In den Tarifverhandlungen der Baubranche mauert die Unternehmerseite

Volle Kelle in den Tarifkonflikt

Die Auftragslage ist gut, die Gewinne steigen. Dennoch verweisen die Unternehmer der Baubranche auf die Pandemie und lehnen die Forderungen der Gewerkschaft in den derzeitigen Tarifverhandlungen ab.

Bagger fahren durch Innenstädte, Radlader wälzen sich im Schneckentempo über Bundesstraßen und rote Fahnen wehen an Baukränen, dahinter Menschen mit Masken und Arbeitsschutzhelmen in Warnwesten – in Dresden, München, Hamburg, Berlin und zahlreichen anderen Städten demonstrierten in der vergangenen Woche Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter für höhere Löhne. Anders als sonst bei Tarifauseinandersetzungen war die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von vornherein strikt begrenzt. Groß­demonstrationen sind wegen der anhaltenden Pandemie auch im Arbeitskampf nicht möglich. Die Kundgebungen waren jedoch auch ohne die sonst obligatorischen Trillerpfeifen und trotz Masken vor dem Mund nicht zu überhören.

Zahlreiche Bauberufe gelten inzwischen als »Engpassberufe«. Der Grund dafür liegt in einer Kombination aus schlechten Arbeitsbedingungen und mangelnder Bezahlung.

6,8 Prozent, mindestens jedoch 230 Euro mehr Lohn im Monat fordert die Industriegewerkschaft Bauen-­Agrar-Umwelt (IG BAU) für die etwa 850 000 Beschäftigten im Bauhaupt­gewerbe. Auszubildende sollen monatlich 100 Euro mehr erhalten, so soll die Baubranche für den Nachwuchs attraktiver werden. Zudem fordert die Gewerkschaft eine Entschädigung für die Wegezeit, die zahlreiche Beschäftigte bisher unbezahlt in Kauf nehmen müssen, um teils weit entfernte Baustellen zu erreichen. »Unsere Kollegen und Kolleginnen fahren oft stundenlang zur Baustelle und von dort wieder zurück. Sie haben keinen Einfluss darauf, ob es zehn, 100 oder 200 Kilometer sind. Bisher erhalten sie dafür aber keinen müden Cent oder einen anderen Ausgleich«, kritisiert Carsten Burckhardt, ein Bundesvorstandsmitglied der IG BAU und der Verhandlungsführer der laufenden Tarifrunde, die bisherigen Verhältnisse.

Die Tarifverhandlungen wurden nach fünf ergebnislosen Gesprächsrunden abgebrochen. Die Unternehmerseite aus dem Bauhandwerk und der Bauindustrie hatte in keinem der Gespräche ein Verhandlungsangebot vorgelegt, sondern als Voraussetzung für ernsthafte Gespräche verlangt, die IG BAU solle ihre Forderungen einschränken. Für den Verhandlungsführer Burckhardt war das eine Provokation: »Den Arbeitgebern geht es offenbar nicht mehr um Inhalte, sondern sie erwarten von der IG BAU eine Unterwerfung. Ihre Idee, den Verzicht auf unsere Forderung einer Wegezeitentschädigung zur Voraussetzung für ein Angebot zu machen, ist beispiellos. Einen solchen Kniefall wird es mit der IG BAU nicht geben. Ebenso unzumutbar ist das Ansinnen, die Reduzierung der Einkommensforderung zur Vorbedingung für ein Angebot zu machen«. Die Beschäftigten seien auch in der Coronakrise zu Streiks bereit.

Zunächst geht der Tarifkonflikt jedoch in die Schlichtung. Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, soll für eine gütliche Einigung sorgen. Klappt das nicht, endet die tarifvertraglich vereinbarte Friedenspflicht. Dass es zu Arbeitsniederlegungen kommt, ist wahrscheinlich, denn die Einschätzungen der Tarifparteien zur Lage in der Bauwirtschaft könnten kaum unterschiedlicher sein. Der Zentralverband des deutschen Baugewerbes und der Hauptverband der deutschen Bauindustrie warnen vor den Auswirkungen der Coronakrise auf die Branche und rechnen mit einer sinkenden Zahl an Aufträgen. »Der Bauboom geht weiter! Kaum eine Branche kam bisher so gut durch die Pandemie wie die Bauwirtschaft«, sagt hingegen der Vorsitzende der IG BAU, Robert Feiger.

Tatsächlich hat die Baubranche auch während der Pandemie steigende ­Gewinne erzielt. So stieg der Umsatz der Bauunternehmen dem Statistischen Bundesamt zufolge von Januar bis Mai um 7,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, auch die Zahl der Beschäftigten wuchs um 4,1 Prozent. Gerade einmal zwei Prozent der Beschäftigten in der Branche befanden sich seit Beginn der Pandemie in Kurzarbeit.

Ungefähr 100 Milliarden Euro setzte das Baugewerbe durchschnittlich in den vergangenen Jahren um, die Zahl der Bauvorhaben steigt seit Jahren ­rasant. Diese Entwicklung setzt sich bisher auch in der Coronakrise unver­mindert fort. Die Zahl der erteilten Baugenehmigungen lag diesen Juni um 22,4 Prozent höher als im Vorjahresmonat. Bei den Zweifamilienhäusern stieg die Anzahl der genehmigten Wohnungen um 27,3 Prozent, bei den Mehrfamilienhäusern um 25,1 Prozent und bei Einfamilienhäusern um 16,9 Prozent.
Das Problem des Baugewerbes sieht die Gewerkschaft nicht in den Folgen der Pandemie, sondern im Fachkräftemangel der Branche. »Der Mangel an gelernten Maurern, Betonbauern und Zimmerleuten macht es immer schwieriger, die genehmigten Wohnungen zeitnah zu bauen«, so Feiger. Zurzeit verließen zwei von drei Bauarbeitern kurz nach Abschluss der Ausbildung die Branche. Nur wenn die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung der Bauberufe attraktiver würden, könne ausreichend Nachwuchs erhalten werden.

Tatsächlich gelten der Bundesagentur für Arbeit zahlreiche Bauberufe inzwischen als »Engpassberufe«, für die nur schwer Fachkräfte mit abgeschlossener Ausbildung zu finden sind. Der Grund dafür liegt in der beschriebenen Kombination aus schlechten Arbeitsbedingungen und mangelnder Bezahlung. Einer Untersuchung auf Basis des DGB-Index »Gute Arbeit« zufolge, für die über fünf Jahre unter anderem Fachkräfte im Tief- und Straßenbau befragt wurden, klagen 58 Prozent von diesen über eine zu starke körperliche Anstrengung bei der Arbeit. Im branchenübergreifenden Durchschnitt sind es nur 30 Prozent. 56 Prozent bewerten ihr Einkommen als nicht leistungsgerecht, 46 Prozent sind es unter allen vom DGB befragten Branchen. »Wer ein um ein Fünftel geringeres Einkommen als in der Industrie hat, überlegt sich schnell, die Branche zu wechseln. Auch die Aussicht, es körperlich nicht bis zur Rente zu schaffen, ist ein wesentlicher Grund für den Facharbeiterschwund am Bau«, kritisiert Verhandlungsführer Burckhardt.