Das letzte Album der Aeronauten

Scheitern mit Humor

Das Erscheinen von »Neun Extraleben«, dem neuen und wohl letzten Album der Aeronauten, hat ihr Sänger Oliver »Guz« Maurmann nicht mehr miterlebt.

Werke, die posthum veröffentlicht werden, sind meist eine eher dubiose Angelegenheit. Erstens, weil sie oft unvollendet geblieben sind, und zweitens, weil jemand anderes über die Veröffentlichung entschieden hat. Man weiß nie, ob der Autor, Musiker oder Künstler mit der veröffentlichten Version zufrieden gewesen wäre oder alles ganz anders ­gemacht hätte.

»Dieses anstrengende Leben« heißt der erste Song des neuen Albums der Aeronauten, und als ­Hörer muss man sich erst einmal sammeln, wenn Oliver Maurmanns Stimme im Refrain »Mirage, mirage, mirage« singt. Denn Maurmann, besser bekannt unter seinem Künstlernamen Guz, starb am 19. Januar dieses Jahres an einem angeborenen Herzleiden. Mehrere Jahre hatte er vergeblich auf ein Spenderherz gewartet – die letzten vier Monate in einem Zürcher Krankenhausbett. Guz wurde nur 52 Jahre alt. Daher ist das Motto der ganze Platte gewissermaßen »Mirage, mirage, mirage«: ein Trugbild dessen, was hätte sein können, aber nicht mehr sein wird.

»Neun Extraleben« liefert gewissermaßen ein Best-of der Aeronauten mit neuen Songs. Die Platte ist streckenweise die rotzigste seit ihrem Debütalbum.

Die Aeronauten begannen bereits im Februar 2019 mit der Arbeit an ­einem neuen Album. Zunächst zogen sie sich für eine Woche in die Alp­hütte ihres ehemaligen Bassisten Christof »Hipp« Mathis zurück, um ­gemeinsam Songs zu schreiben und auszuloten, welchen Sound die neue Platte bekommen sollte. Wieder im Alltag angekommen, trafen sie sich regelmäßig in Maurmanns Startrack-Studio in Schaffhausen und arbeiteten an den Stücken – bis Guz im November 2019 ins Krankenhaus musste. Nach Maurmanns Tod nahmen seine Kollegen die Arbeit wieder auf, wollten die Platte unbedingt »für ihn und uns und auch irgendwie mit ihm zu Ende bringen«, wie die hinterbliebenen Aeronauten verlautbaren ließen. Aus Skizzen, halbfertigen Aufnahmen und einzelnen Gesangstonspuren collagierten sie »Neun Extra­leben«, ein Album mit 13 Stücken.

Man merkt der Platte ihre Geschichte an: Insbesondere beim Gesang variiert die Klangqualität stark von Song zu Song. Zwei Instrumentalstücke sind enthalten, was bei den Aeronauten allerdings üblich ist, und für das Lied »Stauseegrund« lieferte nicht Maurmanns eher raue, sondern die sanftere Stimme von Saxophonist Roger Greipl den Gesang. Das alles ist nicht nur unter den gegebenen Umständen zu verkraften, es stört überhaupt nicht.

»Neun Extraleben« ist die beste Platte der Aeronauten seit 20 Jahren, wird aber wohl ihr letztes Album bleiben. »Für uns war und ist diese Arbeit eine gebührende und schöne Art, uns von Oli und dem Aeronautenleben zu verabschieden«, teilten die verbliebenen Bandmitglieder in ihrer Plattenankündigung auf Facebook mit.

1991 gegründet, veröffentlichten die Aeronauten zwei Jahre später ihr erstes Studioalbum, »1:72«, dessen Titel wie der Bandname auf das Hobby von Guz verweist, Modellflugzeuge dieses Maßstabs zu bauen: »Wir sind Aeronauten und das ist unsere kleine Welt«, sang Maurmann auf dieser Platte denn auch. Soundmäßig war es ein rumpeliges Debüt, britisch inspirierter Garage-Punk mit souligen Bläsern.

Die Aeronauten waren schon immer mehr eine Textband, obgleich ihre musikalische Weiterentwicklung in den folgenden Jahrzehnten beeindruckte. »Mit der Zeit fängt man an, sich für Country-Musik zu inter­essieren«, heißt es auf ihrem dritten Album, »Jetzt Musik« von 1997, das seinem Namen alle Ehre macht. Country blieb von da an neben Punk ein prägendes Element des Aeronauten-Sounds. Und mit jedem neuen Album kamen weitere Stilrichtungen dazu: Blues, Swing, Rock und so ziemlich alles andere, was im wahrsten Sinne des Wortes historisch unter dem Begriff Pop zusammengefasst werden kann. Für »Jetzt Musik« waren die Schweizer zum Indie-Label L’Age d’Or gewechselt, das als die Heimstätte der sogenannten Hamburger Schule galt. In der Folge wurden die Aeronauten häufig selbst zur Hamburger Schule gezählt, was aber letztlich nicht so recht zu der Band vom Schweizer Ufer des Bodensees passte.

Radikalpessimistisch (»Gegen alles, was schlecht ist / Gegen alles, was gut ist / Gegen alles, was schön ist / Gegen alles, gegen alles, gegen alles auf der Welt«) und mit (Selbst-)Ironie (»Ich möchte lieber eine Freundin«) nahmen sie auch keine Rücksicht auf das eigene linke Milieu. (»Und es interessiert uns einen Dreck, was draußen vor sich geht / Denn es ist nur ein Werbegag, wenn sich die Arbeiterschaft erhebt«).

Trotzdem oder wohl eher deshalb blieb ihnen kommerzieller Erfolg verwehrt. »Nächstes Jahr kommt der Durchbruch« wurde zum bandinternen running gag, nachdem 2001 auch der letzte ernsthafte Versuch, als Gruppe von der Musik leben zu können, mit dem floppenden fünften Album, »Bohème pas de Problème«, gescheitert war; der Legende nach, weil die Platte kurz nach dem 11. September erschien und tanzbare Musik mit Bläsern plötzlich nicht mehr en vogue war.

Der ausbleibende kommerzielle Erfolg hat den Aeronauten musikalisch nicht geschadet. Vielleicht sogar eher genutzt, denn ein sogenannter Durchbruch hat schon viele vormals tolle Bands ein wenig versaut – nicht zuletzt die ehemaligen Zugpferde L’Age d’Or, Tocotronic und Die Sterne. Die musikalische Misere von Tocotronic sagte der Aeronauten-Bläser Roman »Motte« Bergamin bereits 1996 in einem Interview mit dem Fanzine Trust voraus: »Tocotronic ist eine Band, die eben etwas macht und im Moment an der richtigen Stelle sitzt, wo man etwas gut verkaufen kann, die richtet sich auch danach und macht eben weiterhin das, was man gut verkaufen kann. Man kann jetzt schon klar ersehen, dass das eine Einbahnschiene ist. Wenn das mit der Band so weitergeht, dann kann das nur in der Scheiße enden.«

Das eigene Scheitern haben die Aeronauten immer mit Humor ­genommen. So betitelten sie ihre folgenden Platten unter anderem »Zu gut für diese Welt« und »Too Big to Fail«. Musikalisch wurden sie noch stringenter: »Heinz«, das Vorgängeralbum von »Neun Extraleben«, enthielt fast ausschließlich Swing-Stücke, mit einer einzelnen Rock ’n’ Roll-Ausnahme, die wie kaum ein anderer Song die Grundeinstellung der Aeronauten beschreibt: »Ottos kleine Hardcore-Band fickt noch immer das System / Ottos kleine Hardcore-Band stirbt lieber stehend, als auf Knien zu leben«. Sie sind eben Punks geblieben. »Wir machen nicht das, was von uns erwartet wird, wir machen das, worauf wir Lust haben und was uns Spaß macht. Punk ist für mich immer noch mehr eine Haltung als ein Musikstil«, sagte Maurmann 2016 dem Fanzine Ox.

»Neun Extraleben« liefert gewissermaßen ein Best-of der Aeronauten mit neuen Songs. Die Platte ist streckenweise die rotzigste seit ihrem Debüt, enthält aber gleichzeitig anspruchsvolle Instrumentalstücke, die die Aeronauten wie Soundtracks zu imaginären Filmen komponiert haben. Textlich schwankt sie zwischen Melancholie und Sarkasmus, ist dabei allerdings durchweg bissig und aktuell: »Die Therapeutin riet mir, etwas zu tun, was mir wichtig ist / Seitdem schreib’ ich Hatemails an Arschlöcher, doch ich erzähl’s ihr nicht (…) Die Therapeutin freut sich und glaubt, dass die Therapie was bringt / Doch ich schreib’ Hatemails, wenn die anderen in der Pause sind«, heißt es im Lied »Hatemails«.

Aber auch der traurige Anlass, dass die Platte so ist, wie sie ist, kommt dem Hörer immer wieder zu Bewusstsein, beispielsweise wenn Guz im ­titelgebenden Song singt: »Neun Extraleben / Acht verspielt / Neun Ex­traleben / Vielleicht noch eins dazu« – leider nicht. Mit einem Garage-Punk-Stück, das auf einer alten Handyaufnahme aus dem Proberaum basiert und so herrlich anachronistisch wie ihr gesamtes Schaffen wirkt, endet das Album: »One, two, three, four / Never be dead!«

Die Aeronauten: Neun Extraleben (Tapete Records)