Die Atemnot als Chiffre für das Leben unter weißer Vorherrschaft

Niemand will ersticken

Kommentar Von Bafta Sarbo

<p>Ausschreitungen nach solchen tödlichen Polizeieinsätzen gegen Schwarze haben in den USA eine lange Geschichte.</p>

Ausschreitungen nach solchen tödlichen Polizeieinsätzen gegen Schwarze haben in den USA eine lange Geschichte. Nachdem in Ferguson 2014 ein Polizist den 18jährigen Michael Brown erschossen hatte, kam es wochenlang zu Unruhen. Doch die Revolte,die Schwarze nach der Tötung von George Floyd entfachten, erfährt eine ungleich höhere Zustimmung. Einer Umfrage der Zeitschrift Newsweek zufolge hielten 54 Prozent der US-Amerikaner das symbolträchtige Niederbrennen einer Polizeiwache in Minneapolis am 29. Mai für gerechtfertigt. Aber auch in Frankreich und Australien protestierten Zehntausende gegen Rassismus. Allein in Deutschland demonstrierten am Wochenende mehr als 180 000 Menschen in Solidarität mit den Protesten.

Oft hatten jene Fälle tödlicher Polizeigewalt, die in der jüngeren Vergangenheit zu Unruhen führten, eine ökonomische Dimension. George Floyd wurde verdächtigt, in einem Laden mit einem gefälschten 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben. Eric Garner soll 2014 vor einem Geschäft unversteuert einzelne Zigaretten verkauft haben, als ihn ein Polizist erstickte, obwohl er elfmal »I can’t breathe« geklagt hatte. Diesen Satz verwandelte Black Lives Matter in eine politische Parole. Schwarze in den USA sind nicht nur aufgrund des Rassismus häufiger von Polizeigewalt und Inhaftierungen betroffen, sondern auch, weil ein überproportionaler Teil von ihnen in Armut lebt. Die materiellen Folgen der Sklaverei und der Segregation sowie die seit Jahrzehnten anhaltende Verarmung der arbeitenden Bevölkerung führen zu ökonomischen Verhältnissen, in denen Rassismus und Klassengegensatz einen historisch in dieser Form wohl einzigartigen Zusammenhang ausgeprägt haben.

Gegenwärtig repräsentiert US-Präsident Donald Trump alles, wogegen sich die Proteste richten. Zwar fanden sowohl eine enorme Aufrüstung der Polizei mit militärischem Gerät als auch heftige Proteste gegen Polizeigewalt bereits unter seinem Vorgänger statt. Doch Barack Obama, der gerne Präsident aller US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sein wollte, versuchte nach den Unruhen in Ferguson die Wogen zu glätten. Trumps Reaktionen auf den Tod Floyds zielten auf Polarisierung ab. Statt Polizeigewalt zu verurteilen, forderte er ein härteres Vorgehen und drohte mit dem Einsatz des Militärs. Er machte »die Antifa« für die Proteste verantwortlich und kündigte an, sie zu einer Terrororganisation zu erklären. In der Suche nach einem Sündenbock drückt sich die Angst vor einem Aufstand der schwarzen Bevölkerung aus. In einer Situation, in der jede vierte Person der insgesamt mehr als 110 000 in den USA an Covid-19 Verstorbenen schwarz war, viele Millionen Menschen ihre Jobs verloren haben und die meisten gefährlichen Berufe, die sich nicht in home office ausüben lassen, überproportional Schwarze verrichten, macht die Pandemie den besonderen Charakter der US-amerikanischen Klassengesellschaft klar sichtbar. Frantz Fanon schrieb, dass Unterdrückte revoltieren, weil es ihnen unmöglich werde zu atmen. Er verwies dabei auf die unerträgliche Armut und die Unterdrückung der Kolonisierten. An Atemnot sterben nicht zuletzt die Opfer von Covid-19, was die Pandemiesituation assoziativ mit der Polizeigewalt verknüpft. Das gegenwärtige Aufbegehren richtet sich gegen eine Gesellschaftsordnung, die es Schwarzen meist im übertragenen, aber viel zu oft sogar im Wortsinn unmöglich macht zu atmen.