Die Kampagne von Bernie Sanders nach der Niederlage am Super Tuesday

Das Establishment schlägt zurück

Wie die Führungsschicht der US-amerikanischen Demokraten gegen die Kampagne von Bernie Sanders agiert.

»Fight the Power« hieß es auf dem Poster für den Wahlkampfabschluss mit den HipHoppern von Public Enemy in Kalifornien. Die Kundgebung in Los Angeles wenige Tage vor dem »Super Tuesday« war mit rund 35 000 Gästen der bisherige Höhepunkt der Kampagne für die Präsidentschaftskandidatur von Bernie Sanders. Doch das Establishment hat sich am Super Tuesday, dem Tag der Vorwahlen in 14 Bundesstaaten, eindrucksvoll zurückgemeldet – Warnsignale hatte es bereits vorher gegeben.

Umfragen zufolge ist die mutmaßliche Fähigkeit eines Präsidentschaftskandidaten, Donald Trump zu schlagen, das wichtigste Kriterium bei der Stimmvergabe, noch vor der inhalt­lichen Übereinstimmung bei Politikvorschlägen.

Monatelang hatte die Sanders-Kampagne mit zuletzt über 1 200 bezahlten Mitarbeitern in vielen Bundesstaaten Wahlkampf geführt, hatte Kundgebungen mit Tausenden jubelnden Anhängern abgehalten und ebenso viele Freiwillige für Telefonanrufe an Millionen Wähler und das Klopfen an Hunderttausende Haustüren organisiert. Sanders erhielt 2019 und Anfang 2020 über 100 Millionen US-Dollar von fast zwei Millionen Kleinspendern, baute kontinuierlich eine umfangreiche Organisation auf und verbesserte langsam seine Umfragewerte. Doch schon bei den ersten Vorwahlen wurden die Grenzen der Strategie »outorganize the establishment« deutlich, sowohl für Sanders als auch für die progressive Senatorin Elizabeth Warren. Mit viel medialer Unterstützung schnitten auch die moderaten Kandidaten Pete Buttigieg und Amy Klobuchar bei den ersten Vorwahlen in Iowa und New Hampshire relativ gut ab.

Die Vielzahl der Kandidatinnen und Kandidaten war bei den ersten drei Vorwahlen im Januar und Februar nützlich für Sanders. In Iowa und New Hampshire erhielt er weniger als 30 Prozent der Stimmen, führte damit aber trotzdem das Kandidatenfeld an, weil seine moderaten Konkurrenten sich gegenseitig Konkurrenz machten. Bei den Vorwahlen in Nevada erreichte Sanders im zweiten Wahldurchgang gar 47 Prozent der Stimmen führte danach das Kandidatenfeld an.

Als Reaktion darauf kam es in den zehn Tagen nach Sanders’ Sieg in Nevada zu dem, was Beobachter als »Establishment-Freakout« bezeichnen. Datenanalysten und Wahlgurus rechneten vor, wie Sanders am Super Tuesday Anfang März einen »uneinholbaren De­legiertenvorsprung« erreichen könnte. Wegen der 15-Prozenthürde könne Sanders in allen 14 Bundesstaaten Delegierte gewinnen, während dies den moderaten Kandidaten nur in einigen Bundesstaaten gelingen werde.

Das demokratische Establishment – ein Netzwerk einflussreicher Parteiführer, Großspender und Berater – hatte sich lange Zeit kritisch gegenüber Joe Biden gezeigt. Nach einem enttäuschenden Auftritt bei der letzten Fernsehdebatte vor der Wahl in South Caro­lina wurde klar, dass der zeitweise als Alternative zu Biden gehandelte Milliardär und ehemalige Republikaner Michael Bloomberg keinen Erfolg haben würde. Gleichzeitig gewann Joe Biden in South Carolina ähnlich deutlich wie zuvor Sanders in Nevada. Die jüngeren moderaten Kandidaten in Wartestellung, Pete Buttigieg und Amy Klobuchar, erhielten von den vielen Afroamerikanern in South Carolina trotz vorheriger Wahlerfolge wenig Unterstützung.

Es war das Signal, auf das die Führungsschicht der Demokraten gewartet hatte. Es folgten Telefongespräche mit Großspendern sowie zwischen den Kandidaten. Der New York Times zufolge griff auch der ehemalige Präsident Barack Obama ein, dessen Mitarbeiter vorher hatten durchsickern lassen, dieser werde sich nicht in die Vorwahl einmischen, um später die Flügel der Partei versöhnen zu können. Am selben Tag erklärten erst Buttigieg und dann Klobuchar das Ende ihrer Kandidatur. Immer mehr Kongressabgeordnete sagten Biden ihre Unterstützung zu. Flankiert wurde dies von einer regelrechten Medienkampagne für Joe Biden in den drei Tagen zwischen den Vorwahlen in South Carolina und dem Super Tuesday, die Medienanalysten als »Gratiswerbung im Umfang von 100 Millionen Dollar« bezeichneten.

Der Aufschwung von Bidens Kampagne trifft auf offene Ohren. Viele moderate Wähler sind der langen Kandidatensuche überdrüssig, sie wollen eine schnelle Entscheidung, wer gegen Präsident Donald Trump antritt. Zudem findet die Aktivistenrhetorik von Sanders und seinen Unterstützern, die sich wenig bemühen, eine breite Koalition aufzubauen, bei vielen relativ verängstigten und risikoscheuen Teilnehmern an der Vorwahlen wenig Anklang. Sie wollen im November unbedingt Präsident Trump schlagen. Umfragen zufolge ist die mutmaßliche Fähigkeit, dies zu tun – »perceived electability« nennen es Experten –, das wichtigste Kriterium bei der Stimmvergabe, noch vor der ­inhaltlichen Übereinstimmung bei Politikvorschlägen.

Die Sanders-Kampagne konnte der konzertierten Kampagne des Establishments zum Super Tuesday und dem »Momentum« von Joe Biden wenig entgegensetzen. Biden gewann am Super Tuesday, dem 3. März, zehn Staaten, Sanders nur vier. Biden erarbeitete sich einen Vorsprung von 80 Delegierten für den Nominierungsparteitag im Juli.

Sanders konnte zwar seinen Herkunftsstaat gewinnen und die Parteilinke in allen Vorwahlstaaten inklu­sive der relativ liberalen Demokraten in Utah, wo er ebenfalls gewann, erfolgreich hinter sich vereinen. In Kalifornien und auch in Colorado sorgten zudem auch Latinos für einen Vorwahlsieg. Anders als bei der aus historischen Gründen eng mit dem Establishment der Demokraten verbundenen afroamerikanischen Community waren die monatelangen Organizing-Bemühungen der Sanders-Kampagne bei ihnen erfolgreich.

Die kleinen Latino-Communities in Iowa und New Hampshire und die deutlich größere im Wüstenstaat Nevada hatten zuvor den Wahlsieg Sanders’ mit ermöglicht, in Texas verhinderten sie eine höhere Niederlage. Sanders’ Familiengeschichte als Sohn armer jüdischer Holocaust-Flüchtlinge hat Parallelen zur eigenen Fluchterfahrung vieler Latinos. Sein Programm bietet das, was diese Wählergruppe dringend braucht: ein höherer Mindestlohn, eine staatliche Gesundheitsversorgung, Schutz vor Abschiebungen.

Doch gleichzeitig fiel der von Sanders in seiner Standardwahlkampfrede immer wieder beschworene »massive Anstieg« der Wahlbeteiligung junger Wähler aus. In den beiden Altersgruppen unter 45 Jahren hat er in Umfragen mehr als 50 Prozent Unterstützung. Experten hatten allerdings immer wieder auf die im Vergleich zu anderen Altersgruppen geringe Wahlbeteiligung der jungen Erwachsenen hingewiesen.

Zu den überhöhten Erwartungen gesellte sich ein weiteres Problem: Sanders schaffte es in South Carolina trotz monatelangen Einsatzes schwarzer Kampagnenmitarbeiter nicht, seine Unterstützung unter schwarzen Teilnehmern der Vorwahlen deutlich zu verbessern. Der Trend setzte sich drei Tage später am Super Tuesday fort. Biden gewann die Staaten im black belt im Süden: Virginia, North Carolina, Alabama. Auch das eher konservative und vor ­allem im Osten und in den Städten von vielen schwarzen Wählern bevölkerte Texas gewann Biden, wenn auch knapper mit nur rund vier Prozentpunkten Vorsprung.

Sanders verschreckte mit seiner kompromisslosen Anti-Establishment-­Rhetorik schwarze Wähler im Süden, wo die dünnen lokalen Parteistrukturen oft der einzige Schutz für eine verwundbare Community sind und sich per­sonell überschneiden mit Pastoren, Bürgerrechtlern und schwarzen Führungsschichten – dem »Establishment« eben. Die weiße, gebildete und relativ liberale Mittelschicht im Norden verlor er mit seiner harten »Arbeiterklasse«-Rhetorik an Elizabeth Warren.

Anders als bei den Moderaten kam es zu keiner Vereinigung des progressiven Parteiflügels. Elizabeth Warren zog erst nach dem Verlust ihres Herkunftsstaats Massachusetts und auch sonst enttäuschenden Ergebnissen am Super Tuesday ihre Kandidatur zurück. Sie beendete ihren Wahlkampf sichtlich gekränkt, scheinbar mehr beunruhigt über Belästigungen durch »Bernie Bros« als über die Tatsache, dass nun mit Joe Biden ein verbraucherfeindlicher Politiker, der anders als Sanders ihre Pläne einer Vermögens­steuer und die Einführung einer allgemeinen staatlichen Krankenversicherung ablehnt, zum Favoriten aufsteigt.

Doch die Sanders-Koalition hat eine dritte Schwachstelle: weiße Arbeiter und Wähler in ländlichen Gebieten. Anders als noch 2016 gewann Sanders die eher ländlichen Staaten Oklahoma und Minnesota, in denen es vor langer Zeit einen linken Prärie- und Farmerpopulismus gab, nicht mehr. Einen Teil seiner Unterstützung bei diesen Wählern 2016 verdankte er offensichtlich der Abneigung von Gender-Traditionalisten gegen Hillary Clinton.

Sanders vollzog nach der Wahlschlappe am Super Tuesday zumindest teilweise einen Strategiewechsel. Er schaltet nun wie Biden pragmatisch Wahlkampfspots, in denen lobende Aussagen von Obama über ihn zusammen­geschnitten sind. Und er kritisiert Biden deutlicher – etwa wegen dessen Unterstützung für das für Arbeitsplatzverluste in rust belt-Staaten wie Michigan mitverantwortliche Freihandelsabkommen Nafta und jahrelange Bemühungen, die staatliche Sozial- und Krankenversicherung für Senioren zu kürzen.

All das könnte too little, too late sein. Die Vorwahlen im relativ linksliberalen Bundesstaat Washington und im Ar­beiterstaat Michigan diese Woche müsste Sanders deutlich gewinnen, damit seine Kandidatur noch Chancen hat. Die Ergebnisse in Michigan, einem Staat, in dem er 2016 noch gewinnen konnte, obwohl er in den Umfragen zurücklag, könnten zeigen, ob Sanders unter weißen und schwarzen Arbeitern rund um die Autostadt Detroit, aber auch bei von Sozialversicherungskürzungen bedrohten Senioren dazugewinnen kann. Nur dann hat er eine Chance, bei weiteren Vorwahlen auf unfreundlicherem Territorium nicht in einen unaufhol­baren Rückstand zu geraten, etwa am 17. März in Florida. Dort spielen Senioren und anticastristischen Kubanoamerikaner eine wichtige Rolle, und es gibt mehr als 200 Delegierte zu gewinnen.