Die ewig gleichen Beats von Lebanon Hanover

Isolation im Industriegebiet

Die Dark-Wave-Band Lebanon Hanover legt mit ihrem neuen Album »Sci-Fi Sky« einen düsteren Soundtrack zur Pandemie vor.

Über die »Schwarze Welt« sangen Xmal Deutschland 1981, eine Welt, in der alles voller »schwarzer Nebel« sei – der Dark Wave war im deutschen Sprachraum angekommen. Schwarz ist der Nebel derzeit nicht, sondern wie üblich eher grau, doch das ist immer noch, vor allem gepaart mit der zweiten Welle der Covid-19-Pandemie, das perfekte Wetter, um sich einen zeitgenössischen Vertreter des Genres anzuhören, das Xmal Deutschland einst mitbegründete, nämlich das schweizerisch-bri­tische Duo Lebanon Hanover.

Unter diesem Namen spielen Larissa Georgiou, auch bekannt als La­­rissa Iceglass, und William Maybelline seit 2010 besonders dunklen Dark Wave. Die eindrücklichen und kalten Synthie-Klänge zu Beginn des Songs »Living on the Edge« verwandeln sich schnell in eine gnadenlos repetitive Einleitung für Lebanon Hanovers neues und mittlerweile sechstes Studioalbum »Sci-Fi Sky«.

Überwältigen die ersten Lieder von »Sci-Fi Sky« noch, fühlt man sich spätestens ab dem sechsten Song, der wieder mit notorisch geduldigem Bass- und Synth-Gehämmer aufwartet, etwas ernüchtert.

Iceglass und Maybelline haben sich 2010 im englischen Sunderland kennengelernt, dem Geburtsort Maybellines. Schon in den ersten Wochen ihrer Bekanntschaft begannen sie mit der Arbeit an ihrem Debüt­album »The World Is Getting Colder«. Seitdem ist die Welt allerdings tatsächlich kälter geworden. Derzeit besteht nicht einmal eine Spur von Hoffnung, in naher Zukunft die kalten Synthpop-Beats, die verzerrten Basslines, die sanft sonore Stimme Georgious oder gar die bisweilen die ganze Bühne in Anspruch nehmenden Tänze Maybellines bei ­einem Konzert zu erleben. Trotz der Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Pandemie zeugt der Tourkalender der beiden allerdings von Optimismus, ist er doch für das kommende Jahr bereits mit Terminen vollgestopft.

Im Musikvideo zu »The Last Thing«, einem geradezu erschütterndem Höhepunkt der Platte, stehen Georgiou und Maybelline, ganz den Er­fordernissen der Zeit gerecht, mit einem Mikrophon und dem Synthesizer unter freiem Himmel inmitten eines Industriegebiets. Man kann das als trashige Geste belächeln oder doch genießen, wenn Georgious weicher Gesang einsetzt und Maybelline beginnt, wie in Trance graziös zu tanzen. Der Song sticht als einer der zuversichtlichsten auf der Platte ­heraus, denn grundsätzliche Perspektivlosigkeit, Todessehnsucht, das ­Gefühl eigener Unzulänglichkeit und ziellose Sehnsucht sind die typischen Themen der Band.

Das Video endet mit einer Einstellung, die die bleich geschminkte ­Georgiou auf einem von Abendlicht durchflutetem Kürbisfeld zeigt. Trostloses Industriegebiet und friedliche Natur werden hier nicht auf abgedroschene Weise gegenübergestellt, auch wenn der Clip mit einer solchen Interpretation spielt. Nicht umsonst wurde genau dieses Industriegebiet ausgesucht – im Hintergrund sieht man einen alten Fabrikschornstein stehen, auf dem in ­großen Lettern das Wort »Isolation« prangt. Allein dieses Detail wirkt so bizarr, dass es die Band nicht allzu ernst meinen kann. Hinzu kommen andere ironisch überzeichnete Momente, wenn etwa Maybelline während seiner Tanzeinlage eine Mülltonne umstößt, was in kitschiger Zeitlupe festgehalten wird.

Lebanon Hanover sind wohl die letzten Überbleibsel des vor ein paar Jahren durchaus erfolgreichen Revivals alter Minimal-Wave-Bands. 2005 gründete die Fotografin Veronica Vasicka in New York City Minimal Wave Records. Das Label machte es sich zur Aufgabe, verstaubte und vergessene Perlen des No Wave und Post-Punk aus den achtziger Jahren neu zu veröffentlichen, darunter die geradezu verboten schöne Wiederauflage von Songs des französischen Duos Deux, den Minimal-Synth-­Heroen der frühen Achtziger. Doch irgendwann ließ die Euphorie über die wiedergefundenen, neu gepressten und großzügig beworbenen Platten nach. Spätestens als man Jutebeutel mit aufgedrucktem Labellogo kaufen konnte, bekam das Vergnügen einen gehörigen Dämpfer.

Der Sound von Lebanon Hanover entwickelt weiter, was in den Achtzigern entstanden war. Manchmal bekommt man geradezu das Gefühl, dass die Band klingen will wie eine dunkle Kapelle aus jener Zeit. Das kann ziemlich repetitiv werden. Wer jedoch damit zufrieden ist, sich durch eine zehnjährige Diskographie zu hören, deren Alben aus der immer gleichen Klangsuppe löffeln, dürfte man mit Lebanon Hanover gut bedient sein.

Anfangs noch beeindruckend, geht das fortwährend kühle und minimalistisch pochende Intro irgendwann auf die Nerven, und die anfängliche Bewunderung trübt sich. Überwältigen die ersten Liedern noch, fühlt man sich spätestens ab dem sechsten Song, der, Über­raschung, wieder mit notorisch geduldigem Bass- und Synth-Gehämmer aufwartet, etwas ernüchtert.

Der Titel der neuen Platte wurde Iceglass und Maybelline zufolge von einer gemeinsamen Taxifahrt durch das chinesische Shanghai ­inspiriert. Die Kulisse aus Wolkenkratzern und die vom Smog getrübte Sonne waren Inspiration für den Song »Third Eye in Shanghai«.

Aus Einblicken in das Unbewusste speisen sich die Songtexte, deren sarkastischer Witz mitunter im schwermütigen Post-Punk-Gedresche unterzugehen droht. So muss man beim Goth-Hit »Digital Ocean« schon genauer hinhören, was da eigentlich gesungen wird, obwohl Maybelline geradezu leidvoll herausschreit, wie sehr ihn die digitalisierte Gesellschaft überfordert (gemäß dem Motto der Band: »Sadness is rebellion«). Gegen Ende aber wird es nett absurd, wenn er teilnahmslos davon singt, im Make-up-Store auf seinen neuen Mac zu warten, und dabei an seinem Latexanzug zu ersticken droht.

Im Video zu »The Last Thing« wiederum besingt Larissa Georgiou, ­neben einem Abfallcontainer stehend, die erdrückende Leere und Trostlosigkeit des Lebens, um danach in dramatischer Geste ihre Sonnenbrille sanft in den Container zu legen. So geht Überzeichnung.

Auf der Platte geht es aber auch um Momente der Wärme. Etwa dann, wenn Maybelline in »Angel Face« über die Liebe zu seinem Sohn singt. Auch hier überwiegen zunächst Ängste und Unsicherheiten, die aber von der schier unendlichen Hin­gabe des Vaters an sein Kind in den Hintergrund gedrängt werden.

Lebanon Hanover sind mittlerweile eine gestandene Größe in ihrem Genre. Dass sich die Klangwelt im Vergleich zu ihren früheren Alben stur einfach nicht verändert, könnte man als unoriginell brandmarken. Manche Bands gehen daran zugrunde, Lebanon Hanover dagegen schaffen es, obwohl sie vor Nostalgie nur so strotzen und ungerührt auf die Blütezeit des Industrial zurückgreifen, eine solide Platte vorzulegen.

Mitunter drückt »Sci-Fi Sky« auch deswegen stark aufs Gemüt, weil die dystopische und durch und durch düster anmutende Innenwelt von Georgiou und Maybelline nicht mehr nur auf der Platte zu spüren ist, sondern dem entspricht, was man beim Blick aus dem Fenster sieht. Man könnte wohl sagen, dass es Lebanon Hanover gelungen ist, der Pandemie einen Soundtrack zu verpassen. Und so kann auch die Frage am Ende von »The Last Thing« rhetorisch verstanden werden: »Did we have each other enough?« Natürlich nicht.

Lebanon Hanover: Sci-Fi Sky (Fabrica Records)