Small Talk mit Moritz Pankok über die Gefährdung des Denkmals für die ermordeten Sinti und Roma durch den Bau eines Bahntunnels

»Ungläubiges Entsetzen und Unverständnis«

Small Talk Von Peter Nowak

Tunnelbaupläne der S-Bahn Berlin GmbH, eines Tochterunternehmens der Deutsche Bahn AG, gefährden das Denkmal für den Porajmos, den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma. Die Jungle World hat darüber mit Moritz Pankok gesprochen. Er ist Künstler und Galerist und hat 2012 das Buch »Das schwarze Wasser – O Kalo Phani« über die südlich vom Reichstagsgebäude gelegene Gedenkstätte mit herausgegeben.

Was empfinden die Betroffenen angesichts der Gefahr für das Denkmal?

Es gab in der Minderheit vorher das Gefühl, gehört worden zu sein. Die unsensible Vorgehensweise der Deutschen Bahn birgt die Gefahr, viel von dem Erreichten wieder zu zerstören. Es stünde uns Deutschen angesichts unserer Geschichte besser zu Gesicht, vom Hauptbahnhof zum Potsdamer Platz zu Fuß zu gehen, als für den Bau der entsprechenden S-Bahnlinie das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas abzureißen.

Welche Bedeutung hat die Gedenkstätte für die Angehörigen der NS-Opfer?

Aus meiner Beobachterrolle kann ich sagen, dass das Denkmal den Sinti und Roma Würde zurückgegeben hat. Aufgrund seiner prominenten Lage besuchen es auch zahlreiche zufällig vorbeikommende Touristen. Diese Menschen erfahren oft zum ersten Mal vom Schicksal der vielen Opfer des Porajmos. Vor allem aber wird es regelmäßig von überlebenden Sinti und Roma und ihren Angehörigen besucht.

Warum hat es bis zur Errichtung des Denkmals so lange gedauert?

Man muss sich immer wieder vor Augen führen, dass es fast 70 Jahre gedauert hat, bis dieses Denkmal in Deutschland 2012 realisiert wurde. Das Denkmal und somit die Anerkennung dieses Völkermords haben also eine lange Vorgeschichte. Der berühmte Hungerstreik überlebender Sinti im ehemaligen Konzentrationslager Dachau 1982 gehörte dazu und die unermüdliche Aktivität Überlebender wie Otto Rosenberg, aber auch kleine Schritte wie die Bemühungen meines Großonkels Otto Pankok 1947 in Düsseldorf um Anerkennung des erlittenen Leids. Der schmerzhafte Kampf um die Aufarbeitung der Vergangenheit war in Deutschland das zentrale Moment für die politische Bewegung der Sinti und Roma.

Was würden die S-Bahnpläne für das Denkmal bedeuten?

Das Denkmal stellt einen Ort der Stille dar. Es ist eine stille Waldlichtung inmitten der Stadt. Das »Schwarze Wasser« lässt an Paul Celans Gedicht »Die Todesfuge« denken. Das Denkmal ist ein Grab für die, denen keinen Grab gewährt wurde. Dass die Deutsche Bahn, deren Vorgängerunternehmen wesentlich an der Maschinerie des Holocaust beteiligt war, diese Stille zunichtemachen will, ist ein starkes Stück. Selbst wenn man das zentrale Element des Denkmals, die dunkle Wasserschale, nicht anrühren würde, werden die Bauarbeiten einem würdigen Gedenken für viele Jahre ein Ende setzen. Der umstehende Wald wird zunichte gemacht, auch dann, wenn man vielleicht eine Ersatzpflanzung anlegt. Damit zerstört man das Werk eines international renommierten Künstlers. Dani Karavan, der Schöpfer des Denkmals, hat diese Umgebung berücksichtigt.

Wie reagieren Organisationen der Sinti und Roma auf die Pläne?

Ich habe ungläubiges Entsetzen und Unverständnis erlebt. Es gibt ja gerade in Berlin eine sehr aktive und vielfältige Szene verschiedener Gruppen und Verbände. Spontan entstanden zwei Online-Petitionen gegen die Pläne, auf change.org und openpetition.de. An Pfingsten gab es eine erste Demonstration. Der Hashtag #DasDenkmalbleibt kursiert bereits. Die Deutsche Bahn wird nicht nur auf den geeinten Widerstand der Selbstorganisationen in Berlin, sondern auch auf internationaler Ebene stoßen.