»Mank«, der neue Film von David Fincher

Citizen Kael

»Mank«, der neue Film von David Fincher, ist ein Porträt des klassischen Hollywood aus der Sicht des 1953 verstorbenen Drehbuchautors Herman J. Mankiewicz. Einen Subtext von dessen Geschichte zeigte erst Jahrzehnte später die Film­kritikerin Pauline Kael auf.

1941 erschien in den Vereinigten Staaten ein Film, der zwar zunächst floppte, aber als einer der besten gilt, die je gedreht wurden: »Citizen Kane«. Dem erst 25jährigen Orson Welles, der nicht nur Regie führte, sondern auch die Hauptrolle spielte, den titelgebenden Charles Foster Kane, hatte das Filmstudio RKO »absolute kreative Autonomie« zugesichert – so berichtet es, etwas spitzbübisch, die Texteinblendung am Anfang des neuen Films von David Fincher, der den Titel »Mank« trägt und sich nicht etwa mit den Dreharbeiten des Films beschäftigt, sondern mit einem anderen Aspekt seiner Entstehung: mit dem Schreiben des Drehbuchs.

Mank, das war der Spitzname des Drehbuchautors Herman J. Mankiewicz (im Film gespielt von Gary Oldman), der im Frühjahr 1940 in nur zwölf Wochen ganze 200 Seiten des Drehbuchs von »Citizen Kane« schrieb, als er mit einem gebrochenen Bein in seinem Landhaus im Bett lag. Der Film handelt von einem Zeitungsmogul (lose basierend auf dem Verleger William Randolph Hearst) und erzählt in Rückblenden dessen Leben: seine Beziehungen zu Frauen, seine konfrontative publizis­tische Arbeit und seine politischen Ambitionen.

Rückblenden führen die Hauptfigur Mank in die frühen Dreißiger, in den Writer’s Room und die Chefbüros der großen Studios und zu Dreharbeiten, bei denen er die Schauspielerin Marion Davies und ihren Geliebten William Randolph Hearst kennenlernt.

Viel gibt es nicht zu zeigen, wenn ein Mann im Bett liegt, raucht und an einem Drehbuch schreibt, und so ist auch »Mank«, wie der Film, um den es in ihm geht, in Rückblenden erzählt. Und noch weitere Merkmale teilen sich die Filme: Beide sind schwarzweiß, »Mank« ist allerdings leider nicht auf Filmmaterial gedreht. Die Rückblenden führen die Hauptfigur Mank zurück in die ­frühen Dreißiger (als auf dem Mount Lee in 14 Meter hohen Lettern noch »Hollywoodland« zu lesen war), und zwar in den Writer’s Room und die Chefbüros der großen Studios und zu Dreharbeiten, bei denen er die Schauspielerin Marion Davies und ihren Geliebten, den bereits erwähnten William Randolph Hearst, gespielt von Amanda Seyfried und Charles Dance, kennenlernt.

Hearst, der seine Zeitungen mit Skandalberichterstattung füllte, wechselte im Laufe seines Lebens häufiger die politische Position. In jungen Jahren war er ein Linker, hegte aber 1933, als Mank in einer Filmszene im San-Simeon-Saal von Hearsts Anwesen den Geburtstag des Studiobosses Louis B. Mayer mitfeiert, schon längst zumindest leichte Sympathien für die Nazis. Hearst und Mayer, der aus einer Familie immigrierter russischer Juden stammte, verband dennoch eine innige Freundschaft, Mankiewicz hatte für beide – und so sieht man es auch im Film – nur zynische Verachtung übrig. Diese steigerte sich noch durch einen anderen Umstand, der die Handlung des Films bestimmt: den Wahlkampf des Schriftstellers Upton Sinclair, der 1934 für das Amt des Gouverneurs antrat und ein im Englischen buchstäblich sagenhaftes Programm vorschlug: Das Akronym »Epic« stand für »End Poverty in California«. Mit dem so betitelten Sozialprogramm zog der Kandidat die Abscheu der Antikommunisten Mayer und Hearst auf sich, die mit tendenziösen Radio- und Filmbeiträgen voller Falschinformationen Stimmung gegen Sinclair machten.

Das Drehbuch zu »Citizen Kane« kann man als eine Art Rache von Mankiewicz vor allem an Hearst verstehen. Auch »Mank« stellt die Verbindung zwischen dem Medienmogul und dem Drehbuch heraus. Der echte Hearst sah diese auch: Nachdem er damit gescheitert war, die Negative des Films aufzukaufen und zu vernichten, weil er sich selbst in der Figur des Kane wiedererkannt hatte, führte er eine Medienkampagne gegen Welles.

Nicht das Schreiben des Drehbuchs selbst ist also das Thema von »Mank«, sondern das, was das Drehbuch in­spirierte. Doch gibt es noch eine andere Geschichte, die in dem Film als Subtext mitschwingt, die paradoxerweise erst 30 Jahre nach dem Kinostart von »Citizen Kane« ihren Lauf nahm. Die gefürchtete Filmkritikerin Pauline Kael nämlich veröffentlichte 1971 in zwei aufeinanderfolgenden kompletten Ausgaben des New Yorker ihren Essay »Raising Kane«, in dem sie Zweifel an der Autorschaft von Orson Welles äußerte und argumentierte, dass der Film von den Ideen seines Co-Autors lebe. Wohlgemerkt erschien dieser Text in derselben Zeitschrift, bei der auch Herman Mankiewicz, dem Kael die Autorschaft für den Film zusprach, seine journalistische Karriere in den zwanziger Jahren begonnen hatte, bevor er nach Hollywood ging.

Ironischerweise nahm es Kael bei ihrer eigenen Autorschaft auch nicht so genau: In einem Text des Regisseurs Peter Bogdanovich, der 1972 im Esquire erschien und direkt gegen »Raising Kane« gerichtet war, kam auch der Filmprofessor Howard Suber zu Wort, den Kael über »Citizen Kane« befragt hatte (und ihm unter anderem Versprechungen für ein gemeinsames Buchprojekt machte, das nie zustande kam) und den sie, ohne es kenntlich zu machen, zuhauf zitierte. Kaels These gilt mittlerweile als widerlegt, zu viele Zeugen haben ausgesagt, selbst die Arbeit Welles’ am Drehbuch mitbekommen zu haben.

Kael mag zwar nicht recht gehabt haben, aber ihr Essay ist ohnehin mehr als Einspruch gegen die Auteur-Theorie zu verstehen, die in den fünfziger Jahren aufkam und den Filmemacher zum wichtigsten Urheber eines Films erklärte. Indem sie die Arbeit von Mankiewicz so stark hervorhob und würdigte, pochte sie auf ihre These, den Film als eine kollektive Arbeit zu begreifen, statt den Regisseur als einzigen Helden zu verehren, wie es ohne Zweifel mit Blick auf Welles der Fall war.

Tatsächlich, und so wird es in »Mank« auch am Ende gezeigt, bestand Mankiewicz (der eigentlich daran gewöhnt war, nicht als Autor genannt zu werden, da er üblicherweise dafür engagiert wurde, die Drehbücher anderer Autoren lediglich zu verbessern) darauf, für seine Arbeit an »Citizen Kane« in den Credits genannt zu werden, was Welles sichtlich in seinem Stolz verletzte. Die beiden gewannen schließlich gemeinsam den Oscar für das Drehbuch, die einzige Prämierung des Films bei den Academy Awards, der in neun Kategorien nominiert war. Keiner der beiden war bei der Preisverleihung anwesend, doch Mankiewicz’ Biograph Richard Meryman verriet, was der Drehbuchautor bei der Zeremonie hätte sagen wollen, wäre er als einziger auf die Bühne gegangen: »Ich bin sehr glücklich, diesen Preis in der Abwesenheit von Herrn Welles anzunehmen, denn das Drehbuch wurde in Abwesenheit von Herrn Welles geschrieben.«

David Fincher kennt man zwar als einen Regisseur, der seine Filmstoffe sorgsam aussucht, aber nie selbst das Drehbuch schreibt. Dass ausgerechnet er einen Film aus der Sicht des Drehbuchautors vorlegt, hat vor allem damit zu tun, dass sein Vater, der Journalist Jack Fincher, das Drehbuch zu »Mank« schrieb – und zwar bereits in den neunziger Jahren. 2003 verstarb der Vater, »Mank« darf getrost als Ehrerbietung des Sohns für ihn gesehen werden.

Eine Ehrbezeugung ist aber auch das Drehbuch von Jack Fincher, der »Citizen Kane« liebte – vielleicht etwas zu sehr. Denn vor lauter Figuren, Rückblenden und Verwicklungen verliert man als uninformierter Zuschauer schnell den Überblick – wer kein Nerd mit Basiswissen über das Golden Age of Hollywood ist, wird schwer durchhalten. »Mank« ist auch, ganz im Gegensatz zu den anderen Filmen Finchers, ziemlich langatmig und auf enervierende Art unspannend. Der Film will einfach zu viel. Nicht nur das kontrastarme Schwarzweiß wirkt etwas überkan­didelt, auch hat Fincher cue marks mit eingearbeitet, kleine Punkte am Bildrand, die dem Filmvorführer im Kino einst das Signal gaben, den Projektor zu wechseln, sobald das laufende Filmband seinem Ende nahe­kam – eine ziemlich kokette Geste für einen Film, der nicht nur digital aufgenommen, sondern auch im Auftrag des Streaming-Dienstes Netflix produziert wurde.

Auch die Fährte in die Gegenwart, die mit der Geschichte über die von Mayer und Hearst lancierten fake news gegen Sinclair gelegt wird, ist etwas zu bemüht. Die filmgeschichtlich interessante Geschichte des Konflikts zwischen Mankiewicz und Welles hingegen, die Pauline Kael umtrieb, stellte Fincher einem Artikel im New Yorker zufolge hintan, um dem Verhältnis von Mankiewicz und Hearst mehr Platz einzuräumen.

Über alle Schwächen des Films erhaben ist, wie sollte es auch anders sein, Gary Oldman. Ironischerweise gilt für »Mank« das, was als einzige öffentliche Aussage von Hearst über »Citizen Kane« bekannt ist: Der Film sei etwas zu lang geraten.

Mank (USA 2020). Buch: Jack Fincher. Regie: David Fincher. Darsteller: Gary Oldman, Amanda Seyfried, Charles Dance. Der Film kann ab dem 4. Dezember bei Netflix gestreamt werden.