»Das Grauen, das Grauen« von Grim104

Falsche Zähne, echte Hoffnung

Platte Buch.

Statt wieder als Frosch in den Teich zu springen, fährt Grim104 diesmal auf dem Cover seiner neusten Platte im Auto mit Vampirzähnen im Mund Richtung Sonnenuntergang. Obwohl bereits seine erste EP mit dem Song »Frosch« nicht ohne Grusel auskam, wurde darauf ganz locker performt. Die souveräne Attitüde ist auf seiner neuen EP »Das Grauen, das Grauen« weiterhin präsent, doch Grim104 hat sie düsterer Programmatik untergeordnet. Ein basslastiger Trap-Beat pumpt mal schneller, stampft mal müde vor sich hin.

Das Grauen bezeichnet kindliche Ängste vor tabuisierten Familien­geschichten oder vor Kindesentführern aus dem Nachbardorf. Mehr noch aber als diese meint es den gewöhnlichen Alltagshorror eines entfremdeten Lebens in der Metropole, zum Beispiel in Berlin. Der distanzierte Blick des Vampirs hilft, trotz all der Gewerbegebiete, Shopping Malls oder den von Wohnungslosen bewohnten Bankvorräumen eine Gesellschaft sehen zu können, die endlich für die Menschen und nicht für die unendliche Bewegung des Kapitals als Selbstzweck eingerichtet ist.

Mit »Juri Gagarin« gibt es am Ende der Platte einen dramatischen Schlüsselsong, der als einziger eine dem täglichen Klein-Klein enthobene Haltung einnimmt. Im All kann Gagarin, der eine gottverlassene Erde zurücklässt, zunächst keine Hinweise auf einen göttlichen Plan erkennen. »Alles bewegt sich ständig/Wahrheit lässt sich nicht finden/Nur Zeichen und Muster, die erscheinen und dann wieder verschwinden.« Das ist weder existentialistisch noch postmodern gemeint. Denn über einen menschlichen Kontakt kommt im Anschluss daran wieder ein wenig Leben in die Bude: »Aus Chaos wird Struktur, Ruinenstädte voll Lianen/Längst vergessen, aber Teil von einem großen Plan/Augen starren wieder aus den Wolken/Ich weiß nicht, was sie wollen, ich kann nur ihren Blicken folgen.« Die Hoffnung ist schwach, aber sie existiert. Und sie entsteht nicht, wie bei den anderen Deutschrap-Untoten, durch den trivialen Glauben an sich selbst.
 

Grim104: Das Grauen, das Grauen (Recordjet)