Das soziale Netzwerk Parler ist bei extremen Rechten besonders beliebt

Ein Netzwerk für Team Wurst

Das soziale Netzwerk Parler legt eigenen Angaben zufolge großen Wert auf die Meinungsfreiheit. Unter den Nutzern befinden sich viele Rechtsextreme.

Das wird man doch wohl noch sagen dürfen – dieser nicht zuletzt bei Rechtsextremen beliebte Satz scheint auch das Motto des sozialen Netzwerks Parler zu sein. Es trägt zwar einen französischen Namen – das französische Verb parler bedeutet »reden«, »sprechen« –, wurde jedoch in den USA aufgebaut. Legt man einen Account an, muss man eine E-Mail-Adresse und eine Telefonnummer hinterlassen sowie ein Passwort bestimmen. Als Telefonvorwahl schlägt das System automatisch +1 vor, die internationale Vorwahl der USA. Loggt man sich ein, dann landet man beim Parler Free Speech Social Network, so die Eigenbezeichnung des Dienstes.

In Nordamerika erfreuen sich bei Parler Hashtags wie »white genocide« und »deport all Muslims now« größerer Popularität.

Der 27jährige Geschäftsmann und Informatiker John Matze, ein Absolvent der Universität von Denver, und sein Studienkollege Jared Thomson gründeten Parler im Jahr 2018. Anfang August fragte der rechtskonservative Fernsehsender CNS News Matze, ob es bei seinem auf die Meinungsfreiheit bedachten sozialen Medium auch Kriterien gebe, bestimmte Inhalte zu löschen. Dies verneinte er im Fall von Rassismus, da dieser schwer zu definieren sei. Terroristische Organisationen seien allerdings nicht willkommen, so Matze.
Man findet auf Parler auch prominente rechte US-Politiker wie die Republikaner Ted Cruz und Rand Paul. Das Magazin Forbes behauptete gar, das Medium sei mittlerweile das bevorzugte des für seine Ausfälle auf Twitter bekannten Präsidenten Donald Trump. Allerdings unterhält dieser dort kein eigenes Konto. Man findet bei Parler jedoch seinen Sohn Eric und seinen Wahlkampfleiter Brad Parscale.

Vielleicht liegt es am französischsprachigen Namen, aber sicherlich nicht nur: Seit einigen Wochen wird das US-amerikanische Medium auch in Frankreich in einschlägigen Kreisen populär. Am 22. Juli verkündete die rechtsextreme Politikerin Marion Maréchal, dass sie ein Nutzerkonto bei Parler angelegt habe. Bis vor zwei Jahren lautete der Nachname der 30jährigen noch Maréchal-Le Pen, seither benutzt die Enkelin des rechtsextremen Politikers und Gründers des Front National, Jean-Marie Le Pen, nur noch den Familiennamen ihres Vaters Samuel Maréchal, der in den neunziger Jahren die Jugendorganisation des Front National geleitet hatte. Marion Maréchals Beitritt sorgte in französischen Medien für eine Welle von Artikeln über Parler.

Die junge Abgeordnete des Rassemblement National (RN), wie der Front National seit 2018 heißt, ist nicht die einzige französische Rechtsextreme, die sich für Parler begeistert. Auch eine Reihe weiterer bekannter Politiker ist dort zu finden. Zu ihnen zählen zwei Europaabgeordnete des RN, Jérôme Rivière und Gilbert Collard, eine Regionalparlamentarierin des RN in Südostfrankreich, Agnès Marion, der wegen seiner Nähe zu Marion Maréchal im Herbst 2019 aus der konservativen Partei Les Républicains (LR) ausgeschlossene Erik Tegnér und ein Ideologie des RN, Jean Messiha.

Die zur Identitären Bewegung zählende Jugendorganisation Génération Identitaire (GI) forderte ihre Anhänger im Juli in einer Pressemitteilung dazu auf, von Twitter und Facebook zu Parler zu wechseln. Vorausgegangen war die Sperrung der Twitter-Konten von GI-Funktionären, darunter die jeweils etwa 20 000 Abonnenten aufweisenden von Thaïs d’Escufon, Romain Espino und Clément Martin.

Seit dem Beginn der Proteste gegen rassistische Polizeigewalt in den USA nach dem Mord an George Floyd am 25. Mai und deren Übergreifen auf Frankreich Anfang Juni haben Twitter, Facebook und Google einige rassistische, antisemitische und faschistische Benutzerkonten in beiden Ländern gesperrt, auch die Youtube-Kanäle der beiden französischen Antisemiten Alain Soral und Dieudonné M’bala M’bala wurden gelöscht. Die beiden prominenten Agitatoren, deren Einfluss unter anderem nach dem völligen Scheitern einer Ende 2014 von ihnen angekündigten Parteigründung zurückgegangen ist, nutzen allerdings andere Medien als Parler. Dieudonné betreibt seit ungefähr zwei Jahren eine Seite bei dem russischen Anbieter VK. Soral, der bereits mehrmals wegen antisemitischer Äußerungen zu Haftstrafen verurteilt wurde, sprach sich kürzlich für Gab aus, ein soziales Medium, auf dem unter anderem auch der anti­semitische Attentäter von Pittsburgh, Robert Bowers, ein Profil unterhielt.

Auch bei Parler können sich französische Rechtsextreme weitgehend ungestört austoben. Zwar pflegt man in diesem Milieu meist eine gewisse Distanz zu allem, was aus den USA kommt. Doch Jean-Marie Le Pen beispielsweise hatte in den achtziger Jahren zeitweilig den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zum Vorbild erkoren. Er konnte ihm am Rande eines Konvents der US-Republikaner einmal die Hand schütteln und benutzte dieses Foto ausgiebig im französischen Präsidentschaftswahlkampf 1987/1988. Seit dem Amtsantritt Donald Trumps sind Anleihen bei dessen politisch-ideologischem Lager in Mode, auch wenn die Gesinnungsfreunde in Frankreich auf die geopolitische Eigenständigkeit ihres Landes pochen. Marion Maréchal-Le Pen, wie sie sich damals noch nannte, sprach Ende Februar 2018 auf der Conservative Political Action Conference in Washington, D.C., wo unter anderem der US-Vizepräsident Mike Pence auftrat.

In den USA erlebte Parler im Juni einen gewaltigen Popularitätssprung: Innerhalb einiger Tage stieg die Zahl der Abonnenten von knapp unter einer Million auf 2,5 Millionen, wohl in Reaktion auf die Proteste der Bewegung Black Lives Matter und die damit einhergehende geänderte Politik von Facebook und Twitter. Das ist zwar vergleichsweise wenig im Vergleich zu Twitter mit 330 Millionen und Facebook mit fast 2,7 Milliarden Nutzern. Allerdings vereinigt Parler vor allem rechtsextreme Aktivisten, während bei den größeren und älteren sozialen Medien eher politische Beliebigkeit herrscht.

In Nordamerika erfreuen sich bei Parler Hashtags wie white genocide und deport all Muslims now größerer Popularität. In Frankreich finden sich Nutzergruppen wie die »Fans von Éric Zemmour«, einem prominenten ­Fernsehjournalisten, der Ende September vorigen Jahres bei einer maßgeblich von Marion Maréchal ausgerichteten Konferenz in Paris auftrat. Bei französischen Nutzern sind die Hashtags »Schinkenbrötchen ohne Butter« und »Team Wurst« beliebt. Sie spielen auf einen seit 2010 in der extremen Rechten des Landes verbreiteten Code an, der sich in jenem Jahr erstmals mit einer Welle von Aufrufen zu »Freiluftaperitifs mit Wurst und Wein« ­verbreitete. Gruppen von der Identitären Bewegung bis zum rechten Rand der Konservativen veranstalteten solche apéritifs saucisson-pinard. Der demonstrative öffentliche Konsum von Schweinefleisch und Rotwein war eine bewusste Geste des Ausschlusses von Muslimen. Juden waren dadurch ebenfalls ausgeschlossen, auch wenn die Veranstalter dies nicht als kon­kretes Ziel formuliert hatten.