Small Talk mit Arne ­Semsrott über die Klage der Initative »Frag den Staat« gegen die Deutsche Bahn

Die Aufarbeitung ist noch lange nicht vorbei

Small Talk Von Tilman Bärwolff

2016 und 2018 gab die Deutsche Bahn Gutachten über die Kosten des 2010 angelaufenen Bauprojekts »Stuttgart 21« in Auftrag. Diese sind der Öffentlichkeit bisher allerdings nicht zugänglich. Die Initiative »Frag den Staat« kündigte vergangene Woche an, die Bahn auf die Herausgabe von zwei Gutachten zum Kosten- und Zeitplan von »Stuttgart 21« zu verklagen. Arne Semsrott, Hauptkläger und Projektleiter von »Frag den Staat«, hat mit der Jungle World gesprochen.

Die Deutsche Bahn argumentiert, sie sei als Unternehmen nach dem Informationsfreiheitsgesetz nicht auskunftspflichtig. Sie behaupten nun, für die Bahn gelte das Umweltinformationsgesetz. Was hat es damit auf sich?

Das Informationsfreiheitsgesetz gibt allen Menschen erst mal grundsätzlich das Recht, Informationen vom Staat zu bekommen. Das begrenzt sich allerdings nur auf einfache Behörden, was es dem Staat relativ einfach macht, brisante Aufgaben an Unternehmen auszulagern. Das ändert sich, wenn es um Informationen geht, die die Umwelt in irgendeiner Weise betreffen, wie zum Beispiel beim Bau eines Bahnhofs. Das Umweltinformationsgesetz gilt nicht nur für klassische Behörden, sondern für sämtliche staatliche Tätigkeiten. Wir argumentieren, dass dieses Spezialgesetz einschlägig ist und die Bahn somit ihre Gutachten herausgeben muss.

Was erhoffen Sie sich von der Klage?

Wir erwarten uns ein Grundsatzurteil: Zum einen zur Frage, ob die Bahn in Bezug auf Bautätigkeiten wie »Stuttgart 21« auskunftsverpflichtet ist. Und zum anderen zur Frage, welche Daten die Bahn trotzdem noch geheimhalten kann. Denn selbst wenn die Bahn auskunftspflichtig sein sollte, wird sie argumentieren, dass das für ihre Geschäftsgeheimnisse nicht gilt. Auch dazu erwarten wir uns ein Urteil, das klarmacht, dass die Bahn als Staatsunternehmen besondere Auskunftspflichten hat – gerade, wenn es um Milliarden von Euro geht. Darüber hinaus ist die Deutsche Bahn eines der zentralen Unternehmen, das wir in Bezug auf Planungen zum Umweltschutz in Haftung nehmen müssen. Hinsichtlich sämtlicher Planungen, sei es der Ausbau oder die Stilllegung von Strecken, oder auch die seltsamen Auslandsgeschäfte der Bahn, brauchen wir mehr Transparenz. Auch Mitglieder des Bundestags haben häufig große Probleme, an Informationen zu kommen. Da müssen wir ran.

Inwiefern ist die Kritik an »Stuttgart 21« heute noch aktuell?

Von dem bürgerlichen Widerstand gegen das Projekt ging ein starkes Signal aus, weil klargemacht wurde, dass solche enormen Planungen nicht im stillen Kämmerlein, sondern gemeinsam mit einer Stadtgesellschaft gemacht werden müssen. Ich habe aber den Eindruck, dass der Protest gegen dieses Projekt, das ja immer noch weitergeht, unter der grün-schwarzen Landesregierung deutlich kleiner geworden ist. Man kann das als Signal an die Grünen sehen: Diese müssen nicht nur in der Opposition auf Transparenz setzen, sondern auch, wenn sie Teil der Regierung sind.

Wäre ein Stopp des Projekts noch sinnvoll?

Es wird argumentiert, dass ein Baustopp noch teurer würde als die Fertigstellung. Wir sind also in einer lose-lose-Situation. Ich würde mir wünschen, dass es eine wirkliche Offenlegung aller Gutachten und Zahlen zu diesem Projekt gäbe, um so eine Aussage nachprüfen zu können. Ich wünsche mir auch, dass Verantwortliche für diese wahnsinnige Fehlleistung klarer benannt und zur Rechenschaft gezogen werden. Die Aufarbeitung ist noch lange nicht vorbei.