Zoff in der tunesischen Exekutive

Zoff in der Exekutive

Kommentar Von Bernd Beier

Der neue tunesische Ministerpräsidenten Hichem Mechichi und Staatspräsident Kaïs Saïed haben sich heftig überworfen.

Neue Regierung, neues Glück? Unter verworrenen Umständen ist in der vorigen Woche eine neue tunesische Regierung, die dritte innerhalb eines Jahres, zustande gekommen, die die monatelange ­politische Instabilität beenden soll. In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch voriger Woche sprach das zersplitterte tunesische Parlament der Technokratenregierung unter dem neuen parteilosen Ministerpräsidenten Hichem Mechichi, vormals Innenminister, das Vertrauen aus. 134 der 217 Abgeordneten stimmten dafür, darunter jene der islamistischen Partei al-Nahda, der liberalen Partei des »tunesischen Berlusconi« Nabil Karoui und des ultraislamistischen Bündnisses al-Karama.

Nach einem Machtkampf mit al-Nahda hatte der konservativ-­populistische Präsident Kaïs Saïed, genannt Robocop, Ende Juli ­Mechichi mit der Bildung einer neuen »apolitischen« Regierung beauftragt. Am Tag nach der Abstimmung fiel Kaïs Saïed bei der Vereidigung der neuen Regierung aus der Rolle. »Der Tag wird kommen, an dem ich offen die Wahrheit über den Verrat, die Infiltra­tionen, die Heimtücke und die lügenhaften Versprechungen aussprechen werde (…), über die kompromittierenden Verbindungen mit dem Zionismus und dem Kolonialismus«, zitierte ihn die frankophone tunesische Tageszeitung La Presse. Wer die zionistischen und kolonialistischen Verräter in seinen Augen seien, sagte er nicht. »Tunesiens Präsident begrüßt die neue Regierung mit einer Schimpfkanonade«, titelte die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Stein des Anstoßes war zuvor die Affäre um die Nominierung von Walid Zidi als Kulturminister. Der 34jährige ohne politische Erfahrung, der als erster Blinder Tunesiens einen Doktortitel erlangt hatte, gilt in Kulturkreisen als Konservativer. »Angesichts des politischen Wirbels um seine Nominierung kündigt er 24 Stunden ­später in den sozialen Medien an, sich zurückziehen zu wollen, bevor er das widerruft, mit Verweis auf die Ermutigungen des Präsidenten und des Regierungschefs«, hieß es im Magazin Jeune Afrique. »Um zur Verwirrung beizutragen, schließt ihn Mechichi am Morgen darauf aus seinem Kabinett aus; in den Stunden danach nimmt ihn der Präsident Kaïs Saïed wieder auf.«

Eine Interpretation der Ereignisse liefert Hamza Meddeb vom Carnegie Centre. Saïed habe einen Ministerpräsidenten gewollt, den er kontrollieren könne, der Präsident habe schwerwiegend in die Zusammensetzung der Regierung eingegriffen, letztlich habe Mechichi sich von ihm abgewandt und die Unterstützung der Parteien gesucht, um sich als Regierungschef zu behaupten.

Am Sonntag attackierten drei Jihadisten in Sousse zwei Mitglieder der Nationalgarde zunächst mit ihrem Auto, dann gingen sie mit Messern auf sie los, töteten einen und verletzten den anderen. Anschließend wurden sie erschossen. Kurz darauf zeigten sich erste Auswirkungen der vergifteten Beziehungen zwischen den beiden Chefs der Exekutive. »Bei ihrer Ankunft am Ort der Attacke im Abstand von einigen Minuten haben sich die zwei Gruppen um Saïed und Mechichi, so scheint es, sorgsam gemieden«, schrieb Seif Sou­dani im Magazin Le Courrier de l’Atlas, »und bestätigten damit die Missstimmung zwischen den beiden Männern.«