Die Karikaturen Nadia Khiaris kommentieren die tunesische Politik

Der Kater der Revolution

Von Jan Marot

Seit zehn Jahren kommentiert Nadia Khiari mit ihren Katzenkarikaturen die politische Entwicklung Tunesiens. Sie erhielt mehrere Preise, aber auch Morddrohungen.

Zum Feiern ist Nadia Khiari knapp zehn Jahre nach dem Sturz des tunesischen Autokraten Zine al-Abidine Ben Ali nicht zumute. »Das Reale, Greifbare und Sinnvolle, was in den vergangenen zehn Jahren geschaffen wurde, ging von der Zivil­gesellschaft aus«, sagt sie im Gespräch mit der Jungle World. Die Opfer und das Leiden, die Müdigkeit und die Gewalt seien deprimierend, doch aufgeben will sie nicht: »Die Revolution dauert nach wie vor an.« Fast täglich lässt die 47jährige »Willis from Tunis«, eine von ihrem Kater »Willis« inspirierte ­Figur, die politische und wirtschaftliche Misere satirisch kommentieren. Die engagierte Feministin und Anarchistin setzt sich für soziale, Frauen- und Menschenrechte ein und macht sich über die Salafisten lustig.

»Man kann es nicht den Politikern überlassen, die Situation im Land zum Besseren zu wenden«, meint sie. »Politisch schreiten wir zurück, und wirtschaftlich ist die Lage in Tunesien katastrophal. Der Preis vieler Grundnahrungsmittel hat sich in den vergangenen Jahren fast verdoppelt. Und die Schattenwirtschaft macht mittlerweile fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes aus.« In der Coronakrise sei die Misere noch deutlicher zu Tage getreten. »In gewisser Weise hat sie die Defizite aufgedeckt«, ist sie überzeugt. Die Korruption sei allgegenwärtig, die Antworten der etablierten Politiker auf die Krise könnten »nur als Beleidigung der Intelligenz der Tunesierinnen und Tunesier aufgefasst werden«. In der »generellen Ablehnung der etablierten politischen Klasse« sieht sie auch die Ursache für den Sieg des rechtskonservativen religiösen Verfassungsjuristen Kaïs Saïed bei der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr. Er gelte als ehrlich, aber »die Menschen hätten auch den Teufel höchstpersönlich gewählt, weil sie die Nase voll ­haben«.

Nadia-Khiari
Illustration: Nadia-Khiari

 

Die Arbeit der Karikaturistin bekommt viel Anerkennung. Unter anderem wurde sie 2012 in Caen mit dem Prix Honoré-Daumier ausgezeichnet, 2014 erhielt sie den Premio Satira Po­litica in Forte dei Marmi und 2018 den Sokol-Karikaturenpreis in Krems. Ihre Karriere als Satirikerin begann am 13. Januar 2011. Der von Massenprotesten bedrängte Präsident Ben Ali sprach in einer Fernsehrede erstmals in seiner Amtszeit im tunesischen Dialekt statt im klassischen Arabisch. Khiari brachte den historischen Moment mit Ben Ali als Katze und einer aufgebrachten Bevölkerung aus Mäusen auf ein Blatt Papier. Die Mäuse jubeln: »Der Käsepreis sinkt!« – Ben Ali hatte eine Senkung der Lebensmittelpreise ­versprochen. Der Kater denkt unterdessen: »Ich habe euch verstanden.« Dies hatte Ben Ali in seiner Fernsehansprache behauptet – nachdem er 23 Jahre lang nicht einmal zugehört hatte. Das Kompromissangebot kam zu spät, um seine Herrschaft noch zu retten, am 14. Januar setzte er sich nach Saudi-Arabien ins Exil ab. Die Revolution schien vollbracht.

Damals hatte Khiari, Künstlerin und Kunstprofessorin an der Universität von Tunis, nur 20 Freunde auf Facebook, derzeit hat »Willis from Tunis« dort mehr als 56 000 Abonnenten – er wurde zum »Kater der Revolution«. »Meinem Kater geht es ausgezeichnet, zumindest er lebt im Überfluss. Ich habe ihn 2010 im Jahr vor der Revolution gefunden und bei mir aufgenommen«, sagt Khiari. In Tunesien endete der »arabische Frühling« nicht mit einer neuen Diktatur oder einem Bürgerkrieg, das Land gilt als einziges Beispiel für den Erfolg der Revolten, denn es gibt freie Wahlen – aber auch starke antidemokratische Kräfte. »Die derzeitige Situation ist ein fruchtbares Terrain für faschistische Ideologien wie den radikalen Islamismus. Die Mi­sere und der Mangel an Bildung spielen den Verrückten in die Hände«, sagt Khiari. »Sie schüren den Frust gezielt, sie wollen spalten in ›gute Muslime‹ und ›Gottlose‹.« Der Weg zur Gewalt ist dann nicht mehr weit. Khiari erhielt zahl­reiche Morddrohungen, zwei Fatwas wurden gegen sie ausgesprochen.

Khiari karikierte den Alptraum eines Salafisten: emanzipierte Frauen, die ihm den langen Bart abrasieren wollen. Sie zeichnete eine Gruppe schwerbewaffneter Katzen mit Sprengstoffgürteln, die sich über eine Katze mit einem Bleistift ­lustig machen: »Was, das ist eine Waffe?« Bei den Extremisten, in erster ­Linie die radikalen Islamisten, sei das Rütteln an den Frauenrechten beliebt, um über andere Probleme nicht sprechen zu müssen, sagt sie. »Sie beleidigen uns Frauen ständig. Ihre Zielscheiben sind Journalistinnen, Künstlerinnen und Aktivistinnen.« Ihr ist es wichtig, dass die Medien nicht für Ziele und Taten der Salafisten werben, von denen sie sich aber weiterhin nicht beeindrucken lassen will. »Mich interessieren Zeichnen, Satire und Freiheit. Ich habe es satt, an diese Bedrohung auch nur einen Gedanken zu vergeuden.«