In den Niederlanden haben Prominente eine Kampagne gegen die Pandemiemaßnahmen der Regierung unterstützt

Virus und Wahnsinn

Prominente haben eine Kampagne gegen die Pandemiemaßnahmen der niederländischen Regierung unterstützt. Der mutmaßliche Drahtzieher ist ein bekannter Verschwörungsideologe.

In den Niederlanden protestierten vorige Woche Influencer, Rapper, Comedians und DJs unter dem Hashtag #ikdoenietmeermee (ich mache nicht mehr mit) gegen die coronabedingten Einschränkungen. Sie rechneten vermutlich mit positiver Resonanz – stattdessen gelten sie vielen nun als ignorante Egoisten, die sich mit Verschwörungstheoretikern verbündet haben.

Besonders viel Kritik erntete Famke Louise Meijer, bekannt unter ihren Vornamen, eine mit rund 350 000 Followern für niederländische Verhältnisse recht erfolgreiche 21jährige Youtuberin, die ihre Karriere 2016 als Beauty-Vloggerin begonnen hatte. Ein Jahr später begann sie zu rappen und schaffte es mehrfach in die Top 10 der niederländischen Charts. Zudem wirkte sie bei Doku-Soap-Sendungen mit. Im Frühjahr war Famke Louise noch eines der Gesichter der offiziellen Kampagne des Gesundheitsministeriums zur Einhaltung der Coronaregeln, wofür sie mehrere zehntausend Euro Gage erhielt. Politiker wie der Fraktionsvorsitzende der liberalen Partei D66 im niederländischen Parlament, Rob Jetten, forderten inzwischen, sie solle das Geld zurückzahlen.

Auch sonst fiel die öffentliche Resonanz auf die Kampagne mehrheitlich negativ aus, was auch an der Entwicklung der Covid-19-Pandemie liegt. Das zuständige Rijksinstituut voor Volksgezondheit en Milieu (Nationales Institut für Gesundheit und Umwelt) meldete für den Zeitraum vom 16. bis 22. September 13 471 Neuinfektionen, rund 5 000 mehr als in der Vorwoche; die Anzahl der Tests war leicht gesunken. Am Dienstag wurden 3 011 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet – ein Rekordwert.

Ganz so locker, wie deutsche Coronaleugner sie gern darstellen, sind die Vorgaben in den Niederlanden nicht. Anderthalb Meter Abstand sind einzuhalten, in öffentlichen Verkehrsmitteln ist seit dem 1. Juli für Personen, die älter als 13 Jahre sind, das Tragen von Mund-Nasen-Masken vorgeschrieben. Um Veranstaltungen, Restaurants. Friseursalons, Therapeuten und Kneipen besuchen zu können, aber auch vor Taxifahrten, ist ein sogenannter Gezondheitscheck erforderlich, bei dem online anonym Fragen nach Covid-19-Symptomen beantwortet werden müssen. Das Ergebnis muss am Einlass oder vor Fahrtbeginn vorgezeigt werden. Zusätzlich müssen persönliche Daten angegeben werden.

Seit Dienstagabend gelten landesweit für mindestens drei Wochen zusätzliche Einschränkungen. Kneipen und Restaurants müssen um 22 Uhr schließen. Es dürfen sich nur noch 30 Personen in geschlossenen Räumen versammeln, draußen bis zu 40. Private Haushalte dürfen maximal drei Gäste empfangen. Sportveranstaltungen müssen ohne Publikum stattfinden.

Die negativen Reaktionen auf #ikdoenietmeermee haben vor allem mit dem mutmaßlichen Drahtzieher der Kampagne zu tun. Willem Engel gehört zu den umtriebigsten Coronaleugnern der Niederlande, er gründete vor einigen Monaten die Protestbewegung »Viruswaanzin« (Viruswahnsinn), deren zu ironischen Bemerkungen geradezu einladender Name nach kurzer Zeit jedoch in »Viruswaarheid« (Viruswahrheit) geändert wurde.

Anfang August machte eine Veranstaltung der Verschwörungsideologen in Rotterdam Schlagzeilen, nicht nur, weil die Polizei sie wegen Nichteinhaltung der Abstandsregeln aufgelöst hatte. Der Kolumnist und Schriftsteller Özcan Akyol beschrieb die Demonstration im Algemeen Dagblad als »Treffen von verstrahlten Küchenphilosphen, die ihre Komplott-Propaganda streuten und damit allerlei labile Menschen indoktrinierten«. Neben den üblichen Lügen über Bill Gates und die Nichtexistenz des Virus sowie der Beschwörung von universeller Liebe hatte Engel die damals kurzzeitig in Rotterdam eingeführte Mundschutzpflicht mit der von den Nazis verordneten Pflicht für Juden, einen gelben Stern zu tragen, verglichen. Auf die heftige öffentliche Kritik reagierte er, wie es Verschwörungsideologen weltweit besonders gern tun: Er log, seine Bewegung habe sehr viele jüdische Anhänger.

Engel stellt sich selbst gern als Virusexperten dar. Er gibt an, an der Universität von Leiden Biopharmazie studiert, seine folgende wissenschaftliche Karriere aber 2008 aufgegeben zu haben, um in Rotterdam ein Tanzstudio zu gründen. Googelt man seinen Namen, findet man Medienberichte, die die Worte lastig vallen (lästig fallen) enthalten, und das kommt nicht von ungefähr. Auf Facebook ruft Engel zu Belästigungen diverser Institutionen auf. Eltern sollen ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken, um sie dort nicht der Propaganda über Sars-CoV-2 auszusetzen. Wohn- und Pflegeeinrichtungen, die Besuchsverbote verfügen, machen sich in der Lesart der Coronaleugner widerrechtlicher Freiheitsberaubung schuldig, auch Krankenhäuser seien Teil der großangelegten Verschwörung. Zuletzt hetzte Engel seine Anhänger gegen ein Pflegeheim auf, das Besuche eingeschränkt hatte. Acht Tage wurden die Mitarbeiter des Heims telefonisch mit Gewaltdrohungen terrorisiert, wie ein Sprecher der Tageszeitung De Volkskrant berichtete.

Für Famke Louise hatte das Engagement bei #ikdoenietmeermee Konsequenzen. Bereits am Abend des ersten Tags der Kampagne sagte eine Produktionsfirma ihren geplanten Auftritt in einem Utrechter Theater ab. Die Rapperin versuchte sich unter anderem in einer Talkshow damit zu rechtfertigen, sie habe lediglich auf die sozialen Folgen der Pandemie aufmerksam machen wollen. Warum sie sich dazu ausgerechnet an dieser Kampagne beteiligte, konnte sie auf Nachfrage der Moderatorin nicht beantworten.