Ein Gespräch mit Hamani Amadou von der Internationalen Transportarbeiter-Fördera­tion

»Das Leben der Seeleute ist von Unsicherheit geprägt«

Interview Von Knut Henkel

Aufgrund der Covid-19-Pandemie dürfen Schiffsbesatzungen nicht an Land gehen, viele Seeleute haben keinen Kontakt zu ihren Familien. Enge an Bord und Ungewissheit führen zu psychosozialen Erkrankungen.

Das Kreuzfahrtschiff »Mein Schiff 3« liegt in Cuxhaven vor Anker. An Bord saßen vergangene Woche zunächst rund 2 900 Seeleute fest, die zum größten Teil von anderen Schiffen der Flotte der Reederei Tui Cruises übernommen worden waren. Am Dienstag befanden sich nach Angaben der Reederei noch 1 638 Besatzungsmitglieder auf dem Schiff. Auf diesem hatte es neun mit Sars-CoV-2 Infizierte gegeben. Wissen Sie mehr über die Situation an Bord?

Ja, ich bin mit einigen Seeleuten an Bord in Kontakt. Die Stimmung ist schlecht, denn die Crew will nach Hause. Das Problem ist aber, dass hier und in den Herkunftsländern der Crewmitglieder strenge Infektionsschutzbestimmungen gelten. Wie sollen die Seeleute zurück, wenn Flughäfen und Grenzen geschlossen sind? Wir als Gewerkschaft – ich arbeite als Inspektor für die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF) –, aber auch die Reederei Tui Cruises sind auf die Politik angewiesen.

»Viele Seeleute sind vom Rest der Welt abgeschnitten. Das ist kaum zu ertragen.«

Aus welchen Ländern kommen die Seeleute und das Service-Per­sonal, das auf den Kreuzfahrtschiffen der Reederei arbeitet?

Aus verschiedenen Ländern wie den Philippinen, Indonesien, Indien, der Ukraine oder Bulgarien. Wir haben es mit Menschen aus rund 60 Nationen zu tun. Das macht die Rückreise extrem schwierig, denn all diese Länder haben Schutzmaßnahmen verfügt – genauso wie Deutschland. Reisen in Zeiten der Pandemie ist nicht vorgesehen und in einigen Ländern ist sogar die Einreise von Bürgern des Landes verboten. Das sind die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind.

Besonders dramatisch ist die Situation auf den Philippinen und in Indien. Viele Crews können die Länder nicht verlassen oder nicht zurück zu ihren Familien. Welche Folgen hat das?

Das ist in vielen Ländern so, weshalb die ITF und der Reederverband eng zusammenarbeiten, um die Politik dazu zu bewegen, Ausnahmeregelungen für Seeleute zu treffen. Nur die Politik kann an der derzeitigen Situation etwas ändern.

Auf dem Kreuzfahrtschiff soll es zu Erkrankungen und psychosozialen Problemen gekommen sein, weil die Menschen die Enge und die Unsicherheit an Bord nicht aushielten. Wie sieht es an Bord von Container- und Massengutfrachtern aus?

Die Seeleute auf Frachtern stehen nicht so im medialen Rampenlicht wie die Kollegen auf Kreuzfahrtschiffen, sind aber deutlich länger an Bord. Die Situation der Seeleute ist dramatisch, weil Crewwechsel seit Anfang März aufgrund der Reisebeschränkungen nicht stattfinden können. Wir wissen von Seeleuten, die seit zwölf Monaten an Bord sind und ihr Schiff seit Wochen nicht verlassen haben, weil in den meisten Häfen seit Anfang März der Landgang nicht mehr möglich ist. Das ist kaum zu ertragen.

Das grundsätzliche Problem ist, dass Seeleute, deren Vertrag ausläuft, nicht von Bord kommen, weil das unter den Infektionsschutzmaßnahmen nicht vorgesehen ist. Selbst wenn sie von Bord kommen sollten, taucht das nächste Problem auf: Viele können nicht in ihr Heimatland zurückfliegen, entweder weil es kaum Flüge gibt oder weil das jeweilige Land die Einreise verweigert. Das betrifft auch Seeleute, die einen Arbeitsvertrag haben, aber nicht an Bord der jeweiligen Schiffe kommen und deshalb ihre Arbeit nicht antreten können. Die Situation ist katastrophal: Die Seeleute sitzen an Bord oder an Land fest und wissen nicht, wie lange das alles dauern wird.

Wie wirkt sich die lange Zeit an Bord aus – fallen die Seeleute in ein Loch? Sind sie zumindest mit ihren Angehörigen in Kontakt?

Normalerweise werden jeden Monat 100 000 der weltweit 1,7 Millionen Seeleute ausgetauscht. Das geschieht seit Anfang März jedoch nicht mehr. Daher wissen die Seeleute nicht, wann sie von oder an Bord kommen, ihr Leben ist von Unsicherheit geprägt. Viele sind noch nicht mal in Verbindung mit ihren Familien. Sie wissen nicht, was zu Hause passiert. Das ist ein zweiter Unsicherheitsfaktor, der ihren Bordalltag prägt. Das ist hart und liegt meist daran, dass ihre Handykarten kein Gut­haben mehr haben. Aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmen dürfen sie nicht von Bord, sind also auf die Häfen angewiesen, wo die Seemannsmissionen sie mit Aufladekarten für das Internet versorgen. Das funktioniert aber nicht überall. So sind viele See­leute vom Rest der Welt abgeschnitten. Das ist kaum zu ertragen.

Gibt es an Bord keinen W-Lan-Zugang?

Längst nicht alle Frachtschiffe haben einen W-Lan-Zugang, und wenn doch, dann funktioniert der oft auch nur im Hafen. Wenn das Schiff auf See ist, steht nur die teure Satellitenverbindung zur Verfügung und die ist in aller Regel für private Belange gesperrt.

Also sind die Seeleute auf Aufladekarten für ihre Mobiltelefone angewiesen?

Genau, und die liefern im besten Fall die Seemannsmissionen an die Gangway. Sie gehen derzeit, um das Infek­tionsrisiko zu minimieren, nicht an Bord. Es gibt auch Häfen, wo die Terminals gesperrt sind. Dort sind die Seeleute komplett abgeschnitten.

Gibt es auch Probleme mit der Bezahlung, wenn die Seeleute länger an Bord bleiben müssen?

In einigen Fällen ist unklar, ob und wie sie nach dem Auslaufen ihrer Verträge weiter bezahlt werden.

Betrifft das die Seeleute an Bord oder diejenigen, die als Ablöse angeheuert wurden, aber nicht an Bord des Schiffs kommen können?

Zumeist die Seeleute, die ablösen sollten, aber dann informiert wurden, dass es keine Flüge gibt. Die sind teilweise gestrandet, in großen Städten, wo sie abfliegen sollten und von wo aus sie jetzt nicht einmal zurück nach Hause kommen – so wie zum Beispiel in Manila. Etliche Seeleute haben auch ­keinen Kontakt mehr zu ihren Arbeitgebern – sie wissen nicht ein noch aus.

Gibt es Reedereien, die die Seeleute nicht mehr bezahlen, weil die Verträge ausgelaufen sind?

Solche Fälle gibt es generell immer wieder, aber derzeit nicht mehr als sonst. Die meisten Reedereien engagieren sich für ihre Crews und den Wechsel der Crews.

Geht die ITF derzeit noch an Bord?

Bei echten Notfällen würden wir das machen, aber auch nur dann.

Gibt es Probleme mit der Gesundheitsversorgung? Kommen die Seeleute nach einem Arbeitsunfall von Bord? Was ist, wenn einen Zahnschmerzen plagen oder Medikamente fehlen?

Da gibt es Probleme und wir versuchen, in diesen Fällen zu vermitteln. Wir ­suchen nach Lösungen und in Deutsch­land funktioniert das auch. Das ist ­international aber durchaus unterschiedlich.

Und wie ist es international?

Wenn es einen Krankheitsfall an Bord gibt, meldet der Kapitän das den Gesundheitsbehörden und dem Agenten seiner Reederei. Der ist für die Koordination des Arztbesuchs verantwortlich. Wenn der Agent Schwierigkeiten hat, den Seemann oder die Seefrau von Bord zu holen, wendet er sich an die Wasserschutzpolizei. Die sowie auch wir von der Gewerkschaft und die Seemannsmissionen suchen dann gemeinsam nach Lösungen. Bei der Medikamentenversorgung ist das einfacher, aber mit den derzeitigen Restriktionen ist alles deutlich komplizierter.

Die Gewerkschaften, die Reedereien, aber auch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation IMO haben auf die Situation der Seeleute aufmerksam gemacht. Wie hat die Politik hierzulande und anderswo reagiert?

Wie gesagt, wir arbeiten eng mit den Reedereien zusammen und haben auf die Probleme aufmerksam gemacht. Ich hoffe, dass es bald Sonderregelungen für Seeleute geben wird. Die sind überfällig.