Vor 100 Jahren wurde die Women’s International Zionist Organisation gegründet

Die Töchter Zions werden 100

Die größte internationale Frauenorganisation der Welt feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag: Die Women’s International Zionist Organisation (WIZO) wurde 1920 in Großbritannien als Dachverband für alle zionistischen Frauen der Welt gegründet. 1949 wurde der Hauptsitz nach Israel verlegt. In zahlreichen Projekten kümmert sich die Nichtregierungsorganisation um die Angelegenheiten von Frauen, Kindern und Jugendlichen und betreut Neueinwanderer und ältere Menschen in Israel ungeachtet ihrer Nationalität und Religionszugehörigkeit. Die Geschichte der Organisation ist auch die der lebenslangen Freundschaft zwischen den beiden Gründerinnen Rebecca Sieff und Vera Weizmann.

Fragt man Linke nach der Bedeutung des Wortes WIZO, erhält man mit großer Wahrscheinlichkeit »die antifaschistische Punkband aus Sindelfingen« zur Antwort plus einen Verweis auf die beeindruckende Geschichte des 1986 gegründeten Trios. Die von den Vereinten Nationen anerkannte Nichtregierungsorganisation WIZO hat dagegen eine viel längere Geschichte. Die größte internationale Frauenorganisation der Welt feiert in diesem Jahr ihren 100. Geburtstag. Ihre Geschichte begann am 7. Juli 1920 auf dem ersten Zionistenkongress nach dem Ersten Weltkrieg in London, wo die »Women’s International Zionist Organisation« von den britischen Zionistinnen Rebecca Sieff, Vera Weizmann, Edith Eder, Romana Goodman und Henrietta Irvell gegründet wurde.

Vielleicht hatten die Erfolge der britischen Suffragetten-Bewegung dazu beigetragen. Einige der Frauen hatten sich auch im Kampf für das Frauenwahlrecht engagiert. Auch die Balfour-Deklaration, die 1917 von führenden zionistischen Aktivisten, darunter Chaim Weizmann, vorbereitet worden war, dürfte eine Rolle gespielt haben, denn der britische Außenminister Arthur James Balfour hatte darin festgehalten, dass Seine Majestät der König mit Wohlwollen auf »die Errichtung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina« blicke und Unterstützung für deren Errichtung zugesichert. Der jüdische Staat schien plötzlich kein Traum mehr zu sein und die WIZO-Gründerinnen wollten bei der Umsetzung helfen, indem sie unter anderem auf Frauen zugeschnittene Ausbildungsprogramme initiierten. Ihre Kräfte in einer einzigen Organisation zu bündeln, lag nahe.

1919 waren Vera Weizmann und Rebecca Sieff gemeinsam nach Palästina gereist – ganz bewusst ohne ihre Männer, um sich über die Situation der jüdischen Frauen und Kinder vor Ort zu informieren. Weizmann war entsetzt gewesen von den Umständen, unter denen vor allem die Chalutzoth, die weiblichen Pioniere, lebten. Die harte Arbeit zehrte die Frauen aus, zumal niemand auf ausreichende Ernährung achten konnte. Die Kindersterblichkeit war hoch. Sieff und Weizmann waren sich rasch einig, dass für die Frauen etwas getan werden musste. Aus heutiger Sicht wirkt ihre damalige Befürchtung, dass das Kinderkriegen vernachlässigt würde, sicher antiquiert, aber ganz pragmatisch war den Zionistinnen eben auch klar, dass der Nachwuchs die Zukunft sein würde.

Der britische Unternehmer und Politiker Israel Sieff bezeichnet Vera Weizmann und seine Ehefrau Rebecca in seinen Memoiren später als »lebenslange Freundinnen, die ständig miteinander stritten«, was sicher auch daran lag, dass sie in vielen Angelegenheiten ganz unterschiedlicher Ansicht waren.

Vera Weizmann, die Frau, die laut dem britischen Observer »die meiste Zeit ihres Lebens im Zentrum der jüdischen Geschichte« verbrachte und die erste First Lady Israels wurde, war am 27. November 1881 im russischen Rostow geboren worden. In ihren posthum 1967 erschienenen Erinnerungen »The Impossible Takes Longer« berichtet sie über ihren Vater Isaiah Chatzman, dass er als Jugendlicher verschleppt und gezwungen wurde, sich zu 25 Jahren Militärdienst als Kanonier zu verpflichten und auch am Krimkrieg teilzunehmen. Immerhin war es ihm erlaubt worden, auch außerhalb des so genannten jüdischen Ansiedlungsrayons im Westen Russlands zu wohnen.

Chatzmann und seine 25 Jahre jüngere Ehefrau Feodosia ermöglichten ihren Kindern eine gute Schulbildung, allerdings erhielten nur die beiden Söhne Religionsunterricht. Sie habe kaum etwas über das Judentum gewusst, kein Hebräisch gelernt und keine Ahnung von Palästina und dem Zionismus gehabt, erinnerte sich Weizmann später. Das sollte sich ändern, als sie im Alter von 18 Jahren mit Erlaubnis der Eltern nach Genf zog, um Medizin zu studieren. 1900 lernte sie im Zionisten-Club der jüdischen Studentenvereinigung ihren späteren Mann, den Chemiker Chaim Weizmann, kennen. Liebe auf den ersten Blick war es wohl nicht, aber die beiden hatten viele gemeinsame kulturelle Interessen. Nach und nach wurde auch Vera zur Zionistin. 1906 heirateten die beiden im heute polnischen Sopot, die Hochzeitsreise bestand aus einer Schifffahrt auf dem Rhein, denn sofort nach der Heirat waren die Weizmanns nach Köln gefahren, wo eine zionistische Veranstaltung stattfand. Danach zog das Ehepaar nach Manchester. Sieben Jahre später erhielt Vera Weizmann eine Anstellung in einer Kinderklinik, wo sich die junge Ärztin um finanziell benachteiligte Familien kümmerte. Sie stellte Ernährungspläne auf und versuchte den Müttern bei der Haushaltsplanung beizubringen, denn viele der Kinder waren unterernährt. Diese Stelle gab sie 1916 auf, als ihr Mann als wissenschaftlicher Experte für die britische Admiralität nach London berufen wurde.

In Manchester hatten die Weizmanns eine Bekanntschaft gemacht, die nicht nur ihr beider Leben entscheidend beeinflussen, sondern sehr viel in Gang setzten sollte: Rebecca Marks und ihren späteren Ehemann Israel Sieff. Rebeccas Vater Michael Marks war 1882 im Alter von 18 Jahren vor den Pogromen in Russland geflohen. Er zog ins britische Leeds, wo das Textilunternehmen eines liberalen Adeligen im Ruf stand, jüdische Migranten zu beschäftigen. Etwas später arbeitete er als Hausierer, bevor er schließlich einen Stand auf dem Markt der Stadt eröffnen konnte. Marks bot seine Waren unter dem Slogan »Fragt nicht nach dem Preis – alles kostet einen Penny« an, der sich als sehr erfolgreich erwies. Als er 1894 einen Kompagnon suchte, wurde ihm der Buchhalter Thomas Spencer empfohlen, die beiden Männer gründeten das Unternehmen »Marks&Spencer«, das zunächst aber noch weit entfernt war, die luxuriöse Kaufhauskette späterer Tage zu sein. Die Familie Marks zog nach Manchester, die Handelsstadt galt als liberal, tolerant und weltoffen. Anfang des 20. Jahrhunderts lebten dort mehr als 53 000 Juden, die Stadt beherbergte nach London die zweitgrößte jüdische Community in England.

Die Familie Marks stieg rasch auf, auch wenn die ersten Geschäfte bloß Penny-Läden waren. Allen fünf Kindern wurde eine gute Schulausbildung ermöglicht, von Anfang an war jedoch klar war, dass das Unternehmen später einmal ausschließlich vom geschäftlich ausnehmend talentierten einzigen Sohn Simon geleitet werden würde. Rebecca besuchte eine Schule für höhere Töchter, engagierte sich für das Frauenwahlrecht und studierte anschließend an der Universität von Manchester englische Literatur. Israel Sieff studierte Wirtschaftswissenschaften, beide heirateten im Jahr 1910. Chaim Weizmann hielt Chemievorlesungen an der Uni und erwarb sich rasch den Ruf, ein glänzender Redner zu sein – was auch dazu beitrug, dass er zum führenden Zionisten des Landes wurde.

Das erste Projekt der WIZO, deren Hauptsitz 1949 nach Israel verlegt wurde, war die Gründung einer Kinderklinik in Jerusalem mit angeschlossener Geburtsstation. Viele Frauen waren so ausgezehrt, dass sie ihre Babys kaum stillen konnte, aber für Babynahrung fehlte ihnen das Geld. Die Ausbildung von Frauen in der Landwirtschaft und Hauswirtschaftskurse waren auch aus diesem Grund ein wichtiges Anliegen der Frauenorganisation.

Heute finanzieren die 250 000 weltweit ehrenamtlich tätigen WIZO-Frauen mehr als 800 Projekte für Kinder, Jugendliche, Frauen, Einwanderer und Senioren in Israel. Hilfe bekommt dort, wer Hilfe braucht, ohne Ansehen von Herkunft und Religionszugehörigkeit. WIZO war die erste Organisation, die das Thema häusliche Gewalt in Israel öffentlich machte und 1984 das erste Frauenhaus gründete. Auch wenn sie als eher konservative Organisation gilt, hat sich WIZO zumeist aus der offiziellen israelischen Politik herausgehalten.

Das heißt nicht, dass die Gründerinnen unpolitisch waren. Entschlossen arbeitete Sieff nach der Machtübernahme der Nazis in Deutschland an der Gründung eines Hilfsfonds, der jüdischen Kinder die Flucht aus Deutschland nach Großbritannien ermöglichte. Die Nazis stuften sie als besonders gefährliche Person ein, die nach der Einnahme Großbritanniens unbedingt zu verhaften sei. Daraus wurde nichts: Nach dem Zweiten Weltkrieg half Sieff vielen Überlebenden, nach Israel zu emigrieren.
Vera Weizmann konzentrierte sich während des Zweiten Weltkriegs auf die Jugend-Aliyah, deren Ziel es war, möglichst viele jüdische Kinder und Jugendliche vor den Nazis zu retten. Während des Unabhängigkeitskrieges kümmerte sie sich um verwundete Soldaten und geeignete Rehabilitationsmaßnahmen. Wie eng die beiden lebenslangen Freundinnen miteinander verbunden waren, zeigt auch ein Blick auf ihr Sterbedatum: Die beiden Frauen, die die größte internationale Frauenorganisation der Welt gegründet haben, starben im selben Jahr, 1966.