Deniz Yücels Festnahme in der Türkei

#FreeDeniz

Von Ivo Bozic

Der »Welt«-Korrespondent und »Jungle World«-Mitherausgeber Deniz Yücel ist wegen seiner Berichterstattung in der Türkei verhaftet worden. Ihm droht ein Gerichtsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung.

Am Montag hatte ein türkischer Staatsanwalt darüber zu entscheiden, ob der Journalist Deniz Yücel weitere sieben Tage ohne richterliche Anhörung in Polizeigewahrsam verbringen sollte. Er entschied: Ja, das soll er. Es ist also davon auszugehen, dass Yücel bis zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung und dem anschließenden Haftprüfungstermin am kommenden Dienstag in einer Polizeizelle bleibt. Danach könnte er freigelassen werden – oder in Untersuchungshaft kommen. So oder so könnte ein Verfahren gegen ihn eröffnet werden.
Wer Deniz Yücel kennt – und wir in der Jungle World kennen unseren ehemaligen Redaktionskollegen, unseren Freund und Jungle-Mitherausgeber, selbstverständlich ziemlich gut –, wer also Deniz kennt, der weiß: Der lässt sich nicht so leicht einschüchtern. Da muss schon jemand anderes kommen als so ein Recep Tayyip Erdoğan. Doch genau darum scheint es Erdoğan zu gehen: ihn zu entmutigen.
Deniz Yücel, seit 2015 Türkei-Korrespondent der Tageszeitung Die Welt, sitzt seit Dienstag voriger Woche in Istanbul in Polizeigewahrsam. Der Vorwurf lautet vermutlich – sicher ist das bisher nicht – Datenmissbrauch und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das ist so hanebüchen, so verrückt, so durchschaubar, dass man gar nicht die dem widersprechenden Fakten anführen mag, weil man sich damit bereits auf diese Wahnvorstellungen einlassen würde. Doch es hilft nichts. Der Wahn ist wohlkalkulierte politische Strategie: Erdoğan will, daran kann es keinen Zweifel geben, die freie Presse in der Türkei vollständig mundtot machen. Etwa 130 Journalisten sitzen bereits in Untersuchungshaft, 150 Medien wurden geschlossen, Hunderte Presseausweise annulliert. Die Pressefreiheit in der Türkei – es steht nicht schlecht um sie, nein, nein: Es gibt sie nicht mehr. Denn wenn die Angst regiert, hat die Freiheit bereits verloren. Eine Reihe von Korrespondenten hat die Türkei schon aus Angst verlassen. Aus berechtigter Angst, wie man sieht. Andere wurden von ihren Redaktionen abgezogen, wie etwa im Fall der New York Times.
Ausländische Journalisten, die in der Türkei unerwünscht sind, werden üblicherweise ausgewiesen. Das ging bei Deniz Yücel nicht, denn er besitzt neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft – und das könnte in der derzeitigen Lage zum Problem für ihn werden. Denn die Türkei behandelt ihn wie die anderen türkischen Journalisten – und wie man weiß, behandelt sie die gar nicht gut. Der Vorteil, den die anderen Kolleginnen und Kollegen nicht haben, ist, dass er eben auch einen deutschen Pass besitzt und sich die Bundesregierung deshalb für ihn einsetzt. Das tut sie, wie man hört, so gut sie kann. »Die Bundeskanzlerin, der Außenminister und das gesamte Auswärtige Amt stehen hinter dem Bemühen, zu verhindern, dass Herr Yücel dauerhaft seine Freiheit verliert«, formulierte Außenamtssprecher Martin Schäfer in schönstem Diplomatengeschwurbel. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) versprach in einem Gespräch mit der Taz: »Herr Yücel kann sich darauf verlassen, dass deutsche Stellen alles tun werden, um ihn konkret zu unterstützen.«
Bei den Vorwürfen gegen unseren Freund und Kollegen geht es offenbar darum, dass er über die linke Hackergruppe Redhack berichtet hat, die im September 2016 fast 60 000 E-Mails des türkischen Energieministers Berat Albayrak, Erdoğans Schwiegersohn, veröffentlicht hatte. In den E-Mails geht es auch um gezielte staatliche Medienmanipulationen. Deniz Yücel schrieb darüber. Das reicht offenbar für die türkische Justiz, um ihm Terrorismus vorzuwerfen. Für sechs türkische Kollegen, die ebenfalls über den Fall berichteten, hat es auch gereicht. Sie wurden am 25. Dezember festgenommen, drei kamen in Untersuchungshaft. Deniz Yücel war seit diesem Tag untergetaucht.
Doch es ist müßig, sich mit den Vorwürfen detailliert zu beschäftigen – nur Deniz Yücels Anwälte müssen das selbstverständlich tun –, denn es ist offensichtlich: Wenn es nicht diese Sache gewesen wäre, dann hätte man den Journalisten etwas anderes angehängt, um sie zum Schweigen zu bringen.
Selbst wenn sich die Bundesregierung und das Auswärtige Amt aus diplomatischen Gründen öffentlich zurückhalten, gibt es bereits große Unterstützung für Deniz. Während der Berlinale solidarisierte sich am Samstagabend Festivalleiter Dieter Kosslick sehr öffentlichkeitswirksam, Deniz Yücels Freunde und Kollegen veranstalteten am Sonntag einen Autokorso durch Berlin. Etwa 80 Autos mit 300 bis 400 Menschen fuhren laut hupend durch die Stadt. Sollte der Haftprüfungstermin am Dienstagnachmittag zu Ungunsten von Deniz ausfallen, soll es noch am gleichen Abend weitere Aktionen in mehreren Städten geben. In den sozialen Netzwerken sammeln sich die Unterstützer unter dem Hashtag #FreeDeniz.
Doch Deniz hat, weil er ein leidenschaftlicher, engagierter Journalist ist, nicht nur Freunde. Auch eine Welle des Hasses und der Schadenfreude schlägt ihm von AKP-Anhängern und AfD-Claqueuren entgegen, die sich vor allem aus Artikeln Yücels aus seiner Zeit bei der Taz und der Jungle World speist. Er hat dort genüsslich und polemisch die Deutschen provoziert – und auch die Antideutschen. Etwa als er zur WM 2006 begrüßte, dass Menschen mit Migrationshintergrund mit Deutschlandfahnen Korso fahren – als gelungene Integration und als Fortschritt, nämlich als Aufweichung des völkischen Nationalismus hin zu einem staatsbürgerlichen. Zum Jungle-internen »Public Viewing« in den Redaktionsräumen brachte er einen Grill und Deutschlandfähnchen mit. Wir hatten großen Spaß, trotz des ganzen Qualms unter der Zimmerdecke. Deniz ist kein Journalist und auch kein Mensch, der anderen nach dem Mund redet, er will in jeder Hinsicht anregen, aufregen. Und das ist genau das, was Leute wie Er­do­ğan, die Ruhe haben möchten, stört.

Welches Wahnsinnsregime kann einen solchen Menschen einsperren?


Auch international findet der Fall Beachtung. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn sagte der Luxemburger Wochenzeitung Woxx, er sehe auch die europäischen Staaten in der Pflicht: »Die Türkei ist bekannterweise Mitglied des Europarates. Da gibt es ganz präzise Regeln, die zu befolgen sind. Ich glaube, dass dieser Prozess sehr viele Beobachter in Europa und vielleicht sogar außerhalb Europas finden wird.« Zudem verwies Asselborn auf die Abhängigkeit der Türkei von der EU: »Ohne das Potential der Handelsbeziehungen zwischen der Türkei und der Europäischen Union hätte die Türkei in den letzten zehn Jahren nicht diesen Aufschwung genommen. Und der kann ganz abrupt gestoppt werden, wenn die Verbindung zur Europäischen Union abgeschnitten wird. Das muss man sich in der Türkei vor Augen halten.«
Deutlich ist, dass die Angelegenheit für Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ein Problem werden könnte. Sollte es nicht gelingen, auf diplomatischem Weg eine Möglichkeit zu finden, Deniz Yücel vor einer langen Haft zu bewahren, müsste die Bundesregierung realen Druck aufbauen – und wie man weiß, ist Erdoğan dafür wenig empfänglich. Es müssten dann also recht schwere Geschütze aufgefahren werden. Sollte die Bundesregierung das, aus Rücksicht auf ihren Flüchtlingsdeal mit der Türkei und die guten Geschäftsbeziehungen, nicht tun, dürfte das wiederum keine gute Ausgangslage für Merkels Wahlkampf sein. Die Bundeskanzlerin ist mithin so oder so schon unter Druck. Mal wieder dank Erdoğan.