Am ehemaligen Redaktionssitz von »Charlie Hebdo« in Paris wurden zwei ­Menschen mit einem Fleischerbeil schwer verletzt

Der Terror kehrt zurück

Zwei Mitarbeiter einer Presseagentur wurden vor dem ehemaligen Redaktionssitz der Wochenzeitung »Charlie Hebdo« mit einem Fleischerbeil schwer verletzt.

Anfang vorigen Monats hat im Pariser Justizpalast der Prozess wegen der Massaker in der Redaktion der Wochenzeitung Charlie Hebdo und im koscheren Supermarkt Hyper Cacher begonnen. Am Freitag voriger Woche schien der Horror von vor fünf Jahren zurückzukehren: Auf allen Kanälen hieß es, mehrere Menschen seien bei einer »Machetenattacke« in der Nähe des ehemaligen Redaktionssitzes von Charlie Hebdo in der Rue Nicolas-Appert 10 in Paris schwer verletzt worden.

Nachdem die Brüder Chérif und Saïd Kouachi dort am 7. Januar 2015 zwölf Menschen – neben Redaktionsmitgliedern auch einen Wartungsarbeiter im Gebäude sowie zwei Polizisten auf der Straße davor – ermordet hatten, kehrte die Redaktion nicht in das Gebäude zurück. Wo Charlie Hebdo mittlerweile produziert wird, ist nur wenigen Personen bekannt, aus nachvollziehbaren Gründen: Die Bedrohung der Redaktion hat nicht nachgelassen. Anfang voriger Woche wurde während des Prozesses bekannt, dass die Personalchefin der Wochenzeitung, Marika Bret, am 14. September fluchtartig ihre Wohnung verlassen musste. Die polizeilichen Personenschützer hatten ihr wegen hinreichend konkreter Drohungen nur zehn Minuten Zeit dafür gegeben.

Der mutmaßliche Täter der jüngsten Attacke befand sich, wie er später bei einer Vernehmung angab, im Glauben, an der Redaktionsadresse von Charlie Hebdo zu sein, als er am Freitag voriger Woche gegen 11.30 Uhr – zu dieser Uhrzeit hatte sich 2015 der jihadistische Anschlag auf Charlie Hebdo ereignet – auf eine Frau und einen Mann losging, die auf dem Trottoir eine Zigarettenpause einlegten. Er handelte demnach auch in der Annahme, es mit Mitarbeitern von Charlie Hebdo zu tun zu haben. In Wirklichkeit arbeiten die beiden für Premières Lignes, eine in dem Gebäude ansässige Presseagentur, die kollegiale Beziehungen zu Charlie Hebdo unterhielt. Sie hatte am 7. Januar 2015 in Sekundenschnelle die tödlichen Schüsse in der Redaktion gemeldet, weswegen die halbe Welt auf dem Laufenden war, bevor die Polizei eintraf.

Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei der Tatwaffe um ein Fleischerbeil. Beide Opfer wurden schwer verletzt, befinden sich jedoch nicht in Lebensgefahr. Kurz nach der Tat wurde auf der wenige Hundert Meter entfernten Place de la Bastille ein junger Mann festgenommen. Er war blutbefleckt und schnell stellte sich heraus, dass er die gleichen roten Turnschuhe trug wie der dringend Tatverdächtige, von dem über Polizeifunk und in Medien die Rede war. Kurz darauf wurde ein zweiter Verdächtiger, ein 33jähriger Algerier mit dem Vornamen Youssef, in einer nahegelegenen Métro-Station festgenommen. Nach einigen Stunden stellte sich jedoch heraus, dass er versucht hatte, den Täter aufzuhalten.

Der mutmaßliche Täter gestand die Tat bei einer Vernehmung am Abend. Anders als die meisten Terrorverdächtigen erwies er sich als recht gesprächig. Nach eigenen Angaben hatte er zunächst beabsichtigt, das Gebäude mit Spiritus in Brand zu setzen. Davon habe er jedoch abgesehen, weil zu viele Leute auf der Straße unterwegs gewesen seien. Er habe die Tat aufgrund des Wiederabdrucks von Mohammed-Karikaturen in Charlie Hebdo Anfang vorigen Monats (Die 14 Angeklagten - Jungle World 37/2020) begangen. 2015 hatten die Kouachi-Brüder diese Karikaturen als Motiv für ihr Massaker in den Redaktionsräumen angegeben.

Die Ermittler stuften den mutmaßlichen Täter zunächst als 18jährigen Pakistaner ein. Ausweislich seiner in Frankreich ausgestellten Dokumente wurde er am 10. August 2002 unter dem Namen Hassan Ali geboren und reiste vor drei Jahren als unbegleiteter Minderjähriger in Frankreich ein. Erste Bilder von seiner Festnahme ließen jedoch schnell die Frage aufkommen, ob er nicht älter sei.

Wie die Abendzeitung Le Monde berichtete, nachdem sie Einsicht in die Ermittlungsakten hatte nehmen können, fanden die Ermittler auf dem Handy des Täters das Foto eines Ausweispapiers. Demnach nehmen sie wegen dieses Fotos an, »Hassan Ali« heiße in Wirklichkeit Zaheer Hassan Mehmood. Letzterer wurde den vorliegenden Erkenntnissen zufolge am 25. Januar 1995 in Mandi Bahauddin in der pakistanischen Provinz Punjab geboren und reiste über den Iran und die Türkei in den Schengen-Raum ein. 2018 kam er in Frankreich an. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag sagte der für Antiterrorismus zuständige Staatsanwalt Jean-François Ricard, der Verdächtige habe eingeräumt, »Zaheer Hassan Mehmood« zu heißen und 25 Jahre alt zu sein.

Die Bezirksregierung von Cergy-Pontoise bei Paris hatte den vermeintlichen Hassan Ali wegen seiner Altersangabe zunächst als minderjährig eingestuft und in die Obhut eines Jugendamts gegeben. Die Betreuung endete im August mit Erreichen der angeblichen Volljährigkeit. Nachdem er in einer Sozialeinrichtung in Cergy-Pontoise untergekommen war, fand er zuletzt offenbar in einer Wohngemeinschaft in Pantin bei Paris eine Unterkunft. Dort wurden in der Nacht auf Samstag fünf frühere Mitbewohner zur Vernehmung festgenommen; zwei von ihnen waren am Montagmorgen wieder frei. Kurz darauf wurde ein ehemaliger Mitbewohner in Cergy-Pontoise festgenommen. Der mutmaßliche Täter hatte im Juni eine staatsanwaltliche Ermahnung erhalten, weil er bei einer Auseinandersetzung am Pariser Gare du Nord ein Fleischerbeil gezogen hatte, das er allerdings nicht einsetzte.

In einem Video, das der Tatverdächtige in den Stunden vor der Tat an zwei Personen versandte hatte und das kurze Zeit in sozialen Medien kursierte, stellt er sich auf Urdu als Zaheer Hassan Mehmood vor. Er spricht davon, in Frankreich, einem Land der »Ungläubigen«, schlecht zu leben, und kündigt an, sich auf den »Weg des Propheten« zu begeben. Auf eine Organisation bezieht er sich nicht; ob er die Mohammed-Karikaturen erwähnt, ist strittig.

Arshad Mehmood sagte in einem Telefongespräch mit der Nachrichtenagentur AFP, in dem er sich als Vater von Zaheer Hassan Mehmood vorstellte, er sei »sehr stolz« auf die Taten seines Sohns, der »die Ehre des Propheten schützte«. Reuters zufolge sagte Arshad Mehmood der Nachrichtenwebsite Naya Pakistan über Zaheer Hassan: »Er rief uns an (…) und sagte, Gottes Prophet habe ihn auserwählt und betraut, die Gotteslästerer zu töten.«