Liebe und Sexualität respektieren kein Abstandsgebot

Risiko Liebe

Kommentar Von Kuku Schrapnell

Wer nicht in einer monogamen Zweierbeziehung, in der gemeinsamen Wohnung oder mit einem begehrten Menschen zusammenlebt, kam in den vergangenen Monaten schwerlich zum Geschlechtsverkehr. Doch das Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit lässt sich nicht eindämmen.

Wer mit Filmen wie »Call Me by Your Name« oder »Love, Simon« groß wurde, oder eben damals mit »Sommersturm« oder so was, muss die Entzauberung der Welt gar nicht erst selbst leisten. Wer sich mal auf Dating-Plattformen wie Grindr oder Planet Romeo ­angemeldet hat, weiß, dass es mit der Romantik vornehmlich in der schwulen Szene, aber auch in anderen Teilen der queeren Community, nicht unbedingt weit her ist. Statt verliebt auf dem Riesenrad zu sitzen, findet man sich eher auf der Couch eines Wildfremden wieder und kann sich freuen, wenn man den Vor­namen desjenigen kennt, der einem gerade die Eingeweide neu ­anordnet. Außer man ist Jens Spahn, aber wer will schon Jens Spahn sein? Und natürlich kann man Sexdates auch anders gestalten. Also die andere Person ernst nehmen, aufeinander eingehen, die Penetration nicht unbedingt in den Mittelpunkt stellen, beieinander schlafen und kuscheln, ohne dass das gleich die große Verantwortung einer Beziehung mit sich bringt.

Durch die coronabedingten Beschränkungen fiel diese Form des Kontakts weg. Oder sie wurde zumindest moralisch noch stärker stigmatisiert als sonst schon. Wer in den vergangenen Monaten die entsprechenden Apps nutzte, sah zum einen weniger Profile, darunter einige, die zu social distancing aufriefen, und andere, die normal weitermachten. Und wer könnte es ihnen verdenken? Immerhin geht es darum, Nähe und Zuneigung zu organisieren und ein bisschen Liebe zu erfahren. Warum sollte Liebe auch immer mit der gemeinsamen Wohnung und dem Familienhund assoziiert sein? Manchmal ist es eben die eine Woche oder die eine Nacht.

Beim gemeinsamen Sekttrinken im Park werden dann die Geschichten ausgepackt: Von dem einen, der aus dem Umland extra in die Stadt gefahren ist und schon beim Einparken kontrolliert ­wurde, um dann gleich nach Hause geschickt zu werden, weil er sich zu weit vom eigenen Wohnort entfernt hatte, und so gar nicht erst zum Stich kam. Oder von der anderen, die sich gerade frisch getrennt hat und sich nach Nähe sehnt, aber sich aus Angst vor einer An­steckung mit Covid-19 nicht traut. Oder von dem, der Hetero-Dating für sich entdeckt und sich jetzt erst mal zu mehreren Dates trifft, bevor es zum Sex kommt, damit es auch was Ernstes ist. Dazwischen verlieben sich zwei Hals über Kopf ineinander und finden darin die Rechtfertigung, sich in infektiösen Zeiten doch zum Knutschen zu treffen.

Man kann aus den verschiedensten Gründen Kritik daran üben oder gut finden, was Leute so machen, aber absolute Isolation scheint für die meisten nicht praktikabel. Gerade wenn sie sich nicht in einer absolut glücklichen, widerspruchslosen, cissigen ­Heterobeziehung befinden. Also für die meisten ist es das ohnehin nicht, aber gerade überhaupt nicht, wenn sie ihr Bedürfnis nach Liebe und Zärtlichkeit vor allem über kurzfristige und kurzweilige Kontakte befriedigen. Natürlich ist das Argument dagegen nicht nur moralisch und auch vor der Pandemie gab es schon Kritik an allzu ausschweifendem Sexleben. Das bedeutet zum Beispiel, darüber aufklären, was Safer Sex für Covid-19 bedeutet. Oder die Maßgabe, sich einen Fuckbuddy zu suchen und bei diesem zu bleiben. Oder mit den Gesichtern auf Abstand zu bleiben und Sex unter freiem Himmel zu haben, weil das weniger riskant ist. Bei all dem sollten wir uns aber eben auch in Erinnerung rufen, dass, trotz ­aller Lockerungen, das Bedürfnis nach Nähe und Zärtlichkeit zu den grundlegendsten gehört oder mit den Worten von Rosenstolz ­gesagt: Liebe ist alles, alles was wir brauchen.