Argumente, warum die Harry Potter-Autorin J. K. Rowling transfeindlich ist

Rowling beim Wort nehmen

Die Diskussion, ob die britische Jugendbuchautorin J. K. Rowling transfeindlich ist oder nicht, sollte nicht ignorieren, was diese selbst sagt.

diskoIn der »Jungle World« 25/2020 (Feminismus als Hass - Kommentar zu den Vorwürfen der Transphobie gegen J.K. Rowling) hat Dierk Saat­hoff in einem Kommentar die Autorin Joanne K. Rowling gegen Vorwürfe in Schutz genommen, sie sei transfeindlich.

 

Eins vorneweg: Es reicht! In den vergangenen Jahren wurde viel über das politische Subjekt Frau, Queeraktivismus und Transgeschlechtlichkeit dis­kutiert. Es gab dabei differenzierte Positionen, aber auch Aggressionen. Immer wieder werden Ansätze produktiver Auseinandersetzungen ignoriert, stattdessen wird der Konflikt fortgeführt, wie durch den Kommentar von Dierk Saat­hoff zu den Transfeindlichkeitsvorwürfen gegen Joanne K. Rowling (Feminismus als Hass - Kommentar zu den Vorwürfen der Transphobie gegen J.K. Rowling).

Transgeschlechtliche und nichtbinäre Menschen werden von der gesellschaftlichen Rechten bis in linke und feministische Kreise hinein als Be­drohung imaginiert. J. K. Rowling, die britische Autorin der Fantasy-Buch­reihe »Harry Potter«, hatte getwittert: »›People who menstruate.‹ I’m sure there used to be a word for those people. Someone help me out. Wumben? Wimpund? Woomud?« (auf Deutsch etwa: »›Personen, die menstruieren.‹ Ich bin mir sicher, es gab mal ein Wort für solche Leute. Hilf mir mal jemand. Flömse? Fjeuren? Fritsch?«) Danach zog ein regelrechter Shitstorm über sie hinweg. Rowling machte sich hier abwertend lustig über die Bemühungen, inklusiv zu sprechen: Nicht nur cis Frauen menstruieren, sondern auch manche trans Männer und nichtbinäre Menschen. Anders als die Autorin mit ­ihrer ironisierten Suche nach dem Begriff »Frau« suggeriert, sollen dadurch cis Frauen aber nicht ausgeschlossen oder unsichtbar gemacht werden. Für Rowling und die Wiedergängerinnen eines bereits tot gehofften Differenz­feminismus scheint es aber schlicht nicht vorstellbar zu sein, dass dies kein Nullsummenspiel ist, bei dem die eine Gruppe verliert, was die andere Gruppe gewinnt. Diese Sorge für berechtigt zu halten und den von Rowling als Reaktion auf die Kritik bekundeten »Respekt für Transpersonen« als Beweis für ihre Transfreundlichkeit zu nehmen – wie Saathoff das in seinem Kommentar tut –, zeugt von einer einseitigen Wahrnehmung der Debatte. Ihre verletzenden, die Identität transgeschlechtlicher Personen anzweifelnden und damit transfeindlichen Aussagen vornehm zu verschweigen, die wütenden und teilweise auch aggressiven Stimmen da­gegen zu einem frauenfeindlichen Transaktivismus zu stilisieren, ist pro­blematisch.

Für Rowling und die Wieder­gängerinnen eines bereits tot gehofften Differenzfeminismus scheint es schlicht nicht vorstellbar zu sein, dass Feminismus kein Nullsummenspiel ist.

Saathoff schreibt: »Es ist eklig und falsch, wenn Transfrauen absichtlich mit dem falschen Pronomen angesprochen werden. Auch Rowling sieht das so. Was sie kritisiert, ist die mittlerweile in großen Teilen des Transaktivismus herrschende Ansicht, dass biologisches Geschlecht überhaupt nicht existiere und dass Transfrauen beispielsweise menstruieren könnten.« Es ist schon fast eine Komödie, die seit Jahren in linken und feministischen Kreisen auf­geführt wird: Es werden transfeindliche Positionen bezogen und sich gleich­zeitig dafür gerühmt, doch die richtigen Pronomen zu verwenden, als wäre dies bereits eine Glanzleistung. Die Behauptung, »große Teile des Transaktivismus« bestünden darauf, trans Frauen könnten menstruieren, ist eine ­verkürzte Darstellung der Feststellung, dass Transfrauen durch die Hormon­behandlung Menstruationssymptome wie Krämpfe bekommen können. Dies so zu schreiben, als wäre die These, dass trans Frauen eine Monatsblutung haben, sehr verbreitet unter Menschen, die sich aktivistisch für Transrechte einsetzen – und die Saathoff versachlichend als den Transaktivismus bezeichnet –, lässt diese als wahrnehmungsgestörte Fanatiker erscheinen. Einen solchen Pappkameraden gegen Transfeminismus aufzubauen, wirkt recht aggressiv und als habe der Autor eher weniger Interesse an einer konstruktiven Debatte.

Ein weiteres Argument gegen den »Geschlechtsvoluntarismus« des Transaktivismus ist nach Rowling und Saathoff, dass mit ihm homosexuelles Begehren unsichtbar gemacht und verunmöglicht würde. Demnach dürften homosexuelle Männer nur auf cis Männer und homosexuelle Frauen nur auf cis Frauen stehen oder eventuell noch auf genitaloperierte und gut angepasste trans Männern oder Frauen – eine etwas verengte Sicht auf Homosexualität. Ein hartnäckiger Mythos hängt insbesondere trans Frauen an: Sie würden Lesben zwingen wollen, mit ihnen Sex zu haben. Tatsächlich möchten trans Lesben auch als Lesben verstanden und nicht aufgrund ihrer Transgeschlechtlichkeit ausgegrenzt werden. Das entspricht aber nicht einer Forderung, alle cis Lesben müssten auch auf trans Lesben stehen, um nicht als transphob zu gelten. Zwar gibt es immer mal wieder erhitzte Debatten, wenn eine cis Frau auf einer social ­media-Plattform verkündet, trans Frauen generell nicht anziehend zu finden. Einzelne übergriffige transgeschlechtliche Frauen oder Twitterblasen als Beweis für die Gefährlichkeit von trans Frauen oder trans Aktivismus zu benutzen, ist aber unlauter. Das Problem ist nicht das konkrete Begehren einzelner, sondern wie es kommuniziert wird: Öffentlich zu sagen, dass eine bestimmte Körper sexuell nicht interessieren, muss möglich sein; ­darauf zu insistieren, dass diese abstoßend seien, ist dagegen verletzend.

Rowling sorgt sich in einem Text auf ihrer Website, dass Männer sich in Frauentoiletten und Umkleideräume einschleichen könnten, und plädiert dafür, es transgeschlechtlichen Personen ja nicht zu ­einfach zu machen. Trans Frauen und nichtbinäre Menschen, denen aufgrund ihres Aussehens Männlichkeit und männliche Privilegien zugeschrieben werden, gelten als gefährlich, als potentielle Vergewaltiger und Aggressoren. In der Debatte (wenn auch nicht direkt von Rowling und Saathoff) wird ein Phantasma vom »Mann in Frauenkleidern« kreiert, das die reale Vulnerabilität von Frauen im Patriarchat aufruft und diese gegen Menschen, die selbst zu den verletzlichsten gehören, einsetzt: trans Frauen. Diese sollen ihre »gender dysphoria« (»Geschlechtsdysphorie«) glaubhaft machen, bevor sie als »echte« trans Menschen anerkannt und unterstützt werden können. Nach Rowlings Logik scheint es angemessener zu sein, Menschen krasse Operationen und jahrelange Therapien vorzuschreiben, als die Anwesenheit eines cis Mannes auf einem Frauenklo zu riskieren. Das ist transfeindlich.

Ein weiteres Pseudoargument gegen den Transaktivismus ist, er verunmögliche die Thematisierung von Gewalt gegen Frauen. Das ist schlicht ­absurd. Seit Jahren versuchen Wissenschaftlerinnen, Interessenvertretungen und Organisationen, die widerwärtigen Verbrechen an transgeschlechtlichen und nichtbinären Menschen sichtbar zu machen. Kaum ein trans Mensch fordert, nicht mehr zu Gewalt gegen Frauen zu forschen, vielmehr geht es darum, Sensibilität dafür zu entwickeln, dass nicht alle als Mädchen und Frauen erfassten Menschen auch welche sind, und die Spezifik von Gewalt gegen trans Menschen zu verstehen. Forschungsprojekte, Meldestrukturen, Beratungsstellen und Hilfetelefone sind chronisch unterfinanziert, so dass es kaum valide Statistiken und Informationen zu diesem Thema gibt. Geschlechtsspezifische Gewalt hat gerade für trans Menschen eine sehr wohl bekannte Materialität. Diese richtet sich auch nicht in erster Linie gegen Menschen mit bestimmten Reproduktionsorganen, wie Saathoff in seinem Versuch, »Misogynie präzise zu verstehen«, behauptet, sondern vielmehr gegen Menschen mit einer angenommenen und gesellschaftlich abgewerteten Weiblichkeit.

Transgeschlechtlichen Frauen werden pauschal männliche Privilegien unterstellt. Doch wo sind diese Privilegien, wenn sie als Kinder gemobbt und geschlagen werden? Wenn sie als Erwachsene immer wieder heftigen Übergriffen ausgesetzt sind? Wenn sie keinen Job finden? Warum wird vor »Männern in Frauenkleidern« gewarnt, die sich in Frauentoiletten schleichen könnten, aber nicht davor, als trans und nichtbinärer Mensch auf Toiletten ­bespuckt, angegrabscht oder geschlagen zu werden? Die Gewalt, der transgeschlechtliche Menschen ausgesetzt sind, bleibt meist unsichtbar. Manche drücken ihre Wut darüber im Internet auf sehr drastische Weise aus. Auch in dem letzten Shitstorm wurde Rowling sexualisiert und unter Gewaltandrohung beleidigt. Das ist widerwärtig und in dieser Hinsicht hat sie meine Solidarität. Ich spreche dabei als Frau, die selbst mehrfach verschiedene Formen sexualisierter Gewalt erfahren musste, und als Feministin, die für eine Welt kämpft, in der niemand so etwas erleben muss. Aber das schlechte Verhalten Einzelner zum Absolutum zu ­erhöhen, Phantasmen zu erdichten, gleichzeitig aber die Gewalt, der trans Menschen tagtäglich ausgesetzt sind, nur floskelhaft in Nebensätzen zu erwähnen, zeugt von Transfeindlichkeit.

Kurzum: Es reicht! Es reicht mit Lippenbekenntnissen und halbgarer Solidarität. Geht auch auf die Straße, wenn trans Frauen und nichtbinäre Menschen ermordet werden – so wie trans Menschen bei den zu wenigen Demonstrationen gegen Gewalt gegen (cis) Frauen dabei sind. Geht auf die Straße, wenn transfeindliche Gesetze erlassen werden. Seid selbst differenziert in euren Argumenten und Forderungen, statt im Mantel der Differenziertheit Transfeindlichkeit zu reproduzieren. Es reicht mit dem Ausspielen von trans gegen cis Frauen. Lasst uns gemeinsam solidarisch sein gegen das Patriarchat.