Gespräch mit Hanno Bruchmann vom Berliner Verein »Mare Liberum« über die

»Grausamkeit der EU-Grenze«

Small Talk Von Nicholas Potter

Der Berliner Verein »Mare Liberum« (mare-liberum.org) dokumentiert mit seinem eigenen Schiff seit 2018 Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis. Dort überqueren Geflüchtete die wenigen Kilometer Seeweg zwischen der Türkei und griechischen Inseln wie Lesbos. Hanno Bruchmann ist Menschenrechtsbeobachter bei dem Projekt und hat mit der Jungle World über die derzeitige Situation gesprochen.

Im Vergleich zu anderen Rettungsschiffen liegt Ihr Fokus bei Menschenrechtsbeobachtungen. Was beobachten Sie genau?

Wir wollen sichere Fluchtwege. Häufig könnten die Küstenwachen selbst retten, tun es aber nicht. Das Problem in diesem engen Grenzraum ist, dass die Küstenwachen oft gegen geltendes Recht verstoßen, Geflüchtete bedrohen, sie zusätzlicher Gefahr aussetzen und sie illegal zurück über die Grenze schieben. Was vor 2015 gang und gäbe war, ist wegen der internationalen Aufmerksamkeit und des politischen Drucks seltener geworden. Durch unsere Beobachtungen und die Schaffung von Medienaufmerksamkeit konnten wir zeigen, dass die Situation nicht ruhig, geordnet und akzeptabel ist. Zudem konnten wir dazu beitragen, dass sich die Küstenwachen beobachtet fühlen und weniger übergriffig verhielten. In der jetzigen Situation bricht das ganze Ausmaß der Gewalt gegen Geflüchtete wieder aus.

Wie reagieren die Inselbewohner auf Ihr Projekt?

Wir haben von Beginn an sehr darauf geachtet, mit lokalen Akteuren und Strukturen zusammenzuarbeiten, und wir hatten stets gute Beziehungen. Doch die seit Jahren extrem angespannte Lage ist in den vergangenen Monaten endgültig eskaliert. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Inseln fühlen sich allein gelassen. Die EU besteht auf den Hotspots auf den Inseln und lässt die Menschen nicht weiterreisen. Dadurch entstehen riesige Slums, in denen die Geflüchteten festsitzen. Die Situation in Moria ist hinreichend bekannt. Das neuartige Coronavirus ist ein weiterer Grund, warum die Lager schnell evakuiert werden müssen. Doch den Versprechungen der EU oder der neuen konservativen griechischen Regierung folgt keine Entlastung. 20 000 Menschen stecken in Moria und auf einem Militärschiff fest. Sie müssen weiterreisen dürfen!

Mittlerweile attackieren Rechtsextreme Geflüchtete und solidarische Bürger, sie vertreiben NGOs und Journalisten. Sind Sie auch davon betroffen?

Ja, ein Mob sammelte sich vor unserem Schiff, übergoss das Deck mit Benzin und drohte, es anzuzünden, wenn wir nicht verschwinden. Über Tage wurden wir bedroht und konnten nicht mehr anlegen.

Wie reagiert die griechische Polizei darauf?

Bei dem geschilderten Angriff kam die Polizei noch. Anschließend sagten uns Polizei und Küstenwache jedoch, sie könnten uns nicht weiter helfen. Sie seien keine private Sicherheitsfirma. So konnte der Mob über eine Woche Gewalt ausüben. Die Situation bessert sich nun etwas. Am Samstag gab es große antifaschistische Demonstrationen gegen die rechte Gewalt. Der Bürgermeister von West-Lesbos hat ein sehr solidarisches Statement veröffentlicht. Mittlerweile konnten wir auch unter Polizeischutz wieder anlegen, unsere Crew austauschen und Treibstoff auffüllen.

Und nun?

Wir brechen wieder auf zum Einsatzgebiet an der Seegrenze. Das war nicht geplant und daher benötigen wir zusätzliche Spenden. In diesen Wochen ist die Beobachtung dessen, was auf See passiert, extrem wichtig. Wir alle haben die Bilder der Misshandlungen gesehen und die Küstenwache macht daraus keinen Hehl. Wir werden weiter für Solidarität eintreten und verhindern, dass die Aufmerksamkeit wegbricht. Die Menschen müssen sehen, welche Grausamkeit die EU-Grenze bedeutet. Wir werden die EU weiter konfrontieren.