Über das Verhältnis zwischen Schwarzen und Jüdinnen und Juden in den USA

Kooperation und Konflikt

Seit jeher ist das Verhältnis zwischen der schwarzen und der jüdischen Minderheit in den USA sowohl von Konflikten als auch von Solidarität geprägt. Das zeigte sich auch nach der Tötung von George Floyd.

Viel ist auf US-amerikanischen Straßen zu Bruch gegangen in den vergangenen Wochen. Während der riots nach der Tötung George Floyds wurden im jüdisch geprägten Stadtteil Fairfax in Los Angeles auch mehrere koschere Läden geplündert, eine Synagoge wurde mit Parolen wie »Fuck Israel« und »Free Palestine« besprüht. In Richmond, Virginia, warfen Demonstrierende Steine durch die Fenster der mehr als 200 Jahre alten Synagoge der Beth-Ahaba-Gemeinde. Rechte Kommentatoren sahen in der Bewegung »Black Lives Matter« (BLM) das Wiederaufleben eines Phänomens, das seit Mitte der sechziger ­Jahre als black antisemitism bezeichnet wird: eine spezifische Judenfeindschaft unter Schwarzen in den USA.

Zeugnisse von Solidarität zwischen Schwarzen und Jüdinnen und Juden finden sich seit der Gründung der Vereinigten Staaten.

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Vorfälle, die so interpretiert werden konnten, etwa die tödlichen Angriffe auf Jüdinnen und Juden in einem koscheren Supermarkt in ­Jersey City und auf einer Chanukka-Party in Monsey, New York, im Dezember, anscheinend verübt von Angehörigen der »Black Hebrew Israelites«. Diese Gruppe wurde in den USA des späten 19. Jahrhunderts von schwarzen Nationalisten gegründet, die sich als die wahren Nachkommen der biblischen Israeliten sahen. Sie hat Zehntausende Anhängerinnen und Anhänger. Deren Bezug auf die übrige jüdische community changiert zwischen dem Wunsch nach Anerkennung und einer bewussten Abgrenzung – bis hin zu tödlichen Angriffen. Als ein weiteres Beispiel für black antisemitism galt Tamika Mallory, eine der Hauptorganisatorinnen des »Women’s March«. Die schwarze Aktivistin ließ sich 2017 mit Louis Farrakhan fotografieren. Dieser ist seit 1977 Vorsitzender der Nation of Islam (NOI), die von der Bürgerrechtsorganisation Southern Poverty Law Center als hate group eingestuft wird. Farrakhan macht keinen Hehl aus seinem Judenhass. Mallory bezeichnete ihn anerkennend als »GOAT« (»Greatest of All Times«).

Im Rahmen früherer BLM-Proteste gab es immer wieder Beispiele für Antizionismus, der die Grenze zum Anti­semitismus überschritt. So fand 2015 während einer Demonstration in Seattle eine Zwischenkundgebung vor einer Marihuana-Ausgabestation statt. Dort sollte gegen die Gentrifizierung protestiert werden. In einem Redebeitrag wurde hervorgehoben, dass der Inhaber Jude sei; er stamme überdies aus Israel und habe in der israelischen Armee gedient. Tatsächlich lebte seine Familie seit Generationen in der Nachbarschaft, Israel hatte er noch nie besucht – und dass er Jude ist, spielte für die Aufwertung des Viertels sicherlich keine Rolle. Solche Beispiele schienen zu verdeutlichen, dass die frühere ­Allianz zwischen den schwarzen und den jüdischen communities in den USA zerbrochen war. Eine von gegenseitiger Solidarität geprägte Beziehung schien einem dauerhaften Konflikt gewichen zu sein.

Gemeinsame Kämpfe
Es wäre jedoch falsch, das Verhältnis zwischen jüdischen und schwarzen Menschen in den USA auf Konflikthaftigkeit zu reduzieren. Seit der Gründung der Vereinigten Staaten finden sich Zeugnisse von Solidarität zwischen Schwarzen und Jüdinnen und Juden. Der jüdische Exodus aus Ägypten symbo­lisierte für Sklavinnen und Sklaven die Möglichkeit auch ihrer Befreiung; in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts sangen manche von ihnen das Spiri­tual »Go Down Moses« auf der Flucht in die Nordstaaten. Von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern heraus­gegebene Zeitungen beklagten die Ausgrenzung und Diskriminierung von ­jüdischen Menschen in den USA – so stellte etwa Age 1889 fest: »Es gibt eine Gemeinsamkeit zwischen dem Juden und dem Schwarzen. Der eine wird fast so sehr verachtet wie der andere.« Schwarze Kommentatorinnen und Kommentatoren sahen in der französischen Dreyfus-Affäre Parallelen zu der eigenen ungerechten Behandlung vor US-amerikanischen Gerichten. Manche ­Jüdinnen und Juden verglichen umgekehrt die Situation von Schwarzen in den Südstaaten mit der in den Ghettos in der »Alten Welt« und bezeichneten die Lynchmorde rechter Mobs als Pogrome. Es gab al­lerdings auch jüdische Sklavenhalter; manche Jüdinnen und ­Juden unterstützten nach der Abschaffung der Sklaverei Maßnahmen wie die Einschränkung des Wahlrechts für Schwarze.

Der Platz der jüdischen community war gesellschaftlich prekär, der Wunsch nach Integration stark. Letzterer motivierte um die Wende zum 20. Jahrhundert große Teile der alteingesessenen deutsch-jüdischen Oberschicht, den im Zuge der großen Einwanderung aus Osteuropa wachsenden Antisemitismus nicht direkt zu bekämpfen. Sie hofften, stattdessen durch die aktive Unterstützung schwarzer Anliegen indirekt auch die gesamtgesellschaftliche Judenfeindschaft einzudämmen. Auch zwischen den Weltkriegen unterstützten viele Jüdinnen und Juden afroamerikanische Kämpfe. Manche taten dies in der Kommunistischen Partei, die offensiv gegen antischwarzen Rassismus eintrat. Andere sahen ihr Engagement als Beitrag zur Assimilation, bezogen sie sich doch auf US-amerikanische Werte von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Die Sympathie war durchaus wechselseitig: Die 1944/1945 vom exilierten Frankfurter Institut für Sozialforschung erarbeitete Studie »Anti­semitism among American Labor« zeigte, dass Schwarze antisemitischen Aus­sagen in geringerem Maß zustimmten als nichtjüdische Weiße. Die religiöse Vorstellung, das nächste auserwählte Volk Gottes zu sein, beförderte bei vielen von ihnen ein Gefühl der Solidarität mit dem »ersten auserwählten Volk«.

Die Hochphase schwarz-jüdischer Zusammenarbeit begann mit der im ­darauffolgenden Jahrzehnt aufkommenden Bürgerrechtsbewegung. Zwei der wichtigsten Organisationen, die 1909 von Jüdinnen und Juden mitgegrün­dete National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) und die jüdische Anti-Defamation Lea­gue (ADL), kooperierten in den fünfziger Jahren bei Themen wie Segregation und Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt. Jüdinnen und Juden entrichteten zwischen der Hälfte und drei Viertel aller Spenden an Bürgerrechtsorganisationen. Im »Freedom Summer« 1964, einer Kampagne, die die Registrierung schwarzer Wählerinnen und Wähler in Mississippi zum Ziel hatte, stellten sie zwischen einem und zwei Drittel aller weißen Freiwilligen – bei einem Anteil an der Gesamtbevölkerung von unter zwei Prozent.

Auch Rabbiner beteiligten sich an der Bürgerrechtsbewegung, etwa der aus Deutschland geflohene Zionist Joachim Prinz. Als Präsident des American Jewish Congress war er 1963 Mitorganisator des Marsches auf Washington. Er trat dort auf, bevor Martin Luther King Jr. seine berühmte »I have a dream«-­Rede hielt. Der in Warschau geborene Rabbi Abraham Joshua Heschel beglei­tete King zwei Jahre später auf seinem Marsch von Selma nach Montgomery, Alabama. Das Bild der beiden, Seite an Seite in der ersten Reihe schreitend, ist ebenso emblematisch für die enge Zusammenarbeit wie der Fall von Michael Schwerner und Andrew Goodman. Die beiden jungen jüdischen Bürgerrechtler sowie ihr schwarzer Genosse James Earl Chaney wurden 1964 in Mississippi von Mitgliedern des Ku-Klux-Klan ermordet. Diese Morde fanden nicht nur Eingang in Hollywood-Produktionen wie »Mississippi Burning«, sondern wurden von King und anderen auch als Ausdruck der unbedingten Solidarität von Jüdinnen und Juden mit den Schwarzen gedeutet.

Antizionismus und schwarzer Nationalismus
Doch die späten sechziger Jahre brachten einen Wandel. Mit der Enttäuschung über das Fortleben des Rassismus trotz gewaltfreien Widerstands radikalisierte und ideologisierte sich die Bürgerrechtsbewegung. Malcolm X, die Black-Power-Bewegung und der schwarze Nationalismus gewannen an Einfluss. Der Kampf um Befreiung im eigenen Land war stets mit einem internationalistischen Antiimperialismus verbunden, was sich etwa in dem Slogan »No Vietcong ever called me nigger« ausdrückte. Nach dem Sechstagekrieg 1967 kam es in der New Left zu einer anti­zionistischen Wende. Die Ablehnung Israels wurde zur selbstverständlichen Norm, auch schwarze nationalistische Organisationen beachteten den Israel-Palästina-Konflikt stärker. Gruppen wie die Black Panthers oder das 1960 von schwarzen und weißen Studentinnen und Studenten gegründete Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) waren antiisraelisch eingestellt, in mehreren Fällen wurde ihr Antizionismus antisemitisch. Eldridge Cleaver, der »Informationsminister« der Black Panther Party, schrieb 1968 in der Zeitschrift The Black Panther über den Vorsitzenden Richter in einem Mordverfahren gegen ein Parteimitglied: »Wir werden das Kind beim Namen nennen, einen Juden einen Juden nennen und ein Schwein ein Schwein nennen (…). Wenn den Juden wie Richter Friedman erlaubt wird, zu funktionieren und zu ihren Synagogen zu kommen, um samstags zu beten oder um was auch immer dort unten zu machen, dann werden wir eine Koalition mit den Arabern eingehen, gegen die Juden.« Insbesondere für jüdische Linke waren solche Entwicklungen ein Problem, für manche von ihnen bedeuteten die späten sechziger Jahre den Einstieg in den Ausstieg aus der Bewegung.

Es ist nicht Ausdruck einer schwarzen, sondern einer spezifisch linken, anti­imperialistischen Perspektive, wenn in sozialen Medien Parallelen zwischen Rassismus in den USA und Israel gezogen werden.

Zudem gewannen die Black Muslims, allen voran die NOI, in den siebziger Jahren an Zulauf. Noch immer hat die Organisation mehrere Zehntausend Mitglieder. Farrakhan relativierte von Anfang an den Holocaust und äußerte sich offen antisemitisch. In seinem verschwörungstheoretischen Denken sind Juden als mächtige Strippenzieher verantwortlich für die Anschläge vom 11. September 2001 und den Zerfall traditioneller Geschlechterrollen. »Die ­Juden waren verantwortlich für all den Dreck und das degenerierte Verhalten, das Hollywood veröffentlicht: Männer zu Frauen zu machen und Frauen zu Männern«, so Farrakhan in einer Rede vor zwei Jahren. Die NOI behauptet auch, Juden seien überproportional einflussreich im Sklavenhandel gewesen. Im 1991 erschienenen ersten von drei Bänden des Werks »The Secret Rela­tionship Between Blacks and Jews« behandelt die NOI diese – historisch widerlegte – These ausführlich. So krude der Text auch sein mag, er bietet den größtenteils schwarzen Leserinnen und Lesern eine vermeintliche Erklärung für Rassismus und einen konkreten Schuldigen: weiße Juden.

Konkurrenz
In solchen stereotypen Äußerungen über Jüdinnen und Juden kamen auch reale Konflikte zum Ausdruck: Die ­jüdische community hatte in den sechziger Jahren zwei erfolgreiche Jahrzehnte hinter sich. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte sie in einer Phase der allgemeinen Prosperität wie viele andere auch eine enorme soziale Aufstiegsmobilität, gefördert auch durch die G.I. Bill, die zurückgekehrten Sol­daten finanzielle Unterstützung gewährte. Den sozioökonomischen Aufstieg begleitete eine Abnahme des noch in den vierziger Jahren weitverbreiteten Antisemitismus. Die Mehrheitsgesellschaft betrachtete die Jüdinnen und ­Juden nun, anders als zuvor, als Angehörige der white race. Eine ähnliche Wandlung der öffentlichen Wahrnehmung hatte es im späten 19. Jahrhundert bereits gegenüber Einwanderinnen und Einwanderern aus Irland gegeben.

Der sozioökonomische Aufstieg ging auch mit einer Abgrenzung von Afroamerikanerinnen und Afroamerikanern einher. Bereits die Studie des exilierten Frankfurter Instituts hatte gezeigt, dass antischwarzer Rassismus unter Juden und Jüdinnen genauso weit verbreitet war wie unter nichtjüdischen Weißen. In der Zeit des Kalten Kriegs verstärkten sich derlei Abgrenzungen, während »ethnische« Unterschiede zwischen den Nachfahren europäischer Einwanderer und Einwanderinnen in den Hintergrund rückten oder sich zu positiven Attributen kultureller Diversität wandelten. »Schwarz« wurde zu deren Gegenpol.

Afroamerikanerinnen und Afroame­rikaner sahen zu, wie die einstigen Verbündeten sie sozioökonomisch überholten. Schwarze Veteranen profitierten kaum von den staatlichen Förderprogrammen, denn der gesamtgesellschaftliche Rassismus prägte auch die Prak­tiken von Banken und anderen Darlehensgebern, von Vermieterinnen und Vermietern oder segregierten Universitäten. Die eigentlichen Kämpfe hatten in Zeiten der weiterhin existenten segre­gationistischen Jim-Crow-Gesetzgebung gerade erst begonnen. Als dann viele Jüdinnen und Juden in bessere Nachbarschaften ziehen konnten, vermieteten sie oftmals Wohnungen und Geschäfte an Schwarze und verkörperten für diese dann den reichen Haus­besitzer. Kein Geringerer als der Schriftsteller James Baldwin kommentierte die Reaktionen darauf 1967 in einem Artikel in der New York Times mit dem Titel »Negroes Are Anti-Semitic Because They’re Anti-White«. Ohne den Antisemitismus zu entschuldigen, schrieb er, »der Jude« werde »von den Schwarzen nicht ausgewählt, weil er sich anders als andere Weiße verhält, sondern weil er es nicht tut«. Im New Yorker Stadtteil Harlem und anderswo »spielt er die Rolle, die ihm vor langer Zeit von Christen zugewiesen wurde: Er macht ihre Drecksarbeit.«

Schwarze Nationalistinnen und Nationalisten nutzten die neu entstehende Konkurrenzsituation aus und lenkten afroamerikanische Ressentiments bewusst auf Jüdinnen und Juden. Konkurrenz prägte in den Folgejahren aber auch die symbolische Anerkennung vergangener Leiden: Während die Erinnerung an den Holocaust sich in den siebziger und achtziger Jahren langsam gesellschaftlich verbreitete und – auch durch die Eröffnung des United States Holocaust Memorial Museum in Washington, D.C., 1993 – ins öffentliche Gedenken Eingang fand, galt dies weit weniger für die Aufarbeitung der und die Erinnerung an die Sklaverei.

Eine Kombination aus ökonomischen und symbolischen Konflikten, aus schwarzem Nationalismus und linkem Antizionismus sorgte für eine bestän­dige Verschlechterung der Beziehung zwischen den communities. Diese Entwicklung erreichte 1991 im jüdisch-orthodoxen und schwarzen Viertel Crown Heights in Brooklyn, New York, einen traurigen Höhepunkt: Nachdem der Chauffeur eines Rabbis ein schwarzes Kind beim Überfahren einer gelben oder roten Ampel tödlich verletzt hatte, kam es zu mehrtägigen Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden. Geschäfte wurden geplündert, Autos angezündet, mehrere Personen verletzt und der 29jährige Yankel Rosenbaum getötet.

Nachdem der Chauffeur eines Rabbis am 19. August 1991 im Viertel Crown Heights in Brooklyn, New York, ein schwarzes Kind überfahren hatte, kam es zu Ausschreitungen gegen Jüdinnen und Juden

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picture alliance /AP Images

 

Während der Ausschreitungen verbrennen Schwarze eine israelische Flagge, Crown Heights / Brooklyn, 1991

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Gemeinsame Gegner
Seit den Ereignissen in Crown Heights haben sich unzählige Bücher und Ar­tikel den schwarz-jüdischen Beziehungen genähert, viele mit dem Ziel einer Wiederaufnahme des Dialogs. Von communities zu sprechen, erscheint dabei immer weniger passend, denn es impliziert eine Homogenisierung, die die großen sozioökonomischen, religiösen und politischen Unterschiede innerhalb der so zusammengefassten Bevölkerungsgruppen vernachlässigt. Und natürlich sind »schwarz« und »jüdisch« keine gegensätzlichen Kategorien. Zwar sind die meisten US-amerikanischen Jüdinnen und Juden Aschkenasim und der Großteil der Schwarzen ist christlich. Doch auch jüdische Schwarze kämpfen um Anerkennung, etwa in Organisationen wie dem Jewish Multiracial Network.

Dennoch ist auffällig, dass die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen in der schwarzen Bevölkerung heutzutage signifikant höher ausfällt als in der weißen. In manchen Fällen mögen dem alte Traditionen zugrundeliegen. Zwar ist der säkulare schwarze Nationalismus keine einflussreiche Strömung mehr, doch hat zumindest die religiös eingefärbte Variante der NOI weiterhin Bedeutung. Auch der Kampf um die Anerkennung unterschiedlicher Erinnerungen ist weiterhin präsent. Erst 2016 – fast ein Vierteljahrhundert nach der Eröffnung Holocaust-Museums – wurde in der Hauptstadt das National Museum of African American History and Culture eröffnet. Eine falsche Opferkonkurrenz verführt weiterhin dazu, die Schuld für die geringere ­Bedeutung der Erinnerung an die Sklaverei bei der vermeintlich mächtigen jüdischen community zu suchen. Erschwert wurde das Verhältnis auch durch außenpolitische Entwicklungen: Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sich 2015 bei einem Besuch in Washington, D.C., von den Republikanern für eine Rede ins Parlament einladen ließ, ohne Präsident Barack Obama darüber zu informieren, war dies nicht nur einen Verstoß gegen die Besuchsprotokolle. Schwarze Abgeordneten und anderen nahmen es auch als einen Affront wahr, in dem sich mangelnder »jüdisch-israelischer« Respekt vor dem ersten schwarzen Präsidenten der USA ausdrücke.

Trotz dieser Vorfälle kann die erhöhte Zustimmung zu antisemitischen Aussagen nicht mit einem vermeintlich kohärenten black antisemitism erklärt werden. Mehr als auf race sollte man auf Klasse achten, sind Bildungschancen doch einer der zentralen Faktoren für antisemitische Einstellungen in den USA. Schwarze sind hier besonders benachteiligt. In den gegenwärtigen antirassistischen Bewegungen geht es nicht nur um »Schwarzsein«, sondern auch um politische Selbstverständnisse und Selbstverständlichkeiten. Es ist nicht Ausdruck einer irgendwie schwarzen, sondern einer spezifisch linken, anti­imperialistischen Perspektive, wenn unter dem Hashtag #palestinianlivesmatter in sozialen Medien rasch Parallelen zwischen Rassismus in den USA und Israel gezogen werden. Auch der dort mehrfach zu findende falsche ­Verweis, der Polizist, der George Floyd tötete, habe die Polizeimethode des Kniens auf dem Nacken von Festgenommenen beim israelischen Geheimdienst gelernt, verdeutlicht den selbstverständlichen Antizionismus unter vielen US-amerikanischen Linken – seien sie weiß oder schwarz. Vorfälle wie die antisemitische Rede auf der BLM-Demonstration in Seattle 2015 sind ­darum nicht als black antisemitism zu fassen.

Auch einige der antisemitischen Vorfälle während der riots der vergangenen Wochen lassen sich keineswegs mit der (vermuteten oder tatsächlichen) Hautfarbe der Täterinnen und Täter erklären, sondern vielmehr mit Bewegungsdynamiken. In manchen Städten gab es schließlich kaum etwas, das nicht zu Bruch ging. Während Synagogen als Angriffsziel eine eindeutige Sprache von Judenfeindschaft sprechen, darf in vielen Fällen bezweifelt werden, ob die Plünderungen jüdischer Läden auf deren Eigentümer oder Besitzerinnen zielten. Anzunehmen ist beispielsweise, dass im Fairfaxer »Realm of the Goddess Jewelry Store« die Goldketten ein bisschen zu verlockend leuchteten.

Trotz der anhaltenden Konflikte gibt es in der Gegenwart viele Beispiele schwarz-jüdischer Kooperation. Im US-Kongress sind die meisten schwarzen Abgeordneten proisraelisch eingestellt, die Mehrzahl der jüdischen Abgeord­neten unterstützt Bürgerrechtsorganisationen und Hilfszahlungen an afrika­nische Länder. Die größte proisraelische Lobbyorganisation, das American Is­rael Public Affairs Committee (AIPAC), veranstaltet Konferenzen mit der Vereinigung der schwarzen Kongressabgeordneten. Prominente Aktivisten wie Cornel West und der Rabbi Michael Lerner versuchen auf Veranstaltungen und in Veröffentlichungen, an eine gemeinsame Geschichte der Solidarität anzuknüpfen. Der Aufstieg rechter hate groups und der Alt-Right-Bewegung in den vergangenen Jahren beförderte dieses Bestreben. Zu deren ideologischen Kernelementen gehören sowohl Antisemitismus als auch antischwarzer Rassismus. Der Attentäter, der 2018 in der Pittsburgher Tree-of-Life-Syna­goge elf Jüdinnen und Juden erschoss, war nicht nur wahnhafter Antisemit, sondern drückte online auch seinen antischwarzen Rassismus in Form von Lynchmord-Phantasien und Vorwürfen der »Rassenschande« aus.

»Black Lives Matter Brooklyn« verurteilte den antisemitischen Angriff in Monsey, viele jüdische Organisationen erklärten sich solidarisch mit BLM. In Zeiten, in denen der US-Präsident den weißen Nationalismus befeuert und Millionen ihm zujubeln, rücken gesellschaftliche Minderheiten wieder zusammen. In der Woche der Amtseinführung Donald Trumps erklärten die NAACP und die ADL gemeinsam: »Jetzt, mehr als je zuvor, gibt es kein ›wir gegen sie‹. Wir sind alle schwarz. Wir sind alle Juden. Wir sind alle Muslime. Wir sind alle Frauen. Wir sind alle Immigranten. Wir sind alle LGBT. Und wenn die Rechte eines von uns bedroht sind, sind wir alle bedroht. Das sind die Werte, die diese ›Koalition des Jetzt‹ leiten, während wir heute zusammenstehen und zusammen kämpfen.« Zwei der wichtigsten Organisationen der schwarzen und der jüdischen community wollen damit eine alte Koalition wieder aufleben lassen. Sie sehen sich als Teil von etwas, das manche bereits als die »neue Bürgerrechtsbewegung« bezeichnet haben.