Kubas Regierung knüpft an ihre Überlebensstrategie aus den neunziger Jahren an

Zwischen Autonomie und Dollarisierung

Mit der Eröffnung von 72 Supermärkten, die auf Devisenbasis handeln, knüpft die kubanische Regierung an ihre Überlebensstrategie aus den neunziger Jahren an.

Für Juan Elias Navarro ist das eigene Konto inklusive Magnetkarte das A und O. »Zwei Wochen dauert es derzeit, bis eine AIS-Girokarte ausgegeben wird«, so der Mann aus Santiago de Cuba. Landesweit sind die Wartelisten der Banken lang, denn am 23. Juli haben 72 Supermärkte eröffnet, in denen nur digital bezahlt werden kann, Bargeld wird nicht akzeptiert. Bisher konnte jede und jeder auf der Insel mit dem Peso nacional (CUP) oder dem Peso convertible (CUC) zahlen, den beiden in Kuba zirkulierenden Währungen.

In den neuen Supermärkten ist das nicht mehr der Fall, dort werden nur von den Banken des Landes ausgegebene Girokarten mit einem Devisenguthaben akzeptiert. Das Modell könnte weiter ausgebaut werden. Konvertierbare Währung, in Kuba Moneda Libremente Convertible genannt, wird also noch gefragter, besonders populär sind US-Dollar, Euro und Schweizer Franken. Diese harten Währungen werden von Freunden und Verwandten aus dem Ausland nun vermehrt nach Kuba auf die Devisenkonten transferiert.

Der kubanische Sozialwissenschaftler Pavel Vidal sieht darin einen Fortschritt. »Grundsätzlich wird mit der flächendeckenden Einführung von Girokarten das Bankensystem modernisiert, das ist positiv. Weitaus wichtiger sind aber die angekündigten Reformen von Wirtschaftsminister Alejandro Gil Fernández, die mehr Freiräume und mehr ­Autonomie für den privaten, den genossenschaftlichen und den staatlichen Sektor gewähren sollen – Maßnahmen, die über Jahre blockiert wurden«, meint Vidal. Dazu gehören der direkte Export und Import durch private Gewerbetreibende und Genossenschaftsvertreter. Die sollen zukünftig Produktionsmittel, vom Traktor bis zu Bewässerungsanlagen, importieren können. Zu einer solchen Ankündigung konnte sich die Regierung trotz vieler Debatten in den vergangenen acht Jahren erst jetzt durchringen. Wie die Praxis konkret aussehen wird, ist noch unklar; Ricardo Torres, Ökonom an der Universität von Havanna, schlägt als Übergangsmodell vor, die Importaufträge für Produktionsmittel an staatliche Importgesellschaften wie Cimex zu übergeben.

Vor allem in der Landwirtschaft könnte das entscheidend sein. Kuba importiert mehr als 70 Prozent aller Lebensmittel aus dem Ausland und wendet dafür seit einiger Zeit durchschnittlich rund zwei Milliarden US-Dollar pro Jahr auf. Das kann sich die Regierung nicht mehr leisten, auch wegen des starken Rückgangs des Tourismus in der Coronakrise. Das sorgt für immense Einbrüche bei den Deviseneinnahmen, die die Regierung zu Reformen zwingen. »Wir müssen lernen, mit ­weniger Importen und mehr Exporten zu leben, müssen die nationale Produktion ankurbeln«, forderte Präsident Miguel Díaz-Canel in der Fernsehsendung »Runder Tisch« am 16. Juli. Das ist alles andere als einfach, denn die ­Exporte sind in den vergangenen Jahren weiter gesunken. Rückgänge der Zuckerproduktion und fallende Preise bei Nickel sind dafür mitverantwortlich, aber auch der Einbruch bei Zitrusfrüchten, dem nur geringe Zuwächse bei den Tabakexporten gegenüberstehen. Zudem, so Vidal, habe sich die Regierung in den vergangenen Jahren bei den Investitionen stark auf den Tourismus konzentriert und neue Luxushotels wie das Paseo del Prado oder das Packard hochgezogen, aber nicht in die produktive Infrastruktur investiert.

All das rächt sich in der Pandemie, die schonungslos Defizite und den jahrelangen Reformstau offenlegt. Mehr Autonomie für die wirtschaftlich Handelnden scheiterte am Votum von ­Parlamentariern und Parteimitgliedern, die immer wieder Angst vor der Bildung einer vermögenden Klasse auf der Insel äußerten. Dabei existiert ­diese de facto längst. Familien mit Devisentransfers aus dem Ausland sind privilegiert. Das zeigt sich auch jetzt. Die Ungleichheit zwischen denen, die ihre Gehälter in kubanischen Pesos (CUP) erhalten, und denen, die Verwandte im Ausland haben, die US-Dollar, Euro, Franken oder britische Pfund überweisen, wird tiefer – wie in den frühen neunziger Jahren, als die Regierung von Fidel Castro den US-Dollar legalisierte, um auf der Insel zirkulierende »harte« Währung für den Import von notwendigen Gütern abzuschöpfen.

»Das findet in Kuba derzeit wieder statt, es wird von der Hand in den Mund gelebt«, so Vidal. Er warnt vor der erneuten Zweiteilung der Wirtschaft in einen Devisen- und einen Peso-Sektor wie in der Sonderperiode (periodo ­especial) in den neunziger Jahren und setzt seine Hoffnung in die neuen ­Reformen. Diese könnten dem Privat- und den genossenschaftlichen Sektor, aber auch staatliche Betrieben nutzen und für mehr ökonomische Dynamik auf der Insel sorgen. Die ist dringend nötig: Rund 40 Prozent der privaten Selbständigen haben wegen des Einbruchs beim Tourismus ihre Lizenzen zurückgegeben oder stillgelegt, so die offizielle Zahlen. Das könnte sich mit der neuen Autonomie ändern, denn zumindest theoretisch können sich neue Produktionssektoren entwickeln – nicht nur in der Landwirtschaft, so ­Vidal. Die seit 2004 landesweit zirkulierenden Alternativwährung CUC ­verliert derzeit durch den Direktverkauf in Devisen rapide an Wert. »Der CUC könnte verschwinden, der Peso nacional übrigbleiben, aber ohne international konvertibel zu werden«, meint Vidal. Er hofft ohnehin, dass im November ein neuer US-Präsident gewählt wird und damit auch die verschärften Sanktionen der Regierung Trump in Frage gestellt werden. Bis dahin sollen die ­Reformen aus dem Wirtschaftsministerium die Inselökonomie stärken – kein einfaches Vorhaben.