfalls nicht an. »Uns wird viel darüber erzählt, wie schön das Leben in Deutschland sei, aber auf den Kulturschock wurden wir nicht vorbereitet«, sagt Buana. Optional begleite zwar Personal der Agentur hierzulande Auszubildende am Anfang, um mit ihnen eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, ein Bankkonto zu eröffnen und einmal den Weg von der Wohnung zur Arbeit abzufahren. Danach sei die Agentur aber oft nur schlecht erreichbar, erkläre sich für nicht zuständig und biete keine Hilfe.

Sugianto*, der eine Lehre als Pfleger macht, kennt das Problem mit den Agenturen aus der indonesischen community in Deutschland. »Ich habe in Indonesien Deutsch studiert und konnte mir meine Ausbildungsstelle selbst organisieren. Ich mag die Stadt, in der ich lebe, und die alten Leute im Heim. Wahrscheinlich kann ich später neben dem Beruf studieren. Mir geht es damit gut.« Doch sehr viele, die mit einer Agentur aus Indonesien gekommen seien, hätten in Deutschland große Probleme, so Sugianto: »Ich rate wirklich allen davon ab.«

Sicherlich nutzen nicht alle Ausbildungsbetriebe, die mit Agenturen ­zusammenarbeiten, den hohen Kostendruck und das Ausgeliefertsein ihrer ­indonesischen Auszubildenden aus, und niedrige Hürden für Visa zum Zweck einer Ausbildung in Deutschland sind durchaus begrüßenswert. Wenn aber das Agenturwesen nicht reguliert oder besser überwacht wird, keine Sorge für die Rechte von Auszubildenden in Zwangssituationen ge­tragen wird, sie zu wenig über Deutschland wissen und keine handlungsfähige Anlaufstelle außerhalb des regulären Ausbildungsbetriebs haben, folgt daraus vor allem eines: Ausbeutung.

* Namen von der Redaktion geändert