Streit über Antisemitismus in der niederländischen Partei Forum voor Democratie

Späte Kritik

In der niederländischen Partei Forum voor Demokratie tobt ein heftiger Machtkampf. Parteiinterne Kritiker werfen dem Gründer Thierry Baudet vor, antisemitische Strömungen zu protegieren – allerdings erst, seit dieser sich mit Coronaleugnern verbünden will.

So haben sich die Kandidaten und Kandidatinnen der extrem rechten Partei Forum voor Democratie (FvD) den Wahlkampf sicherlich nicht vorgestellt. Anfang November hatten sie noch ein aufwendiges Spektakel zu dessen Auftakt organisiert und ihre zehn Kandidaten und Kandidatinnen für die Parlamentswahlen im März kommenden Jahres, darunter die Antifeministin Eva Vlaardingerbroek sowie der stellvertretende Bürgermeister Rotterdams, Joost Eerdmans, und die Abtreibungsgegnerin Nicki Pouw-Verweij, im Veranstaltungszentrum Ahoy Rotterdam vorgestellt. Wie gewohnt führte Thierry Baudet, Gründer und Posterboy der Partei, im Stil eines Showmasters durch den Abend.

Doch nun steht insbesondere die Jugendorganisation der Partei (JFvD) im Zentrum eines Skandals, der am vorvergangenen Wochenende seinen Lauf nahm und dessen Auswirkungen noch nicht absehbar sind. In Chatgruppen der Jugendorganisation hatten Parteimitglieder sich homophob und offen antisemitisch geäußert sowie den Nationalsozialismus verherrlicht. Vorsitzender der Jugendorganisation und damit vor dem Gesetz mitverantwortlich ist Freek Jansen, die rechte Hand von Baudet. Bereits im Mai waren erste Berichte über derartige Äußerungen in den Chatgruppen bekannt geworden – doch weder Jansen noch der Vorstand der Partei waren aktiv geworden. Stattdessen wurden Kritiker gemobbt und politisch isoliert.

Nachdem der Streit wegen eines Artikels in der Zeitung Het Parool der Öffentlichkeit bekannt wurde, haben sich Teile des FvD-Vorstands von der Jugendorganisation distanziert – gegen den Widerstand von Baudet. In der nun öffentlich stattfindenden Debatte wurde ihm vorgeworfen, die antisemitischen Strömungen in der Partei protegiert zu haben. Pouw-Verweij, jahrelange Unterstützerin Baudets, sprach gar von einer »Radikalisierung« des Vorsitzenden, die sie erst bei einem parteiinternen Dinner am 20. November erkannt haben will.

Die zu Rechtsextremismus forschende Politikwissenschaftlerin Sarah de Lange kann eine solche Radikalisierung Baudets nicht erkennen, dieser habe bereits 2018 antisemitische Verschwörungsmythen verbreitet. Damals hatte er die Mär vom jüdischen Großspender George Soros als Strippenzieher hinter den Migrationsbewegungen seit 2015 verbreitet.

Baudet gab den Parteivorsitz und die Spitzenkandidatur bei den Wahlen auf. Die Kritikerinnen und Kritiker fordern jedoch inzwischen öffentlich seinen Austritt aus der Partei, einige haben ihre Kandidatur für die Parlamentswahlen zurückgezogen, Joost Eerdmans trat aus. Baudet entgegnete auf den Social-Media-Kanälen des FvD, dass sich die Partei spalten solle. Er wolle die Marke behalten, das Parteivermögen solle aufgeteilt werden. Seine innerparteilichen Gegner und Gegnerinnen forderten daraufhin, dass auf einer Mitgliederversammlung über Baudets Parteizugehörigkeit abgestimmt werden solle, bis dahin dürfe er nicht mehr öffentlich für die Partei auftreten. Baudet, der sich im FvD nach wie vor großer Beliebtheit erfreut, dürfte dem nicht nachkommen. Er sprach in sexistischer Manier von ­einem »bitch fight« und stellt sich als Opfer einer hinterhältigen Kampagne dar.

Allerdings ist die parteiinterne Kritik am Antisemitismus inhaltlich tatsächlich kaum ernstzunehmen. Denn die FvD-Abgeordnete im Amsterdamer Gemeinderat Annabel Nanninga, die selber schon durch antisemitische Tweets aufgefallen war, sowie Pouw-Verwij, Eerdmans und Vlaardingerbroek hatten sich bewusst einer Partei angeschlossen, die ihren Erfolg auch auf die Verbreitung kaum verdeckter antisemitischer Verschwörungsmythen aufbaute. Als diese noch mit rassistischen Motiven vermengt und gegen Migranten gerichtet wurden, protestierten sie nicht, wiewohl beispielsweise Eerdmans nicht in das Soros-Geraune einfiel. Nun, da Baudet antisemitische Unterstellungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie artikuliert und eine Zusammenarbeit mit Coronaleugnern anstrebt, sehen sie eine Grenze erreicht.

Auch deshalb bewertet de Lange den Streit in der Partei als strategische Abgrenzung. Thematisiert wird in erster Linie der Antisemitismus in der Jugendorganisation, die Konzentration auf dessen offensichtlichsten Ausdruck soll den Rest der Partei reinwaschen. Das Centrum Informatie en ­Documentatie Israel (CIDI), das sich in den Niederlanden gegen Antisemitismus einsetzt, fordert eine umfassende und unabhängige Untersuchung des FvD.

Wie auch immer sich der Machtkampf weiter entwickelt, das FvD hat einen ­erheblichen Schaden genommen, den die Partei vor den Parlamentswahlen im März wahrscheinlich nicht wird beheben können. Derweil freut sich der rechte Konkurrent Geert Wilders. Dessen Partij voor de Vrijheid (PVV) kann der jüngsten Umfrage zufolge mit acht Sitzen mehr rechnen als im derzeitigen Parlament und liegt mit 28 prognostizierten Mandaten an zweiter Stelle. Lange galt Wilders vielen nationalliberalen und konservativen Wählerinnen und Wählern als zu rassistisch und regierungsuntauglich, sie zogen das »gemäßigte« FvD vor. Doch als gemäßigt können Parteien wie das FvD und die PVV nur erscheinen, wenn man nicht genau genug hinschaut.